Beklemmende Parallelen

DENKFABRIK | Was haben Griechenland und die Mongolei gemeinsam? Beide sind Schwellenländer, leiden unter der holländischen Krankheit, und ihre Binnenwirtschaft ist unterentwickelt. Zudem hat sich in beiden Ländern eine Oberschicht auf Kosten der Allgemeinheit bereichert.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
WirtschaftsWoche, 16.09.2013, Nr. 38, S. 42

Zurück von einem Besuch in der Mongolei drängt sich mir der Vergleich mit Griechenland auf. Beide Länder sind Schwellenländer, die nach den Regeln der OECD nicht zu den entwickelten Ländern dieser Erde gehören. In beiden geht es recht chaotisch zu. In den Städten herrscht ein Wildwuchs privater Wohnbauten, die mangels einer funktionierenden Stadtplanung auf korrupte Verwaltungssysteme schließen lassen. Der Lebensstandard ist beachtlich, aber verzerrt. An modernen Autos, iPads, Flachbildschirmen, Parabolantennen und Louis-Vuitton-Geschäften mangelt es nicht, wohl aber an Straßen und anderen Elementen der öffentlichen Infrastruktur. Abgesehen von der Landwirtschaft bieten nur der Staat, der Handel und internationale Organisationen neue Stellen.

KRANKE WIRTSCHAFT

Ein produzierendes Gewerbe fehlt. Noch nicht einmal eine auf landwirtschaftlichen Produkten aufbauende Wertschöpfungskette wurde entwickelt. Die Mongolei mit ihrem riesigen Viehbestand von 40 Millionen Tieren bei nur 2,9 Millionen Einwohnern importiert gekühlte Milch aus Neuseeland. Griechenland kauft Tomaten in Holland und Olivenöl in Deutschland. Die Natur ist freilich wunderschön, und die Menschen sind offen und freundlich. Der Tourismus ist nur in Griechenland gut entwickelt, obwohl beide Länder prächtige Landschaften haben und durch die Freundlichkeit ihrer Menschen überzeugen. Beide Ökonomien haben eine unterentwickelte Binnenwirtschaft und finanzieren ihre Importe großenteils mit Geld, das nicht aus dem Export produzierter Güter stammt. Die Mongolei lebt vom Export ihrer Bodenschätze und Griechenland vom Export seiner Schuldscheine. Die entsprechenden Erlöse sichern den Lebensstandard, erzeugen aber deswegen auch Löhne, zu denen eine wettbewerbliche Industrie nicht aufgebaut werden kann. Beide Länder leiden unter der holländischen Krankheit, einem Phänomen, das man nach den Gasfunden der Sechzigerjahre in Holland beobachtet hatte.

Erlöse aus dem Gasverkauf schwemmten viel Geld nach Holland, das für  Lohnerhöhungen im Privatsektor und beim Staat verwendet wurde und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft unterminierte. Erst mit dem Abkommen von Wassenaar aus dem Jahr 1982 gelang es, den verhängnisvollen Lohntrend zu brechen und die Wirtschaft zu retten. Für die zerstörerischen Wirkungen des Geldzuflusses kommt es nicht darauf an, wie dieser Zufluss zustande kommt. Es ist einerlei, ob das wie in der Mongolei durch den Verkauf von Bodenschätzen oder wie in Griechenland durch die Kreditaufnahme im Ausland, durch EU-Transfers und die eifrige Betätigung der Druckerpresse geschieht, für den die anderen Notenbanken des Euro-Systems Target-Forderungstitel erhalten. Immer ermöglicht das zufließende Geld Lohnerhöhungen, die das verarbeitende Gewerbe dezimieren oder verhindern. Der griechische Wirtschaftsminister Michalis Chrysochoidis hatte das in einem Interview mit der „FAZ" sehr treffend zum Ausdruck gebracht, indem er darauf hinwies, dass die Mittel der EU Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit schon frühzeitig unterminiert hatten. Die Mittel haben zur Folge, „dass jene, die etwas produzierten, ihre Betriebe schlossen und Importfirmen gründeten, weil sich damit mehr verdienen ließ. Das ist das eigentliche Desaster dieses Landes." In seiner Jugend hätte man noch hart arbeiten müssen, um mit Exporten Geld zu verdienen. Das sei durch die Subventionen der EU überflüssig geworden. Das griechische Desaster setzt sich derzeit fort, indem das Land durch politische Kräfte und einflussreiche wirtschaftliche Interessen in der EU gehalten wird. Statt nach einem Austritt und einer Abwertung einen Weg zum Wiederaufbau der Wirtschaft mit wettbewerblichen Löhnen zu suchen, klammert man sich aus künstlichen Gründen an den Euro.

BILLIGE KREDITE

Der Euro stellt sicher, dass die Abschreibungsverluste der griechischen Notenbank beim Konkurs der griechischen Banken von allen Euro-Staaten getragen werden beziehungsweise dass vorher Rettungsaktionen zustande kommen, die diese Konkurse vermeiden. Er ermöglicht es dem griechischen Staat, sich weiter zu erträglichen Zinsen zu verschulden, weil die EZB die Banken mit den Geldmitteln ausstattet, die sie brauchen, um griechische Staatspapiere zu kaufen. Er sorgt ferner für billige Anschlusskredite, die es den griechischen und ausländischen Gläubigern erlauben, sich aus dem Staube zu machen und ihr Geld im Ausland anzulegen. Man schätzt, dass  reiche Griechen mindestens 100 Milliarden Euro in der Schweiz in Sicherheit gebracht haben. Auch dies ist eine beklemmende Parallele zur Mongolei. Die reichen Familien des Landes tragen große Teile ihrer Einnahmen aus dem legalen und illegalen Verkauf ihrer Bodenschätze ins Ausland, um sich auf den Tag X vorzubereiten, an dem sie ihren Wohnsitz ins Ausland verlagern, um von dem zuvor schon dort akkumulierten Vermögen zu leben.

Leserforum, WirtschaftsWoche, 30.09.3013, Nr. 40, S. 110

Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts, vergleicht Griechenland mit der Mongolei. Heft 38 2013

Mehr Geld ins griechische Fass. Ein klarer, aufklärender Artikel, den ich kopiertund einem Lehrer weitergegeben habe. Ich hoffe, dass er damit klares ökonomisches Denken bei den Schülern anregen kann. Die "Gelddruck-Fetischisten" werden diese Ausführungen nicht beeindrucken. Sie werden weiterhin dafür sorgen, dass Geld in das griechische Fass - und in andere südliche Fässer - geschüttet wird. Im Zweifel ist dann der "böse Kapitalismus" an allem schuld. Und alles ist natürlich alternativlos.