Schlusspunkt von Hans-Werner Sinn
Man stelle sich einmal vor, der Vorstand des DGB tritt vor die Presse und verkündet das Ende der deutschen Hochlohnpolitik. Er weist auf die neue Wirtschaftslage hin, die in unserem Land durch die Globalisierung, den europäischen Binnenmarkt und den Fall des Eisernen Vorhangs entstanden ist. Und erklärt, dass sich die Arbeitnehmer elf Jahre lang mit einem Lohnzuwachs begnügen werden, der um einen Prozentpunkt unter dem Produktivitätszuwachs bleibt. Er bekundet, den Untemehrnern das Signal geben zu wollen, dass es sich wieder lohnt, in Deutschland zu investieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Warum ist diese Vorstellung so völlig irreal? ind Gewerkschaften dumm?
Sie sind es nicht. Natürlich haben sie keine Illusionen über das, was sie anrichten, auch wenn sie es nicht zugeben können. Aber Gewerkschaften sind das, was Ökonomen Kartelle nennen, und als solche nehmen sie die Arbeitslosigkeit, die sie verursachen, billigend in Kauf. Die Arbeitslosigkeit ist geradezu ein Erfolgsausweis ihrer Politik. Denn gäbe es sie nicht, so wäre das der sichere Beleg, dass die Löhne insgesamt zu niedrig und damit aus Gewerkschaftssicht unsozial sind.
Der Lohn ist ein Preis, der eine zentrale Lenkungsfunktion ausübt. Will man ihn künstlich verändern, dann bringt man alles durcheinander und richtet viel Unheil an. Und genau diesen Vorwurf richte ich gegen die Gewerkschaften: Es geht ihnen darum, die Löhne in kollektiven Tarifverhandlungen über den Marktpreis hinaus zu erhöhen. Die Konsequenz ist ein bleibendes Überschussangebot beim Tausch der Ware Arbeitskraft. Diesen Überschuss nennen wir Arbeitslosigkeit.
Die Arbeitslosigkeit ist eine notwendige Begleiterscheinung einer Tarifpolitik im Interesse derjenigen, die trotz der hohen Löhne einen Arbeitsplatz behalten. Einigen Gruppen gelingt es, sich ein größeres Stück aus dem Kuchen herauszuschneiden, doch nur um den Preis, dass der Kuchen insgesamt kleiner wird.
Zwar sind die Arbeitslosen gerne bereit, zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten. Aber die Kartellzentrale unterbietet einen solchen Preiswettbewerb, indem sie alle Arbeitnehmer und Betriebe zwingt, sich an den von ihr ausgehandelten Flächentarifvertrag zu halten. Ein Kartell kann aber nur funktionieren, wenn die Kartellmitglieder und Außenstehende wirksam daran gehindert werden, die Kartellpreise zu unterlaufen. Deshalb beharren die Gewerkschaften darauf, dass ihre Tarifabschlüsse auf der Betriebsebene nicht unterlaufen werden - und erzeugen so Arbeitslosigkeit.
Die Kartellpolitik der Gewerkschaften ist volkswirtschaftlich ineffizient und kann in einem wirtschaftlich immer stärker zurückfallenden Land nicht länger toleriert werden. Sie schadet dem Gemeinwohl. Die Opfer dieser Politik sind nicht nur die Unternehmen, deren Gewinne schrumpfen, und die Verbraucher, die höhere Preise zahlen müssen. Die Opfer sind vor allem die Arbeitslosen. Die Arbeitslosen verlieren Einkommen und Lebenschancen, sie werden aus der Arbeitsgesellschaft ausgestoßen. Marx, Bebel und Lassalle würden sich im Grabe umdrehen, müssten sie erleben, wie die gewerkschaftliche Kartellpolitik ein neues Proletariat schafft, das bereits seine Kinder daran gewöhnt, dass es für sie keinen Platz in der Gesellschaft gibt.
Die Hochlohnpolitik der Gewerkschaften ist fundamental uneffizient, weil sie sinnvolle wirtschaftliche Betätigung verhindert. Menschen, die weniger produktiv sind und es nicht schaffen, durch ihre Arbeit Werte oberhalb der Tariflöhne zu erzeugen, werden zum Nichtstun verdammt. Auch die Summe geringer Leistungen kann groß sein, wenn über viele Menschen summiert wird. Obwohl die Gewerkschaften versucht haben, den von ihnen selbst induzierten Verlust an Beschäftigung auf dem Weg der Arbeitszeitverkürzung gleichmäßig auf viele Schultern zu verteilen, gibt es 4,5 Millionen Arbeitslose. Das darf so nicht bleiben. Deutschland kann nicht dauerhaft 4,5 Millionen arbeitsfähige Menschen ausgrenzen, bloß damit es den anderen 35 Millionen gelingt, von höheren Löhnen zu profitieren.