Wie soll eine Zentralbank ausgestaltet sein?

Online-Presseartikel von Giuseppe Bertola, John Driffill, Harold James, Hans-Werner Sinn, Jan-Egbert Sturm, Akos Valentinyi, Ökonomenstimme, www.oekonomenstimme.org, 07.03.2013

Wie zentralisiert sollten die Tätigkeiten einer Zentralbank sein? Zentralbanken wurden ursprünglich als Instrumente zur Erleichterung der Finanzgeschäfte vereinigter und zentral gesteuerter Staaten geschaffen. Das war der Fall bei den ersten Zentralbanken – in Schweden, England und Frankreich.

Modelle für die Funktionsweise von Bundeszentralbanken hingegen kamen erst um einiges später, in Deutschland (1875), der Schweiz (1907) und den USA (1914).[ 1 ] Die Bundeszentralbanken erforderten komplexe Regeln, um sicherzustellen, dass es keine Einflussnahme durch die Bundesregierung gab, und dass geldpolitische Operationen und Transferzahlungen zwischen verschiedenen Regionen die unterschiedlichen Bedingungen eines großen geographischen Gebiets widerspiegelten.

Die Zentralbank als Teil des US-amerikanischen bundesstaatlichen Modells, das Federal Reserve System, wurde oft als Modell für das europäische System der Zentralbanken vorgehalten.

Die Frage nach der Beziehung einer Bundeszentralbank zu den lokalen Bankensystemen – und zu den von lokalen Eliten aufgebauten Klientelsystemen – war immer schon eine hoch kontroverse Frage in der amerikanischen Politik. Die Befürchtung, dass lokale Interessen der Bankenelite Massachusetts und New Yorks zum Opfer fallen, war ein starker Antrieb der Gegner von Alexander Hamiltons Plan im Jahr 1790.

Das Federal Reserve System wurde so gestaltet, dass es eine gegenseitige Kontrolle implizierte, und zudem sicherzustellte, dass das System weder von der mächtigen Finanzbranche der Ostküste noch von der Regierung in Washington beherrscht werden konnte.

Die regionalen Notenbanken (Reserve Banks) waren für Gebiete zuständig, die man als logische wirtschaftliche Gebiete ansah, und welche nicht notwendigerweise mit den Staatsgrenzen übereinstimmten. Eine separate Notenbank für jeden einzelnen Staat hätte ein zu kompliziertes System geschaffen, mit einem großen und schwerfälligen Komitee (urspr. bezeichnet als Federal Reserve Advisory Council). Ein Großteil der Vorstandsmitglieder der Reserve Banks wurde von den lokalen national zugelassenen Banken gewählt, die das US-Finanzsystem entwarfen und von welchen gefordert wurde, das Kapital der Reserve Bank zu zeichnen. Dieses Prinzip setzt sich bis heute fort. Das Gremium aus sieben Mitgliedern in Washington war das politische Gegenstück und fünf der Mitglieder wurden durch den Präsidenten mit der Empfehlung und der Zustimmung des Senats ernannt.

Um den überraschenden Charakter dieses Modells hervorzuheben ist ein gedankliches Experiment nützlich. Ein modern-europäisches Äquivalent zu der Federal Reserve wäre es, regionale Zentralbanken zu schaffen, die sich auf dem Privatsektor stützen und z.B. aus alpinen, baltischen, Nordsee-, Atlantik-, Donau- und mediterranen Banken bestehen.

Das ursprüngliche Federal Reserve System (1914) ähnelte in vielerlei Hinsicht eher dem Zusammenwirken nationaler Zentralbanken im internationalen System des Goldstandards. Die 12 Reserve Banks steuerten ihre eigenen Geschäfte und hatten ihre eigene Geldpolitik.

