Herr Sinn, immer lauter schimpfen unsere europäischen Nachbarn über das sture Deutschland, das in der Euro-Krise so zögerlich hilft. Sind wir schlechte Europäer?
SINN: Die Nachbarn. denen wir Geld geliehen haben, können nicht .zurückzahlen und beschimpfen uns, weil wir nicht auf unsere Forderungen verzichten. Wir hallen uns da ganz schön was aufgehalst.
Nämlich?
SINN: Politische Macht bricht derzeit das Recht. Wegen unserer Geschichte können wir uns auch nicht wirklich wehren. Der Maastrichter Vertrag ist ja rechtlich auf unserer Seite: Kein Land haftet für die Schulden eines anderen. außer Naturkatastrophen. Bei der Euro-Krise handelt es sich aber um die Folgen fehlender Schuldenschranken im privaten und Öffentlichen Bereich. Rechtlich kann uns keiner zwingen, an irgendwelchen Rettungsaktionen teilzunehmen. Nur faktisch kann man uns eben doch zwingen
Ist der Maastrichter Vertrag falsch konstruiert?
SINN: Ich meine ja. Denn es wird dort gar kein Schutzmechanismus für den Krisenfall beschrieben. Das war nicht glaubhaft. Die Märkte haben unterstellt, dass im Fall des Falles schon irgendwer helfen würde, und sie hatten teilweise recht. Sie haben nur die Größe des Problems unterschätzt. Deswegen haben wir trotz der Rettungspakete immer noch Zinsspreads.
Müssen wir uns nicht endlich für ein klares Modell entscheiden: den Übergang zur politischen Union mit gemeinsamer Kasse - oder die Rückkehr zu getrennten Kassen und Währungen?
SINN: Das ist mir zu grob geschnitzt. Wir sollten helfen. aber keine Vollkaskoversicherung ohne Selbstbehalt schaffen. Konkret sollten wir die Banken beteiligen, bevor oder wenn Rettungsgelder ausbezahlt werden.
Wie bei einer privaten Insolvenz?
SINN: Ja. Der Altgläubiger muss verzichten, wenn frische Kapitalhilfen kommen, um das Unternehmen zu sanieren. Sonst kann die Sanierung nicht gelingen, das muss auch für Staaten gelten.
Die Regierungen wollen neue Anleihen mit sogenannten Collective Action Clauses versehen. Bei diesen CAC-Bonds können Gläubiger zum Forderungsverzicht gezwungen werden. Taugt das als Lösung?
SINN: Das ist im Prinzip richtig. nur sollte man sie sofort einführen, nicht erst 2013. Es dauert ja Jahre, bis solche Papiere die Märkte penetriert haben. Die Bankenbeteiligung soll offenbar auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Und vorher wird mit unserem Geld fröhlich gerettet, solange es noch reicht. Es ist mir unverständlich warum sich die Regierung hier auf eine Verschiebung eingelassen hat.
Was würde sich denn mit den CAC-Bonds so grundlegend ändern?
SINN: Eine Übereinkunft zwischen Staat und Gläubigern kann mit Mehrheitsbeschluss erfolgen. Vor allem wird es möglich, die Probleme scheibchenweise abzuarbeiten, Heute kann jeder Gläubiger seine Schuld sofort fällig stellen, wenn ein Jahrgang von Staatspapieren nicht bedient werden kann. Das führt zum Mega-GAU bei den Banken. Deswegen werden riesige Rettungspakete aktiviert um diesen Fall zu verhindern.
Würde nicht trotzdem Panik entstehen, wenn eine einzelne Tranche ausfallt?
SINN: Nein, Panik entsteht nur wenn unermesslich große Verluste drohen. Das ist einfach zu verhindern, indem man den maximal möglichen Haircut durch Hilfen der Staatengemeinschaft begrenzt.
Würde das nicht zu höheren Zinsspreads führen und die Märkte verunsichern?
SINN: Schon, aber ein bisschen Unsicherheit mit entsprechenden Spreads ist sehr heilsam. Eine gewisse Zinsspreizung nach Bonität ist nötig, um den Schuldnern einen Anreiz zur Sparsamkeit zu geben.
Der Luxemburger Schutzschirm, der erst nur bis 2013 laufen sollte, wird jetzt entfristet. Die Politiker sagen, das sei nötig, um auch künftig Ländern in einer vorübergehenden Liquiditätsklemme zu helfen.
