So unbestritten der politische Entscheid zur deutschen Wiedervereinigung die wohl einmalige Gunst der Stunde genutzt hat, so umstritten war er von Anbeginn an aus ökonomischer Sicht. Prof. Hans-Werner Sinn hat zusammen mit seiner Frau Gerlinde Sinn vor kurzem unter dem Titel "Kaltstart" ein Buch veröffentlicht, das die Wiedervereinigung unter die kritische Lupe der Wirtschaftswissenschaft nimmt, jedoch nicht bei der Kritik stehenbleibt, sondern konkrete Vorschläge macht, wie es nun weitergehen soll. Einige dieser Thesen fasst Sinn im folgenden für die Leser der NZZ zusammen.
Plädoyer für einen Kurswechsel
Manch einer hatte nach der deutschen Vereinigung ein Wirtschaftswunder wie nach der Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1948 erwartet. Die führenden Politiker hatten solche Erwartungen ja genährt, und man kann es keinem Bürger der neuen Bundesländer verdenken, wenn er geglaubt hat, mit der Vereinigung würden mit einem Schlage, oder doch zumindest nach "drei, vier, fünf" Jahren, Verhältnisse wie im Westen hergestellt sein. Die Wahrheit sieht anders aus. Mit der Vereinigung brach die Wirtschaft Ostdeutschlands in sich zusammen. Über Nacht gezwungen, mit den Regeln und Mechanismen eines gänzlich anderen Wirtschaftssystems zurechtzukommen, konnte die ostdeutsche Wirtschaft nicht einmal das geringe Produktivitätsniveau aufrecht erhalten, das dem kommunistischen Staat temporär eine bescheidene Existenz erlaubt hatte. Die industrielle Warenproduktion fiel vom ersten Halbjahr 1990 bis zum zweiten Halbjahr 1991 um mehr als 50%, und selbst das reale Bruttoinlandsprodukt fiel um mehr als 40%. Eine Depression solchen Ausmasses hat es bislang in der Geschichte der Industrienationen noch nicht gegeben. Selbst die Weltwirtschaftskrise am Ende der zwanziger Jahre hatte keine vergleichbaren Wirkungen gehabt.
Sicherlich wird nach dem Abschwung in Ostdeutschland nun bald der Aufschwung beginnen. Man sieht schon viele neue Geschäfte, die Menschen beginnen, ihre Häuser zu streichen, und ein starker Bauboom kündigt sich an. Es kann aber nicht die Rede davon sein, daß der Aufschwung in "drei, vier, fünf" Jahren eine Angleichung der Wirtschaftskraft zwischen Ost- und Westdeutschland bewirken wird. Dieses Ziel kann nicht einmal annähernd erreicht werden. Die Kapitallücke, die im Osten zur Erreichung der westdeutschen Wirtschaftskraft aufgefüllt werden müsste, liegt je nach Annahme über den Wert der Treuhandobjekte unter heutigen Verhältnissen zwischen 1 Bio. DM und 1,5 Bio. DM. Um die Lücke zu schliessen, wären somit 10 Jahre lang Nettoinvestitionen von 100 bis 150 Mrd. DM jährlich nötig. Zusätzlich müsste der Kapitalstock jedes Jahr mindestens um 50 Mrd. DM wachsen, um mit der Kapitalakkumulation des Westens Schritt zu halten. Das bedeutet, dass, selbst wenn man den Zeithorizont von den genannten fünf Jahren auf zehn Jahre verdoppelt, jährliche Nettoinvestitionen von insgesamt 150 bis 200 Mrd. DM nötig wären. Leider sind solche Zahlen ganz und gar utopisch, denn sie entsprechen Investitionsquoten von anfänglich 90 bis 120% des ostdeutschen Sozialproduktes, was zehn- bis vierzehnmal so viel ist wie die westdeutsche Quote. Unterstellt man einen Anpassungszeitraum von 20 Jahren, so kommt man der Wahrheit wohl näher, aber auch dann braucht man noch recht optimistische Annahmen, um mit der Rechnung "hinzukommen."
