Der für seine provokanten Thesen bekannte deutsche Wirtschaftsforscher rät vielmehr zu einem Ausstieg Griechenlands aus der Euro-Zone.
KURIER: Die Griechen behaupten gebetsmühlenartig, sie sanieren ihr Budget aus eigener Kraft. Ist das realistisch?
Hans-Werner Sinn: Die Anstrengungen Griechenlands werden das Staatsdefizit vielleicht auf 8,5 Prozent reduzieren. Selbst wenn die Griechen ihr Staatsdefizit auf null reduzieren, wäre das Problem freilich nicht gelöst, denn Griechenland hätte dann immer noch ein gewaltiges Defizit in der Handelsbilanz. Derzeit liegt das Außenhandelsdefizit, das finanziert werden muss, bei 18 Prozent der Wirtschaftsleistung. Selbst bei einem völligen Verzicht auf weitere Staatsdefizite würde es immer noch bei 14 Prozent oder 34 Milliarden Euro liegen. Mindestens in diesem Umfang benötigt das Land also dauerhaft, Jahr für Jahr, Finanzmittel aus dem Ausland, als Geschenk oder Kredit.
Dem Prinzip nach wurden EU-Hilfen für Athen beschlossen. Droht hier ein Fass ohne Boden für EU-Nettozahler wie Deutschland und Österreich?
Die EU darf Griechenland keine Hilfe geben. Das regelt der Unionsvertrag. Dass man dennoch immer wieder vermutet, dass die EU-Länder helfen werden, ist plausibel. Nur weiß ich nicht, mit welchem Recht sie das machen wollen. Möglicherweise wird es bilaterale Hilfen einzelner Länder geben.
Wir zahlen also für den Schlendrian anderer Länder.
Griechenland durchlebt eine Tragödie und die EU mit ihr. Eine Tragödie ist dadurch gekennzeichnet, dass jede denkbare Alternative schrecklich ist. Die Politiker müssen jetzt mit ihrer Träumerei aufhören und sich unter den realistischen Alternativen die am wenigsten schreckliche aussuchen.
Wie lautet Ihr Szenario?
Da Griechenland selbst mit Budgetsanierung ein Außenhandelsdefizit von 13, 14 Prozent hat, das derzeit nur zu drei Prozentpunkten von der EU finanziert wird, gibt es nur drei Alternativen. Erstens: Eine dramatische Erhöhung der laufenden Finanzhilfen der EU. Zweitens: Eine innere, sogenannte reale Abwertung durch Senkung der Löhne und Preise. Drittens: Ein Austritt aus dem Euro und eine offene Abwertung.
Was empfehlen Sie?
Die erste Lösung würde einen Dominoeffekt hervorrufen, bei dem sich ein Land nach dem anderen auf die Hilfe anderer verlassen würde. Die finanzielle Disziplin in der Euro-Zone wäre nicht mehr gewährleistet. Wir hätten in Europa eine Transferunion, die alles einebnet, so wie die deutsch-deutsche Transferunion seit der Vereinigung. Die zweite Lösung der inneren Abwertung ist ein Weg der letztlich das Land zerbrechen lässt und zu Unruhen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen würde. Diesen Weg halte ich für gar nicht gangbar. Bei einer inneren Abwertung, wenn einzelnen Gruppen Lohnkürzungen abverlangt werden, während andere noch ungeschoren davonkommen, wären die politischen Probleme ungleich größer als bei einer offenen Abwertung. Bei einer offenen Abwertung wird man billiger, ohne es im Innenverhältnis zu merken. Nur die Importe werden dann teurer.
Also der Euro-Austritt ...
Der dritte Weg der offenen Abwertung über einen Abschied aus der Euro-Zone birgt ebenso die Gefahr eines Dominoeffektes, als dann auch andere schwache Länder von der Spekulation attackiert werden könnten. Er birgt aber auch die Möglichkeit zu signalisieren, dass die restliche Eurozone dann stabil ist. Immerhin unterscheidet sich Griechenland von den anderen Ländern dadurch, dass es seine Statistiken gefälscht hat - was ein nach außen hin sichtbarer und akzeptabler Grund für den Austritt Griechenlands in dieser Krise darstellen könnte. Gefahrlos ist aber auch dieser Weg nicht.
Was soll den Griechen ein Euro-Abschied bringen?
Wenn Griechenland aus dem Euro austritt, kann es abwerten, kann sein Leistungsbilanzdefizit verringern, kann wieder neue Bonität erlangen. Diese Abwertung macht die Exporte billiger, insbesondere auch den Export touristischer Dienstleistungen, was für Griechenland enorm wichtig ist. Klar ist aber: Dann müssen auch die Schulden Griechenlands, die ja auf Euro lauten, mitabgewertet werden, sodass vor allem die Banken in Frankreich und Deutschland entsprechende Verluste hinnehmen werden müssen.
Wäre da nicht Hilfe von außen - durch den Internationalen Währungsfonds - die noch angenehmste Variante?
Ich bin für die Einschaltung des IWF. Der IWF gibt nur temporär Geld und verlangt normalerweise als Gegenleistung eine Abwertung der Währung. Er gibt nie permanente Hilfen. Nur der IWF kann aber die harten Maßnahmen durchsetzen, die nötig sind, um Griechenlands Krise zu bewältigen.
Der Eurokurs hat durch die Probleme in der Eurozone gelitten. Ein Alarmsignal oder die ersehnte Erholung?
Der Dollar ist noch immer extrem unterbewertet, und der Euro liegt noch immer am oberen Rande der Kaufkraftparitäten. Der Exportwirtschaft tut die jetzige Situation ganz gut. Der Euro ist im Übrigen eine sehr sinnvolle Einrichtung. Er hat uns in der Krise vor sehr viel Instabilität und spekulativen Attacken bewahrt. Wenn ich den Griechen empfehle, aus dem Euro auszutreten, dann in deren eigenem Interesse und weil der Euro vermutlich gestärkt würde.
Hans-Werner Sinn (geb. 1948 in Brake, Westfalen) ist einer der einflussreichsten deutschen Wirtschaftswissenschaftler. Seit 1999 ist Sinn Präsident des renommierten Münchner ifo Instituts.
Er hat mehrere Sachbücher zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen verfasst (2009: "Der Kasino-Kapitalismus") und mischt sich häufig mit provokanten Thesen in die politische Debatte ein. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.