Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn über den neuen Wirtschaftsminister, das Vorbild Bayern, falsche Akzente im Koalitionsvertrag und die notwendige Öffnung der Arbeitsmärkte
CAPITAL: Herr Professor Sinn, statt Edmund Stoiber wird jetzt Michael Glos neuer Wirtschaftsminister. Ist er eine gute Wahl?
Sinn: Ja - wenn er dieselbe Linie wie Stoiber vertritt: das bayerische Wirtschaftsmodell. Das funktioniert gut.
CAPITAL: Bei Kritikern steht das System Bayern eher für Verfilzung von Staat und Wirtschaft und für zweifelhaften staatlichen Interventionismus. Hilft das Deutschland weiter?
Sinn: Es gibt keinen Filz, sondern gute Kooperation. Dieser wirtschaftsfreundliche Stil ist in der Tat vorbildlich: Wir brauchen keine Heuschreckendebatte, sondern müssen die Unternehmer hofieren. Sie sind in der globalisierten Welt in der stärkeren Position. Und eine kluge Industriepolitik, die Cluster bildet, kann eben nur der Staat leisten. Der Markt allein schafft es meist nicht, solche Netzwerke zu knüpfen.
CAPITAL: In der Union sind Sie ein gefragter Ratgeber - was muss der neue Wirtschaftsminister jetzt als erstes anpacken?
Sinn: Er sollte vor allem den neuen Finanzminister darin unterstützen, den Haushalt zu konsolidieren. Denn ohne eine Sanierung der Staatsfinanzen werden Investoren und Konsumenten nicht wieder das nötige Vertrauen schöpfen.
CAPITAL: Fürchten Sie nicht, dass ein rigider Sparkurs das ohnehin schwache Wachstum wieder abwürgen würde?
Sinn: Nein, im Gegenteil. Das Wachstum ist vor allem deshalb so gering, weil wir mit der hohen Verschuldung seit der Wiedervereinigung unseren Nimbus als Hort der Stabilität verspielt haben. Das hat Investoren stark verunsichert. Wenn Schuldenmachen Wachstum brächte, müssten wir ja längst Wachstumsweltmeister sein. Wir liegen aber weit hinten.
CAPITAL: Aber der Spielraum für Kürzungen ist eng. Der Löwenanteil der Ausgaben ist für Renten, Arbeitsmarkt und Zinsen festgelegt. Sind Steuererhöhungen also richtig?
Sinn: Nein. Eine Erhöhung der Steuersätze, auch bei der Mehrwertsteuer, ist falsch. Besser wäre es, die Regierung würde konsequent Steuervorteile und Subventionen streichen. Zudem sollte sie die Aktivierende Sozialhilfe einführen. Das bedeutet unter anderem, beim Arbeitslosengeld II die Sätze um ein Drittel senken, die Zuverdienstmöglichkeiten deutlich erhöhen und die Ein-Euro-Jobber an die Wirtschaft verleihen. So kann sie einen zweistelligen Milliardenbetrag sparen.
CAPITAL: Von Steuersatzsenkungen für die Bürger spricht auch in der Union fast niemand mehr. Zu Recht?
Sinn: Notwendig wären die nach wie vor - aber die Budgetkonsolidierung hat jetzt Vorrang.
CAPITAL: Und wie kommt der schwache Konsum auf die Beine? Durch kräftige Lohnzuwächse, wie sie die Gewerkschaft fordert?
Sinn: Das würde den Konsum vermutlich nicht beleben, im Gegenteil: Es gingen noch mehr Jobs verloren, die Leute hätten noch mehr Angst, und es würde noch mehr gespart. Unsere Löhne sind zuletzt zwar etwas wettbewerbsfähiger geworden, aber noch immer die zweithöchsten nach den norwegischen. Nein, wenn wir Konsum und Wachstum ankurbeln wollen, brauchen wir flexiblere Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt.
CAPITAL: Auch davon ist bei den Koalitionspartner inzwischen kaum noch die Rede.
Sinn: Leider. Die entscheidenden Reformen sind ja nicht konsensfähig: Kündigungsschutz deutlich lockern, betriebliche Bündnisse in allen Branchen ermöglichen, Löhne senken. Insofern wird die große Koalition zwar den finanziellen Kollaps des Landes verhindern. Aber das Wachstumspotenzial wird nicht steigen.
CAPITAL: Verlangt der Ökonom mit diesem Katalog der Grausamkeiten nicht zu viel von der Politik?
Sinn: Nein, wir brauchen eine Kulturrevolution wie in den 80er Jahren in Neuseeland mit freiem Wettbewerb auf den Arbeitsmärkten. Je länger wir mit diesem Umbau warten, desto härter müssen die Einschnitte werden.