Wäre der Traum von der baldigen Anpassung der Lebensverhältnisse mehr als nur ein Traum, könnte die deutsche Wirtschaftspolitik das Thema der Vereinigung vergessen. Das Ziel ist ja klar, die Weichen sind gestellt, und ob es nun ein Jahr mehr oder weniger dauert, bis die Wirtschaft des Ostens Westniveau erreicht haben wird, wäre dann nicht so wichtig. Bedenkt man jedoch, um welche Zeiträume es geht und in welch großem Umfange noch Sozialtransfers und Aufbauhilfen in den Osten werden fliessen müssen, dann ergibt sich eine ganz andere Schlussfolgerung. Nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg dorthin ist das Problem. Es gilt, die Startbedingungen so zu setzen und den Weg so zu wählen, dass die Kosten und der Zeitbedarf des Transformationsprozesses minimiert werden. Auch die bereits erfolgten Weichenstellungen müssen stets überprüft und bei Bedarf korrigiert werden.
Hauptfehler der deutschen Vereinigungspolitik
Es ist anzuerkennen, daß trotz der Hektik des Wiedervereinigungstrubels viele Weichen richtig gestellt wurden; insbesondere die Vereinigung nach Artikel 23 des Grundgesetzes und die Schaffung stabiler Rahmenbedingungen wird sich als grosser Vorteil erweisen. Aber es wurden auch Fehler gemacht, die drohende Gefahren am Horizont heraufbeschwören. Noch ist es Zeit, diese Fehler zu korrigieren.
Misslungene Naturalrestitution
Der erste Hauptfehler der deutschen Vereinigungspolitik war der Versuch, eine Naturalrestitution von Vermögensobjekten vorzunehmen, also jenes Drittel der DDR-Wirtschaft an die Alteigentümer zurückzugeben, das nach 1949 und vor 1945 enteignet worden war. Der Versuch entspringt einem spontanen Rechtsempfinden, das uneingeschränkt zu teilen ist, aber er droht an prohibitiven Verwaltungsengpässen und unklaren Eigentumsverhältnissen zu scheitern, ja er ist eigentlich bereits gescheitert. Nicht weniger als 2 Millionen Anträge sind von 1,2 Millionen Personen gestellt worden. Im Sommer 1991 waren in Sachsen 8% und in Sachsen-Anhalt 4% der Anträge abgewickelt, aber bis zum Oktober 1991 konnten in allen Bundesländern zusammen erst 3% der Akten geschlossen werden. Nicht weniger als 90% der in Sachsen erfolgten Unternehmensrückgaben waren zu diesem Zeitpunkt wegen anhängiger privater und öffentlicher Klagen noch nicht rechtskräftig. Nach Schätzung des Bundesamtes für offene Vermögensfragen wird es zehn Jahre dauern, bis auch nur das Gros der Eigentumsfragen geklärt sein wird.
Der letzte Nobelpreisträger in Volkswirtschaftslehre, Ronald Coase, aber auch die Begründer des deutschen Ordo-Liberalismus wie Eucken, Müller-Armack oder Böhm haben gelehrt, wie wichtig wohldefinierte Eigentumsrechte für die Marktwirtschaft sind. Wem diese Rechte zugewiesen werden, ist zweitrangig. Die Hauptsache ist, dass sie zugewiesen werden, denn erst dann kann die unsichtbare Hand des Marktes ihre wohltuende Wirkung entfalten. Nichts von dieser Erkenntnis wurde bei der deutschen Vereinigung berücksichtigt. Partikularinteressen der auf Restitution hoffenden Bevölkerungsschichten haben auf westdeutscher Seite den Urhebern des Einigungsvertrages die Feder geführt und bewirkt, dass die Marktwirtschaft in den neuen Bundesländern nicht mit der gebotenen Eile installiert werden konnte. Man hat eine Rent-Seeking Ökonomie geschaffen, in der dynamische Unternehmer ihre Kräfte im Verteilungskampf verschleissen, statt sie dem Aufbau des Landes zu widmen.
