Und sie bewegt sich doch

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Wirtschaftswoche, 20.11.2006, Nr. 47, S. 182

Hans-Werner Sinn über die Unternehmensbesteuerung

Roland Koch und Peer Steinbrück haben einen bemerkenswerten Entwurf für eine Steuerreform hingelegt. Die Gesamtbelastung der einbehaltenen Gewinne der Kapitalgesellschaften mit Gewerbe- und Körperschaftsteuer inklusive Solidaritätszuschlag wird (bei einem unterstellten Gewerbesteuerhebesatz von 400 Prozent) von 38,6 Prozent auf 29,8 Prozent gesenkt, und auch die Gesamtbelastung der einbehaltenen Gewinne der Personengesellschaften inklusive Soli wird von 45,7 auf 29 Prozent verringert. Damit kommt Deutschland auf einen Schlag von der Spitzenposition Europas in eine Mittelposition. Verharrte die große Koalition bislang untätig, scheint sie sich nun endlich zu bewegen.

Zinseinkünfte werden nur noch mit einer Abgeltungssteuervon 25 Prozent belastet, woraus durch den Solidaritätszuschlag freilich effektiv 26,4 Prozent werden. Die Steuer wird, wo es möglich ist, bereits bei den Banken erhoben. Der Steuersatz ist passabel. Er liegt unter der schwedischen Abgeltungssteuer von 30 Prozent und ungefähr beim österreichischen Niveau (25 Prozent).

Das Halbeinkünfteverfahren wird abgeschafft. Wurden Gewinne der Kapitalgesellschaften, die an einen Aktionär in der obersten Progressionsstufe der Einkommensteuer ausgeschüttet wurden, bislang mit insgesamt 52,2 Prozent belastet, so fallen (inklusive Soli) nun nur noch 48,3 Prozent an. Die nach Abzug der Körperschaft- und Gewerbesteuer sowie des Solidaritätszuschlags ausgeschütteten Nettogewinne werden nämlich nur noch mit der Abgeltungssteuer und dem Soli auf der Haushaltsebene belastet.

Indem sie das Prinzip der gemeinsamen Veranlagung aller Einkünfte (synthetische Einkommensteuer) aufgeben, haben die Verhandlungsführer den Vorschlag einer dualen Einkommensteuer aufgegriffen, den der Sachverständigenrat im Jahr 2003 und, kurz davor, auch ich in meinem Deutschland-Buch unterbreitet haben. Der Koalitionsentwurf ist sowohl unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten als auch unter ökonomischen Anreizgesichtspunkten grundsätzlich günstig zu beurteilen. Der Sparer, der sein Einkommen später konsumiert, wird gegenüber demjenigen, der es sofort verbraucht, nicht mehr so stark benachteiligt, und der Anreiz, das Kapital in ein Niedrigsteuerland zu verlagern, sinkt.

Loben muss man auch, dass der Entwurf in vielen Details sehr gut durchdacht ist. So macht es durchaus Sinn, bei der Gewerbesteuer die 50-prozentige Anrechnung der Zinskosten für langfristige Kredite durch eine 25-prozentige Anrechnung aller Zinskosten zu ersetzen. Das tut nicht weh, beseitigt aber den künstlichen Anreiz, vornehmlich kurzfristige Finanzierungen zu suchen.

Die Geister scheiden sich bei der Beurteilung der sogenannten Zinsschranke, die für die Körperschaftsteuer der Großunternehmen eingeführt werden soll, um deren Möglichkeiten zu begrenzen, die zu versteuernden Gewinne durch Finanztricks klein zu rechnen. Ein Konzern, der im Ausland eine höhere Eigenkapitalquote realisiert als im Inland und zudem in Deutschland über eine Million Euro Fremdkapitalzinsen zahlt, muss in Zukunft einen Teil der Fremdkapitalzinsen der deutschen Körperschaftsteuer unterwerfen. Zinserträge werden also wie die Erträge des Eigenkapitals mit einer Quellensteuer belastet.

Zwar steht das nicht im Einklang mit dem OECD-Muster- Doppelbesteuerungsabkommen, nach dem Zinserträge der Wohnsitzlandbesteuerung zu unterwerfen sind. Indes gilt es, einen offenkundigen Missstand zu bekämpfen. Viele Großunternehmen haben Eigenkapital nebst der steuerpflichtigen Gewinne in Niedrigsteuerländer wie Irland oder Holland verlagert, arbeiten jedoch in Deutschland mit Fremdkapital, um den hiesigen Steuern zu entgehen. Diese Strategie machte zwar für die Unternehmen Sinn, nicht aber für die Volkswirtschaft. Die Zinsschranke, die in ähnlicher Form auch in den USA existiert, korrigiert die steuerlichen Fehlanreize wieder. Sie ist, wenn sie mit Augenmaß eingesetzt wird, vertretbar.

Weniger gut gelungen sind die neuen Abschreibungsregeln. Statt auf die lineare Abschreibung zu setzen, hätte man lieber eine Annäherung an den tatsächlichen Wertverlust von Anlagen versuchen sollen, was die Abschreibungsbeträge in vielen Fälle auch erheblich reduziert und dem Staat ebenfalls Geld eingebracht hätte. Und gar nicht einverstanden sein kann der Ökonom damit, dass Veräußerungserlöse der Abgeltungssteuer nebst Solidaritätszuschlag unterworfen werden sollen, denn es geht dabei um nicht mehr und nicht weniger als eine Steuer auf realisierte Wertzuwächse. Die Wertzuwachssteuer ist, was häufig übersehen wird, eine auf der Haushaltsebene indirekt erhobene Steuer auf einbehaltene Gewinne, denn Wertzuwächse fallen an, wenn Nettogewinne thesauriert werden.

Im Falle jährlicher Veräußerungen führt diese zusätzliche Steuer zu einer geradezu dramatischen Erhöhung der Gesamtbelastung der einbehaltenen Gewinne der Kapitalgesellschaften von den formellen 29,8 Prozent auf sage und schreibe 48,3 Prozent. Das ist genauso viel wie bei den ausgeschütteten Gewinnen und mehr als die oben schon erwähnten 38,6 Prozent, die im alten Recht bei einer jährlichen Veräußerung (jenseits der Spekulationsfrist von zwölf Monaten) auf einbehaltene Gewinne erhoben wurden.

Hier besteht dringender Korrekturbedarf. Würde dieser Teil der Reform umgesetzt, so würden die Kapitalkosten der Unternehmen erhöht statt gesenkt, und die erhofften Anreizwirkungen für das internationale Kapital könnte man in den Wind schreiben. Roland Koch und Peer Steinbrück erleiden keinen Gesichtsverlust, wenn sie auf die Wertzuwachssteuer verzichten. Tun sie das, wird ihnen ein großer Wurf gelingen.