Das Problem mit den Eurobonds

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Project Syndicate, 25.08.2011

MÜNCHEN: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dem Drängen der Südländer Stand gehalten. Es wird keine Eurobonds geben. Für die Märkte ist das enttäuschend, aber einen anderen Weg für diese Länder, als jetzt beharrlich auf eine Phase der Schuldendisziplin und ein Ende der lockeren Budgetbeschränkungen zu drängen, gibt es nicht.

Die Anleger in Europas Krisenländern bekommen auch so schon genug Geschenke. Die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs der Eurozone vom 21. Juli, nach denen die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität – begrenzt lediglich durch die EFSF-Kapazität – Altschulden zurückkaufen darf, laufen bereits auf eine Art Eurobond hinaus. Und die Europäische Zentralbank wird ihre Bail-out-Politik durch Kredite an die in Schwierigkeiten geratenen Euroländer und Ankauf ihrer Staatsanleihen ja ebenfalls munter fortsetzen.

Die Südländer drängen dennoch mit Macht auf den vollen Umstieg in die Eurobonds, um die Zinsaufschläge im Vergleich zu Deutschland wegzubringen, die die Märkte ihnen abverlangen. Das ist verständlich, war doch die Hoffnung auf eine Zinskonvergenz seinerzeit ein entscheidender Grund für den Eurobeitritt. Und für ein gutes Jahrzehnt, von 1997 bis 2007, ging die Hoffnung auch in Erfüllung.

Für den italienischen Staat bedeutete die Zinskonvergenz mittelfristig eine Entlastung um bis zu 6% des BIP. Das wäre genug gewesen, um in etwa eineinhalb Jahrzehnten die gesamte italienische Staatsschuld zurück zu zahlen. Italien zog es aber vor, den Zinsvorteil zu verfrühstücken. Die Schuldenquote Italiens ist mit etwa 120% des BIP heute so hoch wie beim Eintritt in den Euro-Verbund Mitte der 1990er Jahre.

Jetzt, da die Zinsen sich wieder ausspreizen, ist die Not groß, und man ruft nach Eurobonds. Wenn andere Länder die Rückzahlung garantieren, so hofft man, werden die niedrigen Zinsen zurückkehren.

Aber wer soll garantieren? Die Schuldenquoten Frankreichs und Deutschlands liegen deutlich über 80%. Das ist nicht viel weniger als in Italien – und deutlich mehr als in Spanien. Das Zusammenwerfen der Schulden macht die Lasten nicht kleiner. Jeder, auch jedes Land, muss seine Schulden selbst bedienen. Daran führt kein Weg vorbei.

Im Übrigen ist die Aufregung über die Zinsen reichlich übertrieben. Die Zinsen für Länder wie Italien und Spanien sind heute nur halb so groß wie 1995, vor der Festlegung der Umrechnungskurse im Euroraum, und auch die Zinsspreizung im Vergleich zu Deutschland beträgt heute nur etwa zwei Drittel ihres damaligen Wertes. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Märkte dysfunktional sind und die Bonitätsunterschiede der Länder übertreiben.

Die Zinsspreizung ist erforderlich, um die Kapitalbewegungen im Euro-Raum in Schach zu halten. Vor der Euroeinführung waren die Kapitalströme durch die Wechselkursunsicherheit begrenzt worden. Das hatte Europa allzu große außenwirtschaftliche Ungleichgewichte erspart. Nun, da das Wechselkursrisiko weggefallen ist, sind Zinsspreizungen nach der Bonität der Schuldner der einzige Schutz gegenüber exzessiven Kapitalbewegungen und den daraus folgenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten. Werden die Anleger grenzenlos geschützt, ohne die Gefahr, ihren Teil an möglichen Verlusten tragen zu müssen, fließt das Kapital weiterhin ungehindert von der einen Ecke des Euroraums in die andere und verlängert diese Ungleichgewichte.

Italien hat lange Jahre die Schuldengrenzen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und des Maastrichter Vertrages missachtet. Erst als die Zinsen kürzlich ein klein wenig zu steigen begannen, hat die Regierung mit Zustimmung aller Parteien sofort ein Sparprogramm durchgesetzt. Nur die Märkte – nicht politische Schuldenschranken – nimmt man ernst. Kommen die Eurobonds, ist die disziplinierende Funktion der Märkte dahin.

In abgeschwächter Form gilt dies auch für die Rettungsaktionen der EU und die Interventionen der EZB. Sie waren in der Rezession 2008/2009 vertretbar, sind mittlerweile jedoch kontraproduktiv, weil sie die Kontrollfunktion der Märkte unterlaufen.

Indem öffentlicher Kredit an die Stelle des versiegenden privaten Kredits gesetzt wird, werden die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte des Euroraums perpetuiert. Die überteuerten Länder der südlichen Peripherie Europas zeigen selbst heute, im vierten Jahre der Krise, noch keine Anzeichen, dass sie durch Senkung von Löhnen und Preisen eine reale Abwertung begonnen hätten. Das aber ist die Voraussetzung dafür, dass sich die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und die Abhängigkeit von importiertem Kredit verringern.

Die Rettungsaktionen verlängern die Krise, weil sie auf den Versuch hinauslaufen, die Asset-Preise auf einem Niveau oberhalb des Marktgleichgewichts zu stützen. So entsteht ein einseitiges Abwärtsrisiko, das nur durch die Tiefe der Taschen der Hilfsfonds begrenzt wird. Das erinnert an die vergeblichen Bemühungen der Notenbanken in der Zeit der Festkursregime, Wechselkurse oberhalb ihres Marktgleichgewichts zu stabilisieren. Das Ergebnis war damals, ganz ähnlich wie heute, nur eine Verschärfung der Spannungen auf den Märkten.

Es wird Zeit, dass Europa sich der Realität stellt und mit den schwierigen realwirtschaftlichen Anpassungsprozessen beginnt, die nötig sind, um den Euro-Raum wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Eurobonds würden die aktuellen Schmerzen in den Krisenländern betäuben, aber da sie nichts gegen die zu Grunde liegende Krankheit tun, würden sie diese Länder – und die Eurozone insgesamt – letztlich deutlich schwächen.

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