Schleuderverkäufe
Der zweite Hauptfehler der Vereinigungspolitik liegt in dem Versuch, den nicht der Restitution unterliegenden Teil der DDR-Wirtschaft (zwei Drittel) mit Rendite und zum Nutzen der ostdeutschen Bevölkerung zu verkaufen. Mengenmässig ist der Verkauf des volkseigenen Vermögens durch die Treuhandanstalt leidlich vorangekommen, doch gemessen an den anfänglichen Erwartungen sind die erzielten Verkaufserlöse mehr als enttäuschend. Während die Behörde noch im Herbst 1990 Erlöse in Höhe von DM 600 Mrd. anvisierte, kann sie nun, nachdem vielleicht ein Drittel der Privatisierungsaufgabe erledigt ist, gerade Erlöse in Höhe von 15 Mrd. DM aufweisen. Die Realisation bleibt um eine Zehnerpotenz hinter den Erwartungen zurück. Es drängt sich der (auch theoretisch zu erhärtende) Verdacht auf, daß die Absorptionsfähigkeit der Realkapitalmärkte durch die Massenverkäufe der Treuhandanstalt überstrapaziert wird und dass die Verkäufe zu einer Schleuderaktion ausarten.
Besonders problematisch ist, dass die Ostdeutschen bei dieser Schleuderaktion praktisch leer ausgehen, obwohl ihnen in Artikel 25 des Einigungsvertrages sogar Hoffnung auf die unentgeltliche Übertragung eines "verbrieften Anteilrechtes am volkseigenen Vermögen" gemacht worden war. Bei der Währungsumstellung hatte man darauf geachtet, daß die Bürger der DDR genau nur jenen Geldbestand umgewechselt bekamen, den sie, gemessen an westdeutschen Kassenhaltungsgewohnheiten, zur Bewerkstelligung der laufenden Einkommenstransaktionen brauchen würden. Darüber hinaus gehende Finanzaktiva, wie sie im Westen als Pendant des vorhandenen Realkapitalbestandes vorhanden sind, hatte man den Bürgern der DDR nicht überlassen. Dieser Umstand erklärt, wieso die Bürger der neuen Bundesländer trotz der Schleuderpreise nicht in der Lage sind, ihr durch Lohnverzicht akkumuliertes "volkseigenes" Vermögen zurückzusteigern. Zumindest im ersten Jahr der Treuhandaktivität galt, dass etwa 95% der Objekte an Ausländer und Westdeutsche, doch nur 5% an Ostdeutsche vergeben wurden, wobei die zugrundeliegenden Wertverhältnisse sicherlich noch drastischer verzerrt sind. Es ist eine diskussionswürdige Frage, ob es der Schutz des Eigentums nicht geboten hätte, den ehemaligen Besitzern des volkseigenen Vermögens zumindest einen Teil dieses Vermögens zu belassen und individuell zuzuweisen.
Die Frage stellt sich um so mehr, als der Unternehmensverkauf keine besonders effiziente Privatisierungsmethode ist und deshalb auch nicht durch ein überragendes Gemeinschaftsinteresse gerechtfertigt werden kann. Der Verkauf behindert die Investitionen, weil er die Investoren zwingt, zweimal zu zahlen: für die notwendigen Sanierungsinvestitionen und das übernommene Altkapital. Wie unten erläutert wird, gibt es eine andere Privatisierungsmethode, welche die impliziten Eigentumsrechte der ostdeutschen Bevölkerung respektiert und zugleich mehr Investitionen induziert.
Beschäftigungsverbot
Der wohl gravierendste Fehler der Vereinigungspolitik liegt in der Vernachlässigung des Lohnproblems. Die unter westdeutschen Bedingungen erprobte Tarifautonomie der Gewerkschaften und Unternehmerverbände wurde auf die neuen Bundesländer übertragen, ohne zu bedenken, daß die wichtigsten Bedingungen für die Funktionsfähigkeit dieser Autonomie, nämlich die Gleichgewichtigkeit und Unabhängigkeit der Verhandlungspartner, wegen der noch ausstehenden Privatisierung der Industrie nicht erfüllt sein konnte. Die bisher erzielten Lohnabschlüsse sind das Ergebnis von Stellvertreterverhandlungen, bei denen die westdeutschen Arbeitgeber die Rolle der im Osten nicht vorhandenen Kapitalbesitzer einnahmen und die westdeutschen Gewerkschaften ihren neu gegründeten Tochterinstitutionen im Osten helfend und beratend zur Seite standen. Die oberste Devise der Verhandlungsführer war es, eine Niedriglohnkonkurrenz seitens der alten DDR-Industrie von vornherein auszuschalten, die Devise war nicht, durch eine behutsame Lohnpolitik den ostdeutschen Konkurrenten echte Wettbewerbschancen zu verschaffen. Die Kontrakte der Tarifpartner wurden zulasten Dritter abgeschlossen, die am Verhandlungstisch nicht vertreten waren: der westdeutschen Steuerzahler, die die Zeche über Sozialtransfers bezahlen müssen, und letztlich auch der ostdeutschen Bevölkerung, deren Arbeitsplätze vernichtet werden und deren "volkseigenes" Vermögen durch die Lohnpolitik entwertet wurde.