Die individuellen Banken wurden zudem aufgefordert Gold in ihren Beständen zu halten, um negative Salden ausgleichen zu können. Der Verlust von Gold würde ihren Mindestreservesatz beeinflussen, was bedeutet hätte, dass sie auch die Kreditvergabe an Banken reduzieren müssten und somit die regionale Geldmenge schrumpfen würde.

Während der starken Deflation am Ende des ersten Weltkrieges in den Jahren 1920/21 waren die landwirtschaftlichen Bereiche stärker betroffen als die Industriebezirke, und die Zahlungen an Landwirte waren langsam und zu niedrigen Preisen. Die Konsequenz daraus war ein Zahlungsbilanzdefizit. Als die Reserven fielen, standen die Reserve Banks unter Druck, aber sie nahmen Kredite von anderen Reserve Banks mit großen Überschüssen auf, um die Auswirkungen zu minimieren.

Während der großen Depression, wo ein ähnlicher Effekt hätte erwartet werden können, wurden die Fehlbeträge aufgrund der regionalen Zahlungsbilanzdefizite nicht mit gebietsübergreifenden Darlehen, sondern mit föderalen Finanzausgleichszahlungen durch die Federal Reserve Bank ausgeglichen.

Während der großen Depression entfernte sich das Federal Reserve System von seiner früheren Methode der Kreditbeschränkung für durch Warenwechsel abgesicherte Darlehen (die sogenannte real bills doctrine) hin zum vermehrten Gebrauch von Staatsanleihen als Sicherheit, und anschließend zum direkten Erwerb von Staatsanleihen.

Die Ausweitung des Bundeshaushalts vermied die Notwendigkeit großer Finanzierungsoperationen der Zentralbank über das gebietsübergreifendes Zahlungsausgleichskonto (interdistrict settlement account). Darüber hinaus verhinderte die Neuerung im Kreditgeschäft eine Abhängigkeit der Geldpolitik von regionalen Ungleichgewichten.

Große gebietsübergreifende Überschüsse und Defizite traten erst wieder nach 2008 auf, nach dem Zusammenbruch des privaten Interbankenmarkts. In diesem Zeitpunkt sprang, ebenso wie in Europa, das Federal Reserve System ein für das Versagen der Bankenintermediation des privaten Sektors.

Das Setzen von Zinssätzen wie in der Goldstandardzeit, in der die einzelnen Mitgliedsbanken ihre eigenen Zinsen setzten, unterscheidet sich deutlich von der modernen Methode der Währungsunion, welche auf einem einzigen einheitlichen Zinssatz basiert.

Für Europa bedeutete der Ein-Maß-passend-für-alle Ansatz, dass in den 2000ern die Zinssätze in den Ländern Südeuropas zu niedrig und in Nordeuropa zu hoch waren. Identische Nominalzinssätze mit divergierenden Realsätzen verursachten nicht aufrecht zu erhaltende Kreditbooms im Süden. Im Gegensatz hierzu hätte eine Goldstandard-Regelung zu höheren Zinssätzen für südeuropäische Kreditnehmer geführt, was das Kapital dort hingezogen hätte, wo es produktiv hätte eingesetzt werden können, und hätte gleichzeitig als Beschränkung für rein spekulative Kapitalflüsse gewirkt.

Ein modernes Äquivalent zum Goldstandard- bzw. frühen Federal Reserve Ansatz würde eine unterschiedliche (höhere) Besicherung für Zentralbanken verlangen, die in Ländern mit Immobilien- und Kreditboom agieren (Spanien oder Irland vor 2007), als in Ländern ohne Kreditboom (Deutschland vor 2007).[ 2 ]

Der Ausgleichsmechanismus änderte sich in den 1930ern und wurde von „Gold Settlement Account“ in „Interdistrict Settlement Account“ (ISA) umbenannt. Von den 1970ern bis 2008 waren die Salden klein und von geringer Bedeutung, da gebietsübergreifende Transfers im Wesentlichen über den Interbankenmarkt auftraten. Nach 2008, im Zuge des Stillstands des Interbankenmarktes, wurde der ISA äußerst wichtig.

