Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, drängt trotz guter Konjunktur und erfreulichen Wachstums auf weitere Reformen in Politik und Unternehmen.
Vor vier Jahren habe ich mit meinem Buch „Ist Deutschland noch zur retten?" eine umfassende Diskussion ausgelöst. In einem „6+1- Punkte-Programm" zählte ich darin auf, was getan werden müsste, um den deutschen Standort fit für die Globalisierung zu machen: Aktivierende Sozialhilfe, Frührente bei freiem Hinzuverdienst, Investivlöhne, dezentrale Lohnfindung, niedrigere Einkommensteuern und Kinderrente gehörten zu meinen Themen.
Seitdem ist einiges geschehen: Was das Wirtschaftswachstum betrifft, hat Deutschland die rote Laterne an Italien abgegeben und mit einer Wachstumsrate von 2,8 Prozent wieder den Durchschnitt der alten EU-Länder erreicht. Obwohl der Aufschwung noch bis zum Ende des Jahrzehnts dauern könnte, wäre es indes falsch zu sagen, dass das Land seine Hausaufgaben schon gemacht hat. Deutschlands Reformbedarf im Umfeld des Sozialstaats und des Arbeitsmarkts ist ungeschmälert. Das Hauptproblem ist Deutschlands überaus starre Lohnstruktur, die durch die Macht der Gewerkschaften und die Lohnersatzleistungen des Sozialstaats, die implizite Mindestlöhne sind, von unten her hochgestaucht wurde. Deswegen sind zu viele Arbeitsplätze wegrationalisiert worden, deswegen ist der Sektor der haushaltsnahen Dienstleistungen kaputt, deswegen investiert Deutschland mehr im Ausland als im Inland und deswegen hält das Land den zweifelhaften Titel des Weltmeisters bei der Arbeitslosigkeit der gering Qualifizierten. Auch seine demografischen Probleme hat Deutschland noch nicht gelöst.