Der Missbrauch der Tarifautonomie und die Verletzung allgemeiner Regeln des Vertragsrechts ist so erheblich, daß eine verfassungsrechtliche Überprüfung der Tarifabschlüsse geboten erscheint. Man braucht kein Ökonom zu sein, um einzusehen, dass die geplante und zum Teil schon fest vereinbarte Lohnentwicklung die Leistungskraft der ostdeutschen Wirtschaft weit übersteigt und einem industriellen Beschäftigungsverbot nahekommt. Die effektiven Bruttostundenlöhne der Industrie dürften derzeit bei knapp 50% des Westniveaus liegen, also bei einem Prozentsatz, der noch Raum für die Hoffnung lässt, dass sich eine modernisierte ostdeutsche Wirtschaft nach der bisherigen Talfahrt bald wieder fangen wird. Aber wenn man den Muster-Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie von Mecklenburg-Vorpommern als Massstab nehmen darf, dann wird die ostdeutsche Wirtschaft bereits im nächsten Jahr japanische oder US-amerikanische Löhne und in drei Jahren die hinter der Schweiz höchsten Löhne dieser Erde verkraften müssen. Die vereinbarten Lohnerhöhungen bedeuten in der Zeitspanne vom Frühjahr 1990 bis zum Frühjahr 1995 einen Zuwachs der in Devisen gerechneten Bruttostundenlöhne von nicht weniger als eintausendundeinhundert Prozent (1100%). Die Lohnpolitik wird der schon angeschlagenen Wirtschaft der neuen Bundesländer den Rest geben und droht, die vielen neuen Pflänzchen unternehmerischer Tätigkeit, die gerade erst sichtbar wurden, wieder zu ersticken.
Der Sozialpakt für den Aufschwung
Wenn man nicht die ökonomische Zukunft der Bundesrepublik aufs Spiel setzen will, müssen die offenkundigen Fehler der Vereinigungspolitik schleunigst korrigiert werden. Eine Möglichkeit wird mit dem "Sozialpakt für den Aufschwung" aufgezeigt, der in dem Buch "Kaltstart" entwickelt wird. Der Pakt besteht aus zwei Teilen.
Lohnstillhalteabkommen ...
Zum einen sollen die Tarifpartner ein Lohnstillhalteabkommen schließen, das die derzeitige Relation von ost- und westdeutschen Tariflöhnen für fünf Jahre einfriert. Die im Westen ausgehandelten Tarifänderungen werden im Osten anteilig übernommen, ohne dass separate Tarifverhandlungen im Osten erforderlich sind. Die Effektivlöhne bleiben indes frei und können aufgrund individueller Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch höher angesetzt werden. Um Mißbrauch auszuschließen und den Privatisierungsanreiz zu stärken, dürfen die noch nicht privatisierten Betriebe nur die Tariflöhne zahlen. Staatliche Behörden in grenznahen Gebieten können in Einzelfällen (z.B. als neue Berlinpräferenz) höhere Löhne bieten, wenn akute Abwanderungsgefahren bestehen.
... gegen Restbeteiligung
Zum anderen wird die Privatisierung mittels Barverkauf durch eine Privatisierung mittels zurückbehaltener Restbeteiligungen ersetzt, wobei die Restbeteiligungen der ostdeutschen Bevölkerung zum Ausgleich für die Lohnzurückhaltung zu übereignen sind. Statt einen Kaufpreis zu zahlen, räumt der Erwerber eines ostdeutschen Unternehmens der Treuhandanstalt eine stimmrechtslose Minderheitsbeteiligung ein, deren Höhe, ähnlich wie jetzt der Preis, unter Berücksichtigung verbindlicher Investitionszusagen auszuhandeln ist. Idealerweise spiegelt die Mehrheitsbeteiligung den Wert der Sanierungsinvestitionen und des eingebrachten Know-how wider, während die Minderheitsbeteiligung den Wert des von der Treuhand eingebrachten Altkapitals repräsentiert.