Nach der Finanzkrise traten dennoch große und andauernde Ungleichgewichte auf, mit großen Verbindlichkeiten der Banken von San Francisco und Richmond und großen Forderungen von New York. Es sind zwar relativ kleine Beträge verglichen mit der gesamten Verlängerung der Bilanz des Federal Reserve Systems, jedoch sind sie nicht unwichtig.

Die ISA Bilanzen sind vergleichbar mit den europäischen Target Positionen in der Hinsicht, dass sie durch sehr große Kapitalbewegungen von Geschäftsbanken heraus entstehen, welche über die gesamten Vereinigten Staaten agieren, ihren Hauptsitze (und somit ihren Finanzplatz) jedoch an einem bestimmten Standpunkt in einem der 12 Notenbankdistrikte haben. Die plausibelste Erklärung beinhaltet die Niederlassung der Hauptgeschäftsstellen der großen Banken im San Francisco Distrikt (Wells Fargo) und im Richmond Distrikt (Bank of America), wobei die Federal Reserve Bank Ansprüche gegen diese Banken erhebt, und sie nicht im Zuge des Ausgleichsprozesses verkauft.

Da die ISA Ungleichgewichte die fundamental sich verändernde Marktwahrnehmung von amerikanischen privaten Finanzinstitutionen reflektieren, und nicht die Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen den verschiedenen Regionen der USA widerspiegeln, und da lokale Distrikt-Notenbanken als private Institutionen nicht für lokalen politischen Druck anfällig sind, der auf eine Finanzierung des Staates mit der Druckerpresse abzielen könnte, stellen sie nicht die Dauerhaftigkeit dar, welche ihre europäischen Äquivalente charakterisiert hat. In Europa sind die Banken in Schuldnerländern aufgrund der Verbindung zwischen Banken und dem Staat (Banken halten die Papiere der Staaten, welche ihnen aus der Klemme helfen) paralysiert.[ 3 ]

Der stärkste Unterschied zwischen dem System der Vereinigten Staaten und Europas ist dennoch, dass nur die USA ein Ausgleichssystem haben, das von den Schuldner-Distrikt-Notenbanken fordert, ihre ISA Schuld zu verbriefen, d.h. ihre Verbindlichkeiten mit zu verzinsenden, handelbaren Wertgegenständen auszugleichen. Im Euroraum hingegen wird die Verschuldung einfach in den Büchern weitergeführt und von Jahr zu Jahr mit addiertem Zinssatz übertragen. Abbildung 2 zeigt, dass während der Krise, um den Ausgleichsmonat (April), die US-Bilanzen im Allgemeinen signifikant sanken. Eine Ausnahme war 2011. In jenem Jahr wurde der Ausgleich um ein Jahr verschoben, um Distrikt-Notenbanken mit Defiziten mehr Zeit zum Handeln zu geben.

Zusätzlich zu der Schaffung von nützlichen Anreizen die bezirksübergreifenden Ungleichgewichte gering zu halten, kann das Ausgleichsverfahren als effektiverer Schutz lokaler Zentralbanken gegen das Zerbrechen des Systems aufgefasst werden. Europäische Regierungen, die im Besitz der Zentralbanken sind, sind anfällig für politischen Druck, weiter finanzielle Stützungsmaßnahmen wie den Kauf von Staatsanleihen und die Einrichtung zwischenstaatlicher Rettungsprogramme zu leisten, was beides die Target-Ungleichgewichte reduziert.

Das Federal Reserve System als ein Ganzes hat einen Staat als Gegenpart, während die ECSB dieses nicht hat. Die Target-Forderungen schaffen daher unweigerlich eine Nachfrage noch weiter den Weg hin zu Fiskalföderalismus und Schuldensozialisierung zu gehen.

 Dieser Beitrag ist Teil des EEAG-Berichts 2013, der am 25. Februar 2013 in Brüssel vorgestellt wurde.

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