Finsterste Industriepolitik

DENKFABRIK | Die Verschärfung der CO 2 - Grenzwerte in der europäischen Automobilindustrie ist extrem unwirtschaftlich und schadet der Umwelt mehr, als es ihr nutzt. Der Vorstoß der Europäischen Kommission dient viel eher dem Schutz der kriselnden französischen und italienischen Automobilindustrie.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
WirtschaftsWoche, 27.05.2013, Nr. 22, S. 43

Versuche, durch die Setzung von Standards unliebsame Produkte vom eigenen Markt fernzuhalten und sich selbst einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, sind so alt wie die EU. Die Beispiele reichen vom Alkoholgehalt des Likörs über das Reinheitsgebot beim Bier bis zur Krümmung der Gurke. Konnte man über manche dieser Beispiele bislang nur lachen, hört der Spaß beim neuen Vorstoß der EU nun aber auf. Den CO 2 - Ausstoß der Autos in Zukunft auf 78 Gramm pro Kilometer oder weniger zu begrenzen würde die deutsche Automobilindustrie nachhaltig schädigen.

Die deutschen Hersteller haben sich auf Premiumautos mit hohem Komfort, überdurchschnittlicher Größe und überdurchschnittlicher Leistung spezialisiert. Weil sie auf dem Heimatmarkt stark sind und sich einen harten Konkurrenzkampf liefern, der ständig Innovationen hervorbringt, werden sie ihre Autos auf der ganzen Welt spielend los. Die S-Klasse, der Phaeton, der Audi A8 und die 7er-Reihe von BMW gehören zu den besten Autos der Welt. Die Chinesen sind geradezu versessen auf sie, und in den USA ist der deutschen Automobilindustrie mit großen Limousinen und SUVs ein Comeback gelungen.

Schon die von der EU verfügte Begrenzung des CO 2 - Ausstoßes auf 130 Gramm pro Kilometer für den durchschnittlichen Flottenverbrauch, die im Jahr 2009 verfügt wurde, war eine Herausforderung für die Hersteller, denn die großen deutschen Limousinen liegen eher bei 250 Gramm. Das Ziel, beim Flottenverbrauch unter 130 Gramm zu kommen, lässt sich deshalb nur realisieren, wenn man eine Menge Kleinstautos produziert, aber das widerspricht der Idee der Spezialisierung, die die hauptsächliche Quelle der Effizienzgewinne in der Marktwirtschaft ist.

/// SCHUMMELN ERLAUBT //

Allerdings ist Schummeln erlaubt. Wenn man die Autos im Testzyklus mit Strom aus der Steckdose laufen lässt, kann man die C0 2 - Werte rechnerisch herunterbringen, obwohl man sie in Wahrheit eher erhöht. Strom ist nämlich meistens Kohlestrom, und bis die bei der Kohleverbrennung erzeugte Energie an den Rädern des Autos angekommen ist, geht von ihr mehr verloren, als wenn man Dieseltreibstoff in einem modernen Motor verbrennt.

Die Automobilindustrie ist eine der Schlüsselindustrien Deutschlands. Sie steht für über 16 Prozent des deutschen Exports. An ihr hängen direkt 420 000 und indirekt 320 000 Arbeitsplätze in Deutschland und sicherlich noch einmal so viele in Osteuropa, wo sich ein mit der deutschen Industrie fest verwobenes Zuliefernetz entwickelt hat. Wenn die EU die Axt an dieses System legt, wird sie sich selbst beschädigen. Es reicht allmählich.

Der Umweltschutz ist nur ein Vorwand, denn bei Automotoren CO 2 einzusparen ist extrem ineffizient und umweltschädlich. Bei einem modernen Dieselmotor kosten Maßnahmen zur Vermeidung einer weiteren Tonne CO 2 um die 250 Euro, und bei einem Benzinmotor muss man mit über 400 Euro rechnen. Viel leichter könnte man das CO 2 bei der Häuserisolierung einsparen. Bei alten Häusern kostet die Vermeidung per saldo gar nichts, weil man mehr Heizkosten spart, als die Isolierung kostet. Und bei der Solarthermie kommt man auf Kosten von 30 bis maximal 75 Euro pro eingesparter Tonne CO 2. Durch eine effizientere Strukturierung der Einsparungen ließe sich der europäische Gesamtausstoß an CO 2 verringern, ohne die Vermeidungskosten zu erhöhen.

Außer im Hinblick auf Demonstrationseffekte macht es aber keinerlei Sinn, in einem Teilgebiet der Erde Erdöl einsparen zu wollen. Da es keinerlei Anhaltspunkte für die Vermutung gibt, dass die europäischen Maßnahmen zur Verbrauchseinschränkung die weltweite Extraktion von Erdöl drosseln werden, muss man davon ausgehen, dass das Öl, das nicht in Europa verbrannt wird, anderswohin geliefert und dann dort verbrannt wird. So gesehen macht man die Automobilindustrie womöglich kaputt, ohne dafür irgendeinen Vorteil für die Umwelt zu erreichen.

Hinter den vorgeschlagenen Maßnahmen steht ja auch nicht der Umweltschutz. Im Kern handelt es sich dabei um ein Stück französischer und italienischer Industriepolitik zum Schutz der eigenen Automobilfirmen. Diese Firmen sind durch die inflationäre Kreditblase, die der Euro ihnen brachte, gemessen an ihrem technologischen Leistungsniveau und der Qualität der Kleinwagen, auf die sie sich spezialisiert haben, viel zu teuer geworden und sehen nun ihre Felle davonschwimmen. In der Behinderung der deutschen Autos sieht man eine letzte Chance, sich am Markt zu behaupten.

/// BISLANG PROFITEUR //

Damit werden nun auch die deutschen Automobilhersteller zum Opfer des Euro. Bislang wähnte man sich als Profiteur des Euro, weil es Deutschland gelang, die anderen Länder durch Preiszurückhaltung auszustechen. Nun wehren sich die nicht mehr wettbewerbsfähigen Länder mit nicht tarifären Handelshemmnissen. Von der Sorte wird es in Zukunft noch mehr geben, wenn man keinen Weg zur Neuordnung des Euro-Systems findet, der eine Rückbesinnung auf marktwirtschaftliche Grundsätze erlaubt.

»Jetzt werden auch die deutschen Automobilhersteller zu Opfern des Euro «