Wie die Minderheitsbeteiligungen weiterverteilt werden, ist sekundär; sie sollten aber schnell verteilt werden, um den Einfluss der Staatsbehörde zu verringern. Möglich ist eine schematische Verteilung über zwischengeschaltete Fonds oder eine Verteilung nach der Art des tschechischen Auktionsverfahrens. Bei Firmen und Vermögensobjekten, die nicht bilanziert werden, soll die Restbeteiligung durch festverzinsliche Restforderungen ersetzt werden, die ebenfalls an die ostdeutsche Bevölkerung zu verteilen sind. Diese Methode eignet sich besonders für die umfangreichen Immobilienwerte, über die die Treuhandanstalt verfügt.
Mehr Investitionen ...
Der Sozialpakt ersetzt überhöhte Faktorlöhne durch Faktorausstattungen und ermöglicht so gewaltige Effizienzgewinne, ohne für die ostdeutschen Arbeitnehmer Verteilungsnachteile mit sich zu bringen. Die Effizienzgewinne ergeben sich, weil der Ersatz der Löhne durch Erstausstattungen an Beteiligungskapital die Produktionskosten senkt und die Menge der rentablen ökonomischen Aktivitäten dramatisch vergrössert. Betriebe, die in einer Übergangszeit noch sinnvoll weiterproduzieren können, bleiben wettbewerbsfähig, und es werden verstärkt Investitionen und Firmengründungen induziert, von denen allein ein kraftvoller Aufschwung getragen werden kann. Mit der Realisierung des Sozialpaktes gehört Ostdeutschland noch lange nicht zu den extremen Niedriglohngebieten der EG wie z.B. Griechenland oder Portugal, aber es hätte den Rang eines Aufsteigers wie Irland und damit eine echte Chance, auf absehbare Zeit den Anschluß zu finden. Darüber hinaus kann von der Realisation des Beteiligungsmodells auch schon für sich genommen eine Verbesserung des Investitionsklimas erwartet werden, weil dieses Modell darauf hinausläuft, daß die Treuhandanstalt den privatisierten Unternehmen die Verkaufserlöse in Form von risikotragendem Eigenkapital wieder zur Verfügung stellt.
Es braucht nicht befürchtet zu werden, dass wegen der Teilung der Gewinne weniger Investitionsanreize bei den privaten Investoren entstehen. Die Anfangsinvestitionen sind Teil des Kontraktes mit der Treuhand und werden bei der Wahl des Beteiligungssatzes berücksichtigt und honoriert. Spätere Investitionen, die aus einbehaltenen Gewinnen bezahlt werden, tragen Mehrheits- und Minderheitseigner durch Ausschüttungsverzicht gemeinsam. Und wenn der Mehrheitseigner später zusätzliche Investitionen mit neuem Eigenkapital speist, so wird er dafür durch eine Erhöhung seines Kapitalanteils und seiner prozentualen Gewinnbeteiligungen entschädigt.
...und mehr Gerechtigkeit
Ein grosser Vorteil des Sozialpaktes liegt darin, dass Ostdeutsche mit dem Beteiligungsmodell eine echte Chance erhielten, selber Firmen zu übernehmen. Zum einen würden ihnen mit den Fonds- und Belegschaftsaktien Vermögensbestände zugewiesen, die sie für die bei der Übernahme von Mehrheitsbeteiligungen notwendigen Sanierungsinvestitionen verkaufen oder beleihen könnten. Zum anderen brauchen sie ja keine Finanzierungsmittel für den blossen Erwerb der von der Behörde übergebenen Altkapitalien. Die unglückliche Trennung der deutschen Bevölkerung in westdeutsche Kapitalisten und ostdeutsche Arbeiter, die die derzeitige Politik induziert, würde überwunden, und es könnte sich originäres Unternehmertum in Ostdeutschland entwickeln.
