Hans-Werner Sinn antwortet Wolfgang Münchau : "Ordnungspolitik funktioniert immer"

Haben konventionelle wirtschaftswissenschaftliche Lehrmeinungen in der Krise versagt? Ja, meint SPIEGEL-ONLINE-Kolumnist Wolfgang Münchau. Jetzt entgegnet ihm ifo-Chef Hans-Werner Sinn: Die gute, alte Ordnungspolitik vermag auch heute noch die richtigen Antworten zu geben.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Spiegel Online, 06.11.2014

Es freut mich, dass Wolfgang Münchau vielen der von mir in der "Süddeutschen Zeitung" zusammengetragenen Erwiderungen zu den Kritikern der Volkswirtschaftslehre zustimmt. Umgekehrt stimme ich ihm zu, dass die allumfassenden mathematischen Makromodelle der Volkswirtschaftslehre, ob nun Modelle des neuen Keynesianismus oder Modelle aus dem Bereich der realen Konjunkturzyklen, selbst im Nachhinein außerstande waren, das Krisengeschehen zu erklären.

Aber solche Megamodelle spielen im Mainstream der Volkswirtschaftslehre schon seit Jahrzehnten keine besondere Rolle mehr. Sie sind zu komplex und zu trivial zugleich. Das Fach hat sich statt dessen darauf konzentriert, eine Vielzahl kleiner mikroökonomischer Modelle zu konstruieren, die immer nur bestimmte Teilaspekte von Wirkungsketten abbilden. Es ist dann die Aufgabe des politiknah arbeitenden Volkswirts, die Erkenntnisse dieser Modelle verbal-analytisch miteinander zu verbinden und für die Erklärung der Wirklichkeit einzusetzen. Auch die Medizin hat schließlich kein umfassendes Modell des menschlichen Körpers.

Auch Physiker scheitern, wenn sie mit Blasen konfrontiert sind

Es gab viele Modelle dieser zweiten Art, die zur Erklärung, aber auch zur Prognose von Teilaspekten des Krisengeschehens eingesetzt wurden. Man denke nur an die Modelle, die die Zockerei der Banken aufgrund einer asymmetrischen Beteiligung der Aktionäre an Gewinnen und Verlusten erklären. Oder Modelle der Außenhandelstheorie, die zeigten, dass die ewigen Kapitalimporte der USA zu einem Aufbau von Blasen führen würden. Auch ich selbst habe bei den öffentlichen Veranstaltungen des ifo Instituts in den Jahren vor dem Crash mehrfach vor der amerikanischen Blase gewarnt, ohne dass es die Presse interessiert hätte. Ich gebe aber zu, dass es nicht möglich war, den Zeitpunkt des Platzens der Blase vorherzusehen. Daran scheitern selbst Physiker, wenn sie mit einem Luftballon konfrontiert sind.

Was nun Wolfgang Münchaus drei Fragen betrifft, so sind dies meine Antworten.

  • Erstens: Wie geht man mit einer anhaltenden Rezession um? Eine anhaltende Rezession wie in Japan mit ewigen Nullzinsen und einer explodierenden Staatsverschuldung bekämpfen zu wollen, hat sich als Flop erwiesen. Japans Schulden stiegen seit dem Platzen der Blase im Jahr 1990 von 69 Prozent auf mittlerweile 245 Prozent der Wirtschaftsleistung, und dennoch gab es ein Vierteljahrhundert Siechtum. Die Hinnahme von mehr Konkursen im Sinne der schöpferischen Zerstörung hätte zwar manche Vermögensportfolios vernichtet. Doch im Gegenzug hätte es wegen der Entwertung des Kapitals wieder attraktive Renditen für neue Unternehmer gegeben, und das Land wäre wieder schneller auf die Beine gekommen. Mit ihrer politischen Macht haben die Anleger und Banken, die sich verzockt hatten, diesen Weg verbaut.
  • Zweitens: Wenn die Ordoliberalen jetzt keine Monetaristen mehr sein wollen, was sind sie dann? Man muss kein Ordoliberaler sein, um zu verstehen, dass eine Geldschwemme und Staatsschulden keine Lösungen für Europas Probleme sind. Die Länder Südeuropas wurden durch eine inflationäre Kreditblase ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubt. Diese Blase entstand, weil der Euro die Zinsen dieser Länder senkte. Spanien zum Beispiel erhöhte seine Produktpreise von 1995 - damals wurde auf dem EU-Gipfel in Madrid das Timing für den Euro festgelegt, was die Zinsen fallen ließ - bis zum Beginn der Krise um 25 Prozent schneller als der Rest der Eurozone. Es war, als ob das Land noch die Peseta hatte und sie um 25 Prozent aufwertete. Das hat Spanien in eine Double-Dip-Depression mit einem Einbruch der Industrieproduktion um 30 Prozent getrieben. Dagegen hilft es nicht, künstliche Nachfrage nach den überteuerten spanischen Produkten mit der Druckerpresse oder durch neue Schulden zu schaffen. Da niemand mehr bereit ist, Spaniens Lebensstandard mit frischen Krediten zu finanzieren, muss das Land vom Lohn- und Preishimmel auf den Boden der Tatsachen zurück. Der wird durch die Arbeitsproduktivität definiert. Das ist bitter, aber es geht nicht anders.
  • Drittens: Ist es möglich, das ordnungspolitische Modell von einer relativ kleinen offenen Volkswirtschaft wie Deutschland auf eine relativ große eher geschlossene Volkswirtschaft wie den Euroraum oder die USA zu übertragen? Ordnungspolitik funktioniert immer, bei großen und kleinen Länden. Dessen ungeachtet ist es aber nur kleinen Ländern möglich, sich durch Abwertungen Nachfrage aus dem Ausland zu verschaffen. Hier ist Wolfgang Münchau zuzustimmen. Das hat Deutschland, wenn man so will, im Euroraum getan, indem es mit seiner Inflation hinterher hinkte. Aber eigentlich hat nicht Deutschland agiert, denn die Preisstabilität war ja als Ziel im Maastrichter Vertrag verankert. Agiert haben statt dessen die südlichen Euroländer, indem sie jahrelang Inflationsraten hatten, die weit oberhalb der Toleranzgrenze von 2% lagen. EZB und Politikern ist der Vorwurf zu machen, dass sie nicht gebremst haben. Jetzt haben wir den Kladderadatsch.

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