Merkels Pakt ist schlechter Deal

Interview: Vor dem Euro-Sondergipfel morgen fordert Ifo-Chef Hans-Werner Sinn die Bundeskanzlerin zu einem harten Verhandlungskurs auf: Die Staatengemeinschaft dürfe weder Schulden von Pleiteländern kaufen noch den Rettungsfonds aufblähen - oder Irland Zinsnachlass geben.
Rheinische Post, 10.03.2011, Nr. 58, S. 1

Herr Sinn, andere EU-Länder fordern, dass der Euro-Rettungsfonds Anleihen überschuldeter Mitgliedsstaaten aufkaufen darf, um sie vor der Pleite zu retten. Warum sind Sie dagegen?

Dadurch würde die Haftung für die Forderungen privater Gläubiger gegenüber den überschuldeten Ländern von der Staatengemeinschaft übernommen. Das wäre nichts weniger als ein erster Schritt zu einem Schuldenerlass zu Lasten der Staatengemeinschaft und zu Gunsten der Banken, die ihre Forderungen auf diese Weise sichern könnten. Wenn aus Schulden bei Privaten erst mal Schulden gegenüber der Staatengemeinschaft geworden sind, werden die Schuldenländer politischen Druck aufbauen, um sich letztlich um die Rückzahlung drücken zu können. Der Anleihekauf durch die Staatengemeinschaft ist daher strikt abzulehnen.

Würde dieses Problem umgangen, wenn der Rettungsfonds den überschuldeten Staaten nur Kredite geben würde, damit diese ihre Anleihen selbst von den Banken zurückkaufen?

Nein, das Problem würde sogar noch größer, denn so würde sich die Staatengemeinschaft in eine Sonderrolle begeben, die einen besonderen Schuldenerlass, an dem die privaten Banken nicht beteiligt sind, wahrscheinlicher macht.

Der wahre Grund, warum das Aufkaufen der Anleihen gefordert wird, ist doch, dass niemand mehr glaubt, ein Land wie Griechenland könne seine Schulden jemals zurückzahlen.

Sicher, das ist der Hintergrund. Aber weil das so ist, sollte sich die Staatengemeinschaft erst recht mit der Übernahme solcher Anleihen zurückhalten. Griechenland sollte eine Lösung mit seinen Gläubigern - das sind Banken, Fonds und Versicherungen - anstreben, anstatt bei den anderen Euro-Staaten betteln zu gehen. Die Beteiligung privater Gläubiger an der Euro-Rettung liegt besonders im deutschen Interesse.

Warum?

Deutsches Sparkapital ist hemmungslos in die südlichen Länder exportiert worden - mit der Folge, dass es im Inland an Investitionen fehlte. Es kann nicht in unserem Interesse sein, die Verbindlichkeiten dieser Länder zu übernehmen, damit diese sich weiter hemmungslos verschulden und ihre Party weiter feiern können. Das geht zu Lasten von Investitionen in deutsche Arbeitsplätze. Die Gläubiger der Süd-Länder sind in erster Linie französische Banken. Es wäre für Deutschland viel billiger, wenn es sich nur um seine eigenen Banken kümmern würde, anstatt die französischen Banken mitretten zu müssen.

Die Euro-Länder wollen den Rettungsschirm EFSF und seinen Nachfolger ESM vergrößern. Ist das gerechtfertigt?

Nein. Hier findet eine grobe Irreführung der Öffentlichkeit statt. Der Rettungsschirm ist schon groß genug: Er kann nach unserer Rechnung 315 Milliarden Euro an Krediten ausreichen, zusammen mit den Hilfen der EU und des IWF sind es 560 Milliarden Euro. Das würde reichen, um Irland, Portugal und Spanien drei Jahre über Wasser zu halten. Der Refinanzierungsbedarf dieser Länder inklusive einer jährlichen Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt bei etwa 430 Milliarden Euro. Man will den Rettungsfonds in Wahrheit aufblähen, damit er Kredite für den Rückkauf von Staatsanleihen gewähren kann, die noch gar nicht fällig sind und deshalb auch keine Krise verursachen können.

Angela Merkel will einen EU-Wettbewerbspakt schmieden. Sinnvoll?

Der ist ein Rohrkrepierer. Das wird nicht funktionieren, weil hier Dinge proklamiert werden, die die Regierungen gar nicht in der Hand haben. Lohnstückkosten lassen sich staatlich kaum beeinflussen. Frau Merkel ist falsch beraten, auf den Pakt zu setzen, statt sich in erster Linie um die harten, finanziellen Konditionen des Rettungsschirms zu kümmern. Während hier richtig viel deutsches Steuergeld auf dem Spiel steht, das wir mit Heller und Pfennig rechtsverbindlich beziffern sollen, enthält der Pakt nur blumige Versprechungen, die jeder nach Belieben interpretieren kann. Das ist ein schlechter Deal.

Müssen die Staaten ihre Wirtschaftspolitik nicht besser abstimmen?

Es kommt darauf an, was damit gemeint ist. Es macht auf jeden Fall Sinn, die steuerlichen Bemessungsgrundlagen stärker anzugleichen. Aber da ist man ja ohnehin schon dabei. Noch wichtiger sind gemeinsame Schuldengrenzen. Wir brauchen einen strengeren Stabilitätspakt sowie nationale Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild und automatische Sanktionen bei einer Regelverletzung. Doch genau hier haben Merkel und Sarkozy den Wettbewerbspakt schon entschärft, eine fatale Entwicklung.

Irland möchte einen Zinsnachlass erreichen. Ist das gerechtfertigt?

Nein. Die EU sollte dem Drängen Irlands nicht nachgeben. Ein Zinsnachlass würde den Anreiz nicht nur für Irland erhöhen, sich übermäßig zu verschulden - um die Zeche später von der Staatengemeinschaft bezahlen zu lassen.

Birgit Marschall stellte die Fragen.