SINN: Eine Art Kassenverstärkungskredit wäre ja noch in Ordnung. Das Problem ist, dass man unter dem Deckmantel angeblicher Liquiditätshilfe langfristige Finanzierungen gibt. Man wird immer behaupten, es gehe nur um eine Liquiditätsklemme. Das ist ein semantischer Trick, um das Geld ohne Beteiligung der Banken fließen zu lassen, bis Deutschland zum Schluss auch keines mehr hat. Wenn wir dann auch pleite sind, wird man die Insolvenz der Hilfsbedürftigen Staaten ausrufen. Nein danke: Solch ein Insolvenzsystem braucht Europa nicht.
Ist Griechenland insolvent?
SINN: Dieser Schluss liegt jedenfalls nahe. Griechenland hat ein Leistungsbilanzdefizit von elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts und eine Staatsschuld von 140 Prozent, die in den nächsten Jahren gegen 200 Prozent strebt. Für eine Konkursverschleppung mithilfe temporärer Rettungsgelder gibt es keinerlei Rechtfertigung. Es macht keinen Sinn, dem schlechten Geld immer mehr gutes hinterherzuwerfen, bevor Griechenland nicht gänzlich neu aufgestellt wird.
Woran denken Sie konkret?
SINN: Die Banken müssen diesem Land einen erheblichen Teil ihrer Schulden erlassen, denn das Geld sehen sie sowieso nicht wieder. Man muss zugleich Reformen einfordern, die weit über das hinausgehen, was sich die herrschende Clique im Moment vorstellen kann.
Unser Geld ist also weg?
SINN: So ist es, Griechenland wird auch 2013 keine reguläre Anschlussfinanzierung finden. Viele setzen darauf, dass am Ende doch eine Transferunion kommt und zusätzliche Mittel aus Europa fließen. Das fände ich aber schrecklich. Wir wissen aus den neuen Bundesländern, dass das sehr teuer wird und doch nicht funktioniert.
Sie haben sich gegen die Rettungshilfen für Irland ausgesprochen, obwohl das Land viel bessere Vorrausetzungen hat als Griechenland. Warum?
SINN: Die Iren sind extrem hohe Verpflichtungen gegenüber ihren Banken eingegangen. Davon hätten sie abrücken müssen. Was Irland braucht, sind Debt-Equity-Swaps, also eine Umwandlung der Bankschulden in Aktien.
Die Iren wollen ihren Finanzplatz nicht in Verruf bringen.
SINN: Gut, dann sollten sie halt ihre Lohnsteuer und die Mehrwertsteuer erhöhen. Ihre Abgabenquote bezüglich des Bruttoinlandsprodukts liegt immerhin elf Prozentpunkte unter der deutschen, und ihr Bruttoinlandsprodukt je Einwohner ist 15 Prozent höher als das deutsche. Warum soll eigentlich das arme Land das reiche Land retten?
Warum mussten die Europäer die Iren dann überhaupt unter den Rettungsschirm schieben?
SINN: Erstens hatte man offenbar Angst, dass die irische Krise andere Staaten ansteckt. Da haben sich die Politiker verschätzt, denn die Aktion hat die Ansteckungsgefahr verstärkt. Sie war ja erst das Signal, dass da ein Problem ist. Zweiten wollte man wohl Fakten schaffen und den Luxemburger Rettungsfonds in Betrieb nehmen. Den Fonds wollte man unbedingt zu einer Dauereinrichtung machen. Diese ganze Irland Nummer war ein politisches Spiel. Mit aufgeregten Reden hat man die Krise geschürt, um ein dauerhaftes Rettungssystem zu zimmern.
Klingt nach Verschwörungstheorie.
SINN: Es ist jedenfalls bemerkenswert, wenn zahlreiche Vertreter der gefährdeten Länder und der europäischen Institutionen zeitgleich mit martialischen Sprüchen auftreten und sagen, Europa drohe zu scheitern, wenn Frau Merkel ihre Geldbörse zuhält. Das hat überhaupt nicht zur Beruhigung der Märkte beigetragen. Die Vereinbarungen für ein Schutzsystem, wie es die Franzosen anstreben, kam um so leichter zustande , je mehr die Krise brodelte.
