Man erinnere sich: Im Wirtschaftsboom des Jahres 2000 sahen manche Experten das "Ende der Konjunktur" heraufziehen. "Jetzt wachsen wir nur noch", hieß es optimistisch. Als Deutschland dann in die Flaute kam und die Arbeitslosenzahl 2005 auf fünf Millionen kletterte, geisterte plötzlich die Angst vor dauerhaftem Siechtum durch die Republik. Kaum setzte 2007 der neue Aufschwung ein, riefen einige flugs ein neues Wirtschaftswunder aus. Und heute, nur ein Jahr später, glauben manche schon wieder, es drohe der Weltuntergang.
Angesichts dieser Wankelmütigkeit der öffentlichen Meinung gilt es, besonnen zu bleiben. Sicher: Wir erleben derzeit einen kräftigen Abschwung, der sich von Amerika über die Welt verbreitet. Aber so, wie der Aufschwung in Deutschland mit gut einem Jahr Verzögerung einsetzte, wird uns auch der Abschwung erst mit Verzögerung voll erfassen. Während die Arbeitslosenzahlen in den USA bereits über dem Rekordniveau des Jahres 2003 liegen, kann sich Deutschland zurzeit noch der niedrigsten Arbeitslosigkeit seit 16 Jahren erfreuen. Auch liegt der Auslastungsgrad des Produktionspotenzials nach jüngsten ifo-Umfragen noch immer leicht über dem Durchschnitt.
Dass der neue US-Präsident Barack Obama nun ein gigantisches Konjunkturprogramm von bis zu 700 Milliarden Dollar auflegen möchte, ist verständlich. Aber das heißt nicht, dass wir es ihm nachtun müssen. Man macht kein keynesianisches Konjunkturprogramm, wenn die Kapazitätsauslastung noch beim Durchschnitt liegt. Die EU bläst zwar zum Aufbruch und fordert ein koordiniertes Konjunkturprogramm, am liebsten finanziert von denen, die schon immer das meiste Geld beigesteuert haben. Aber diese Initiative ist wohl eher dem Wunsch von Präsident Nicolas Sarkozy geschuldet, nun endlich seine europäische Wirtschaftsregierung zu etablieren - und sich in dieser Frage gegen Deutschland durchzusetzen.
Die Zeit für ein großes Konjunkturprogramm ist in Deutschland noch nicht gekommen. Wer sein Stroh jetzt verfeuert, hat keines mehr, wenn er es braucht. Man sollte es einsetzen, wenn das Feuer zu verglimmen droht, nicht wenn das Holz noch ganz gut brennt. Wenn die vielfach zu hörenden Befürchtungen stimmen, dass dies die schlimmste Rezession der Nachkriegszeit wird, werden wir mit einigen Jahren der Flaute zu kämpfen haben. Die letzte Flaute war schlimm genug. Sie dauerte vom Sommer 2001 bis zum Sommer 2005, immerhin vier Jahre.
Mit einem mehrjährigen Konjunkturprogramm zum Ausgleich einer solchen Krise würde sich der Staat überheben. Japan ist ein abschreckendes Beispiel dafür, wie ein Staat mit keynesianischer Schuldenpolitik scheitern kann. Im Jahr 1990 lagen die japanischen Staatsschulden bei 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dann kam eine lang anhaltende Wirtschaftsflaute, die die Regierung mit immer neuen Ausgabenprogrammen zu bekämpfen versuchte. Die Schuldenquote stieg innerhalb eines Jahrzehnts auf 135 Prozent und hat inzwischen 170 Prozent erreicht. Dennoch ist die Flaute noch immer nicht zu Ende. Eine solche Politik riskiert in einer alternden Gesellschaft den Staatsbankrott. Deutschland altert genauso schnell wie Japan und hat wegen seiner umlagefinanzierten Renten- und Krankenversicherung eine implizite Staatsschuld von etwa 270 Prozent des Sozialprodukts. Die offene Schuldenquote liegt mit 65 Prozent über der im Maastrichter Vertrag festgelegten und immer noch verbindlichen Schuldengrenze von 60 Prozent. Deutschland sollte daher vorsichtig in seiner Haushaltspolitik sein.
Der Bundeskanzlerin und dem Finanzminister muss man insofern Recht geben, wenn sie sich vom Aktionismus unserer Nachbarn nicht anstecken lassen. Ein vertretbares Konjunkturprogramm arbeitet im Wesentlichen mit Staatsausgaben für Infrastrukturprojekte und will gut vorbereitet sein. Nichts spricht dagegen, schon jetzt die vielfältigen rechtlichen Blockaden von Planungsvorhaben mittels eines Beschleunigungsgesetzes zu lockern, um auf diese Weise für den Zeitpunkt des Einschreitens gerüstet zu sein. Dann können Merkel und Steinbrück die Grundsteine legen, wenn es konjunkturell erforderlich ist.
Dessen ungeachtet spricht seit langem vieles für steuerliche Entlastungen aus strukturellen Gründen. Im Zuge des wirtschaftlichen Wachstums sorgt die progressive Einkommensteuer für einen überproportionalen Anstieg der Steuereinnahmen in Relation zur Wirtschaftsleistung. So stieg das Aufkommen der Steuern auf Einkommen in den Jahren 2005 bis 2007 um etwa 23 Prozent, während die Summe aller Einkommen nur um knapp 8 Prozent zunahm. Das lag nicht nur, aber auch an der schleichenden Progression des Steuertarifs. Um diese für Arbeitnehmer demotivierende Progression (und damit einen wieder steigenden Staatsanteil) zu verhindern, muss man den Steuertarif eigentlich jedes Jahr von neuem anpassen.
Außerdem sollte die Regierung im 20. Jahr nach dem Mauerfall den Solidaritätszuschlag, der ursprünglich nur kurzfristig erhoben werden sollte, wieder abschaffen und bis zur Verbesserung der Wirtschaftslage durch Schulden ersetzen. Der Zuschlag brachte 2007 etwa zwölf Milliarden Euro an Steuereinnahmen, was etwa 0,5 Prozent des BIP oder einem Achtel bis Neuntel der Nettotransfers in die neuen Bundesländer entsprach. Der Soli hatte sich schon vor der Konjunkturflaute überlebt. Jetzt ist es an der Zeit, ihn abzuschaffen und die Schere zwischen dem Brutto- und Nettoeinkommen der Bürger zu verringern.
Hans-Werner Sinn ist Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und Ordinarius an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.