Naturalrestitution mittels Beteiligungsmodell
Wenngleich das Beteiligungsmodell, das für den Sozialpakt empfohlen wurde, als Ersatz für die Verkaufsmethode konzipiert ist, könnte es auch bei der Abwicklung der Naturalrestitution nützlich sein. Das Problem der Naturalrestitution ist die Investitionsblockade durch Ansprüche der Alteigentümer. Eine Möglichkeit, diese Blockade aufzuheben, besteht darin, die Alteigentümer pekuniär zu entschädigen, aber diesem Weg sind durch den Einigungsvertrag enge Grenzen gesetzt . Eine andere Möglichkeit liegt darin, auch in jenen Fällen nach dem Restbeteiligungsmodell zu privatisieren, in denen die derzeitige Rechtslage eine Rückgabe der Treuhandobjekte an die Alteigentümer vorsieht. Da die Restbeteiligungen den Wert des von der Treuhandanstalt eingebrachten Altkapitals widerspiegeln und darüber hinaus den Charakter eines realwirtschaftlichen Vermögensanspruches haben, können sie im Prinzip für den Zweck der Naturalrestitution genutzt werden. Zumindest sollte dem Rechtszweck der Naturalrestitution dann hinreichend Genüge getan werden, wenn die Restbeteiligungen in solchen Fällen ausnahmsweise mit den vollen Stimmrechten des anteiligen Unternehmenseigentums ausgestattet werden. Bei unklaren Eigentumsverhältnissen hätte diese Form der Naturalrestitution den großen Vorteil, daß die Treuhandanstalt einen potenten Investor als Mehrheitseigner suchen könnte, ohne auf die Klärung der Eigentumsverhältnisse warten zu müssen. Die Restbeteiligungen könnten später, nach einer Klärung, den Restitutionsberechtigten übergeben werden oder, wenn ein rechtmäßiger Anspruch nicht bestand, an die ostdeutsche Bevölkerung verteilt werden.
Noch ist es nicht zu spät
Der Sozialpakt hat heute noch eine reale Basis. Der Löwenanteil der Privatisierungsaufgabe ist noch nicht erledigt, und die Löhne sind erst halb so hoch wie für den Abschluß der Aufholphase geplant. Ein sofortiges Umschwenken der deutschen Wirtschaftspolitik bietet die reale Chance, die kollektive Unvernunft im Osten gerade noch rechtzeitig zu stoppen.
Es braucht nicht befürchtet zu werden, daß sich die ostdeutsche Bevölkerung für den Sozialpakt nicht gewinnen ließe. Wenn sie von verantwortungsbewußten Politikern über die Risiken des jetzt eingeschlagenen Kurses aufgeklärt wird, dann wird sie die Chancen des Sozialpaktes sehr wohl zu schätzen wissen. Man muß ihr klarmachen, daß Arbeitslosigkeit vermieden werden kann und daß der Wert der Beteiligungsrechte den temporären Verzicht auf Lohnsteigerungen kompensieren wird. Jedes Jahr, um das es gelingt, die Lohnverdoppelung hinauszuschieben, vergrößert den Wert der Ostunternehmen um mehr als die jährliche Lohnsumme, also um einen dreistelligen Milliardenbetrag. Eine wettbewerbliche Vergabe der Mehrheitsbeteiligungen durch die Treuhandanstalt würde den größten Teil dieser Wertsteigerung für die Bevölkerung der neuen Bundesländer sichern können.
Dem Sozialpakt mag man angesichts der Starrheit des politischen Entscheidungsprozesses geringe Realisierungschancen einräumen. Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist aber eigentlich nur er realisierbar. Nicht realisierbar ist jedenfalls die deutsche Wirtschaftspolitik, die fundamentale ökonomische Gesetzmäßigkeiten überlisten möchte und die dabei entstehenden Probleme mit Sozialtransfers übertüncht. In "drei, vier, fünf" Jahren wird es nicht zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse gekommen sein, sondern die Macht der Verhältnisse wird einen schmerzhaften Kurswechsel der Wirtschaftspolitik erzwingen. Kluge Politiker würden sich bemühen, dieser Entwicklung schon heute zuvorzukommen. Es sage nachher niemand, er habe die Probleme nicht gekannt und von den Politikalternativen nicht gewußt.