Jetzt machen sich einige Staaten für gemeinsame Euroanleihen stark, um die Krise zu beenden.
SINN: Leider. Für Deutschland wären solche Euro-Bonds ein mieses Geschäft. Die deutsche Bonität würde europaweit sozialisiert, wir müssen einen höheren Zinns zahlen. Das würde mindestens noch mal 13 Mrd. Euro jedes Jahr kosten. Und stabilisierend wirken die Euroanleihen auch nicht. Sie werden eine Art Vollkaskomentalität bei den Gläubigern und ihren Schuldnern erzeugen. Dann geht die Schuldenlawine erst einmal so richtig los.
Dann ist es also richtig, dass die Bundesregierung die Eurobonds strikt ablehnt?
SINN: Ja, ich befürchte nur, dass sie über die Hintertür der Liquiditätshilfen doch noch kommen. Diese Anleihen werden dann vielleicht einmal anders heißen, aber sie haben das gleiche Ziel: gemeinsame Schulden.
Warum sind Sie ein solch vehementer Gegner von gemeinsamen Töpfen, die Europa gegen Turbulenzen schützen könnten?
Wegen der unermesslichen Lasten, die das bedeutet. Wir müssen Wir müssen dann den Lebensstandard mancher Länder rückwirkend für viele Jahre finanzieren. Das zieht uns in einer Art und Weise hinab, dass uns Hören und Sehen vergehen wird. Viele Leute verstehen die großen Zahlen nicht und können sich gar nicht vorstellen, was sie ihren Kindern und Kindeskindern damit antun.
Sie übertreiben.
SINN: Keineswegs. Bedenken Sie, dass das System für alle 25 EU-Länder halten muss, die vertraglich verpflichtet sind, dem Euro beizutreten. Eine Vergemeinschaftung der Schulden würde uns nicht nur unseres Vermögens berauben, sondern außerdem wieder in die Flaute zurückwerfen, in die uns der Euro ohnehin schon gebracht hat.
Moment mal, Deutschland gilt wegen seiner starken Exporte doch als der Hauptprofiteur des Euro. Warum reden Sie von Flaute unter dem Euro?
SINN: Der Euro hat uns stabiles Geld und den Schutz vor Währungsturbulenzen gebracht. Diesen Vorteil hatten aber auch andere. Ansonsten hat Deutschland unter dem Euro ziemlich gelitten, denn er hat zu einem massiven Kapitalabfluss geführt. Man muss sich klarmachen, dass Kapital im Kapitalismus das Lebenselixier ist: Wo es hinfließt, dort entblüht die Wirtschaft. Wo es abfließt herrscht Flaute. Unter dem Euro sind im vergangenen Jahrzehnt zwei Drittel der heimischen Ersparnis aus Deutschland abgeflossen, bis heute über 1000 Mrd. Euro. Nur ein Drittel der Ersparnis wurde bei uns investiert.
Ist das nicht normal? In Ländern mit hohem Nachholbedarf lässt sich das Kapital eben produktiver anlegen.
SINN: Das Kapital konnte anfangs in Südeuropa sicher höhere Beiträge zum europäischen Sozialprodukt liefern als in Deutschland. Doch es floss leider nicht nur in Investitionen, sondern auch in den Konsum. Man hat in den Empfängerländern Partys gefeiert und sich ein schönes Leben gemacht. Heute fehlt die Leistungskraft, um die Zinsen zu zahlen.
Griechische Politiker haben die Schuldenbremsen des Stabilitätspakts ignoriert. Aber Spanien und Irland hatten grundsolide Etats.
SINN: Auch für den Privaten Sektor haben die Bramsen gefehlt. Schauen Sie sich nur die Bankenregulierung und die Geschäfte mit Immobilienkrediten an. In Spanien war es üblich, dass man Baukredite für mehr als 100 Prozent des Immobilienwerts erhielt. Wer ein Haus kaufte, konnte sich vom Bankkredit noch dazu ein Auto leisten. Das waren Amerikanische Verhältnisse. Auf diese Art Wachstum zu erzeugen funktioniert nicht. Lockere Budgetbeschrenkungen führen zur Verschwendung und Vernichtung von Kapital.
