Hans-Werner Sinn über eine bessere Arbeitsmarktpolitik
Die Kräfte der Globalisierung drücken die Löhne für die einfachere Arbeit in Deutschland. Noch versucht das Land, sich politisch zu widersetzen. Die Gewerkschaften bleiben stur, und der Sozialstaat verteidigt die Löhne mit seinem Lohnersatzsystem. Sogar über gesetzliche Mindestlöhne wird diskutiert. Aber der Versuch, die ökonomischen Gesetze auszuhebeln, führt nur zu immer mehr Arbeitslosigkeit, immer mehr staatlichen Sozialabgaben und immer mehr Staatsschulden. So geht es nicht.
Bestehen kann Deutschland nur, wenn es dem Lohndruck nachgibt und die größten Verlierer der Globalisierung mittels staatlicher Transfers so weit entschädigt, dass sie weiter ein menschenwürdiges Leben führen können. Nur wenn die Lohnskala wieder stärker nach unten gespreizt wird, entstehen neue Stellen. Die Unternehmen kaufen weniger Vorprodukte im Ausland, ihr Interesse an ausländischen Niederlassungen wird geringer, das Finanzkapital bleibt hier, es werden wieder Werkshallen für Menschen statt für Roboter gebaut, und der Sektor der einfachen Dienstleistungen kann sich neu entfalten. Die Gesellschaft stabilisiert sich, und Deutschland beginnt wieder neu zu wachsen.
Hartz IV hätte ein sinnvolles Kompensationssystem für die Verlierer der Globalisierung werden können. Aber die Chance dazu wurde verpasst. Das Arbeitslosengeld II ist ähnlich wie die alte Sozialhilfe immer noch ein reines Lohnersatzsystem. Jeder, der nicht arbeitet, erhält staatliches Geld – und verliert es in dem Maße, wie er arbeitet. Der Staat bleibt auf dem Arbeitsmarkt der mächtige Konkurrent der privaten Wirtschaft, der die Lohnskala von unten her zusammenstaucht und Deutschland zum Weltmeister bei der Massenarbeitslosigkeit der gering Qualifizierten gemacht hat. Zwischen der Hochlohnkonkurrenz des Sozialstaates auf dem heimischen Arbeitsmarkt und der Niedriglohnkonkurrenz der Polen und Chinesen auf den Absatzmärkten werden die deutschen Arbeitsplätze weiterhin zerrieben.
Bei Hartz IV können Bezieher des Arbeitslosengeldes II nur etwa 50 Euro frei hinzuverdienen. Für jeden zusätzlichen Euro Brutto mehr müssen sie einen Abzug von 80 bis 90 Cent akzeptieren, bis das Arbeitslosengeld II gänzlich abgeschmolzen ist. Wenn also etwa ein Familienvater mit zwei Kindern netto fünf Euro pro Stunde verdienen will, braucht er bei einer Teilzeitstelle von zwölf Wochenstunden einen Stundenlohn von 26 Euro brutto und bei einer Vollzeitstelle mit 35 Euro einen Stundenlohn von 19 Euro brutto. Da es von solch gut bezahlten Stellen in Deutschland nicht genug gibt, muss er weiter arbeitslos bleiben.
Wolfgang Clement (SPD) und Karl-Josef Laumann (CDU) haben nun eine Ausweitung der Hinzuverdienstmöglichkeiten vereinbart. Aber die hört sich besser an, als sie ist: Zwar sollen nun die ersten 100 Euro frei bleiben, und bis zu einem Einkommen von 400 Euro die Abzüge beim Arbeitslosengeld II von 85 Prozent auf 80 Prozent gesenkt werden. Doch oberhalb von 400 Euro bleibt die Grenzbelastung durch Transferentzug und Sozialabgaben weiter bei 80 Prozent. Oberhalb von 800 Euro soll sie sogar auf 90 Prozent steigen – mehr als je zuvor. Die Eigernordwand des Sozialsystems wird unbezwingbar.
Die Mindestlohnschranke, die in dem System angelegt ist, wurde nur am Anfang etwas verringert. So braucht der Familienvater aus unserem Beispiel, der 12 Stunden in der Woche arbeitet und mindestens fünf Euro netto haben möchte, statt 26 Euro nur noch 19 Euro brutto die Stunde. Aber für eine Vollzeitstelle mit 35 Stunden sind es schon wieder so viel wie zuvor. Für zusätzliche Arbeit, die seinen Verdienst über 800 Euro hinaus erhöht, braucht er nun sogar 50 Euro in der Stunde. Bisher waren es 22 Euro oberhalb von 800 Euro und 42 Euro oberhalb von 900 Euro.
Besser wäre es da, die Politik würde dem Bundespräsidenten folgen, der in seiner Grundsatzrede vom 15. März 2005 die aktivierende Sozialhilfe des Ifo-Instituts empfohlen hat. Der Ifo-Vorschlag wird gerade überarbeitet. Dabei soll der Eckregelsatz des Arbeitslosengeldes II um etwa ein Drittel gekürzt und zum Ausgleich dafür der Hinzuverdienst erheblich verbessert werden. Bis zu einem Bruttoeinkommen von 500 Euro gibt es dann keinerlei Transferentzug mehr. Danach liegt die Gesamtbelastung durch Transferentzug und Sozialabgaben einheitlich bei 70 Prozent. Bis zu 200 Euro Hinzuverdienst fallen keine Sozialabgaben für den Arbeitnehmer an, außerdem wird ein Zuschuss von 20 Prozent auf dieses Einkommen gezahlt. Der Familienvater, der einen Teilzeitjob mit zwölf Wochenstunden annimmt und fünf Euro netto erwartet, muss dann nur 4 Euro brutto Stundenlohn verlangen. Dafür wird er auf jeden Fall Beschäftigung finden. Und wenn der Familienvater Vollzeit arbeiten möchte, wird er mit der notwendigen Bruttolohnforderung von 10 Euro ebenfalls unterkommen können. Er hat dann für sich und seine Familie ein Nettoeinkommen von etwa 1900 Euro, 340 Euro mehr als bei dem von Hartz, Clement & Laumann verordneten Nichtstun.
Auch wer trotz der Senkung der Lohnansprüche nichts findet, fällt nicht durch den sozialen Rost, sondern kann immer noch einen Ein-Euro-Job annehmen und zugleich das Arbeitslosengeld II in heutiger Höhe beziehen. Da er an die private Wirtschaft verliehen wird, entsteht auch ein sinnvolles Beschäftigungsverhältnis.
Auch Bundesfinanzminister Hans Eichel müssen keine grauen Haare wachsen. Die staatliche Teilfinanzierung der Arbeit kostet mit allen ökonomischen Rückwirkungen und Mitnahmeeffekten weniger als die Vollfinanzierung der Arbeitslosigkeit, die Deutschland heute betreibt. Sie wandelt den Staat vom Konkurrenten zum Partner der Wirtschaft, macht Deutschlands Arbeitsmärkte fit, hilft den Verlierern und entlastet den Steuerzahler.