Trotz der mäßigen Liberalisierung der Ladenschlusszeiten vor drei Jahren werden die Deutschen immer noch gegängelt. Sie dürfen nicht dann verkaufen und einkaufen, wenn sie es wollen, sondern nur dann, wenn der Staat es erlaubt. Warum eigentlich? Man weiß es nicht, denn objektive, von Partikularinteressen freie Argumente werden von den Befürwortern des Ladenschlusses nicht gebracht. Entweder haben sie keine Argumente, oder sie sehen nicht ein, dass man Verbote, die sich in existierenden Gesetzen finden, begründen muss.
Man muss sie aber begründen. Nach dem Subsidiaritätsprinzip gilt im Grundsatz die Vermutung, dass die privatwirtschaftlichen Entscheidungsträger selbst am besten wissen, was gut für sie ist, und dass ihre Vorstellungen auf dem Wege über wettbewerblich organisierte Märkte bestmöglich in Übereinstimmung gebracht werden können. Staatliche Intervention ist nur dann und in dem Maße zu rechtfertigen, wie sie Marktfehler korrigiert. Von denen gibt es zwar viele; sie zu analysieren ist das Tagesgeschäft der Nationalökonomen. Doch die Vermutung, dass die Marktteilnehmer über Preis, Qualität, Service, Produktionsweisen, Mengen und Sortimente entscheiden können, nicht aber über die Öffnungszeit der Läden, ist abwegig. Jedenfalls lassen sich auch bei intensiver Suche keine tragfähigen wissenschaftlichen Argumente finden.
Da die Käufer für die erhaltenen Waren zahlen, die Ladeninhaber dafür Geld erhalten und die Beschäftigten mit ihrem Lohn für ihren Arbeitseinsatz kompensiert werden, kann man darauf vertrauen, dass die drei Gruppen der Betroffenen selbst die Öffnungszeit finden, die für ihre jeweilige Situation die richtige ist. Geschäfte, die neue Käufer gewinnen können, schließen spät, und Geschäfte, in deren Umfeld kein entsprechender Bedarf an abendlicher Öffnung vorhanden ist, schließen früher. Und wo der zusätzliche Lohnaufwand, den die Geschäfte für späte Arbeitszeit maximal zu tragen bereit sind, nicht ausreicht, die Beschäftigten für die aufgewendete Zeit zu kompensieren, bleibt die Tür des Abends ebenfalls verschlossen. Je nach den Besonderheiten des jeweiligen Geschäfts ist es überall anders, aber wie es ist, ist es gut. Die künstliche Beschränkung der privaten Entscheidungen durch ein Ladenschlussgesetz ist demgegenüber unnötiger Sand im Getriebe, der niemandem nützt.
Eine Einschränkung dieser Aussage ist allenfalls im Hinblick auf die Interessen der Anrainer zu erwägen, die von Lärmbelästigungen betroffen sein mögen. Diese Interessen können aber viel besser durch lokale Nutzungsbeschränkungen als durch einheitliche Ladenschlusszeiten berücksichtigt werden.
Das ifo Institut und die Sozialforschungsstelle Dortmund haben jetzt in Zusammenarbeit zwei komplementäre Studien erstellt, die verschiedene Aspekte des Problems beleuchten. Dabei hat sich einerseits gezeigt, dass die neuen Öffnungszeiten überwiegend akzeptiert werden und dass eine klare Mehrheit der Deutschen die Aufhebung des Ladenschlusses wünscht. Andererseits wurde auch klar, dass die bislang schon realisierte Teilliberalisierung des Ladenschlusses den schon seit vielen Jahren stattfindenden Abbau von Arbeitskräften nicht hat aufhalten können. Verblüffen muss, wie unbekümmert manche der politischen Gegner der Liberalisierung die Aussagen zur Beschäftigungsentwicklung missinterpretieren und nun einen Widerspruch zwischen den beiden Gutachten konstruieren wollen. Eine grobe Interpretationssünde liegt in der Behauptung, die Beschäftigung sei "wegen" der längeren Öffnungszeiten zurückgegangen. Davon sagen die Gutachten nichts, aber auch gar nichts. Eine lässliche Sünde liegt in der Behauptung, an dem nur geringen Beschäftigungseffekt der Liberalisierung zeige sich, dass das Ganze "nichts gebracht" habe. Als ob die Erwartung eines Beschäftigungseffektes die Begründung für die Liberalisierung sei! Beschäftigung ist wichtig, aber es kann nicht angehen, alles und jedes nur noch anhand der Beschäftigungseffekte zu beurteilen. Sonst müssten wir die Rationalisierungswelle der Automobilindustrie genauso verurteilen wie einst die Einführung des Webstuhles oder den säkularen Rückgang der landwirtschaftlichen Beschäftigung. Wenn die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten den Nutzen der 70 Millionen Kunden gesteigert hat, ohne dass mehr menschliche Arbeitskraft bei der Verteilung der produzierten Waren verbraucht wurde, so ist das doch nicht beklagenswert, sondern begrüßenswert. Hüten wir uns vor der Blindheit, die bei manchen Interessenvertretern Platz greift, wenn sie die Arbeitsplatzkeule schwingen.
Was wir uns in Deutschland in puncto Ladenschluss heute leisten, ist ein Anachronismus, über den die anderen Länder nur noch lachen können - geradezu ein Symbol für die Starrheit und Reformunfähigkeit einer Volkswirtschaft, die in den Partikularinteressen eines korporatistischen Gesellschaftssystems verfangen ist. Wo bleiben denn nun die Modernisierer, die Deutschland auf Trab bringen wollen? Besteht hier wirklich kein Handlungsbedarf?
Der Autor ist Präsident des ifo Instituts in München.