Wenn die Ungleichgewichte abgebaut werden sollen, müssen aber auch die Deutschen ihre Leistungsbilanzüberschüsse verringern. Wie sagte die französische Finanzministerin Christine Lagarde so schön: „It takes two to tango!“
SINN: Sie übersieht, dass die deutschen Überschüsse durch den Abfluss des Kapitals und die ausgelöste binnenwirtschaftliche Flaute verursacht wurden.
Wie lässt sich diese Schieflage beseitigen?
SINN: Wir müssen den Kasinokapitalismus beenden und endlich mehr Kontrolle in die Kapitalmärkte bringen. In einem verantwortlich regulierten System gäbe es weniger Kapitalströme und damit geringere Außenhandelssalden. Die Märkte bremsen das momentan ja schon ab, weil die Anleger Investments im Ausland scheuen. Diese Bremse darf man jetzt nicht politisch wieder lockern.
Der Abbau der Ungleichgewichte hat schon begonnen?
SINN: Ja. Die deutschen Banken wissen nicht mehr, wohin mit den Spargeldern. Aus lauter Not bieten sie das Geld zu Hause an. Die Bauzinsen sind auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen. Wir stehen am Anfang eines Baubooms. Der Auftragsbestand der freischaffenden Architekten , den dass Ifo-Institut misst, war seit 15 Jahren nicht so hoch wie heute. Der Geschosswohnungsbau und der Bau neuer Fabriken haben im vergangenen Jahr kräftig zugelegt.
Nur den Normalbürger scheint die neue Glückseligkeit noch nicht erfasst zu haben.
SINN: Wir bekommen jetzt über den binnenwirtschaftlichen Aufschwung, den wir 15 Jahre lang so schmerzlich vermisst haben. Der Konsum legt dann später zu, wenn der Boom die Beschäftigungslage verbessert und die Löhne erhöht hat. Das wird ganz automatisch passieren.
Und was wenn uns die Euro-Krise einen Strich durch die Rechnung macht?
SINN: Wenn die Kapitalabflüsse ins Ausland jetzt mit staatlicher Unterstützung wieder in Gang kommen, geht die Überhitzung der Defizitländer weiter. Bei uns herrscht dann wieder Flaute. Wir haben politisch vereinbarte Schuldenschranken und solche, und solche die der Markt setzt. Die politischen wirken kaum, die Disziplinierung durch die Märkte allerdings schon. Wenn wir mit den Rettungssystemen diese Marktdisziplin außer Kraft setzen, na dann: gute Nacht!
Das heißt, Sie raten Frau Merkel, weitere Hilfen zu blockieren?
SINN: Die Liquiditätshilfen sind im Grundsatz beschlossen, aber es ist noch offen, wie sie konditioniert werden. Da müssen wir hart bleiben. Man muss auch mal den ein oder anderen EU-Gipfel platzen lassen. Es geht jetzt wirklich ans Eingemachte. Dass die Kanzlerin mit diesem Kurs unbeliebt macht, liegt in der Natur der Sache. Wir müssen ihr dafür den Rücken stärken.
Hatten die Euro-Skeptiker recht mit ihren Warnungen vor dem Euro?
SINN: Ja, sie hatten mehr recht, als ich das seinerzeit wahrhaben wollte. Es gibt Ökonomen, die deutlicher gesehen haben, was wir uns mit der Aufnahme des Club Med einbrocken würden. Wenn ich mit dem Wissensstand von heute noch einmal urteilen sollte, würde ich sagen: Euro? Nur wenn der Club Med nicht dabei ist.
Wäre ein Austritt aus dem Euro jetzt nicht das Beste für Deutschland?
SINN: Das ist technisch möglich. Immerhin haben es Tschechien und die Slowakei auch geschafft, bei ihrer Auflösung der Tschechoslowakei ihre Währung zu trennen. Es würde uns aber nicht gut tun. Mühsam haben wir in den vergangenen Zehn Jahren unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Das sollten wir nicht aufs Spiel setzen, indem wir aus dem Euro austreten und die Aufwertung der Währung zulassen.
Was ist stattdessen zu tun?
SINN: Wir müssen die Rettungspakete so begrenzen, dass die Märkte ihre Disziplinierungswirkungen entfalten können. Dann werden sich die Verhältnisse im Euro-Raum allmählich stabilisieren. Eine solche Politik verlangt von der Regierung aber mehr Kampfbereitschaft.