Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts sorgt sich um den Euro, lobt rot-grüne Reformen und verlangt eine neue Steuerpolitik - vor allem mit einer zielgenauen Ökosteuer
FOCUS-MONEY: Der Euro verliert ständig an Wert. Müssen wir uns Sorgen um unsere Währung machen?
Hans-Werner Sinn: Ja, deshalb ist es gut, dass die Europäische Zentralbank jetzt aktiv interveniert. Andernfalls setzt sich der Abwärtstrend ungebremst fort. Nach der ersten Intervention ist zu lange nichts geschehen.
Ist der Euro also eine Missgeburt?
Nein, er ist ja im Grunde noch gar nicht geboren - und da liegt das Problem. Es dauert zu lang, ehe die Leute die neue Währung im Portemonnaie haben. Zwischen der Ankündigung vom Tod der Mark und der physischen Euro-Einführung vergehen drei Jahre - was viele verunsichert.
Wie meinen Sie das?
Den Euro macht schwach, was die Mark stark gemacht hat: die erhebliche Nachfrage nach Mark außerhalb von Deutschland. Die Mark ist ein Erfolgsmodell und gern im Ausland benutzt worden, vor allem in Osteuropa. Etwa jede vierte Mark war dort im Umlauf, immerhin zwischen 60 und 80 Milliarden Mark. Aber jetzt wissen etliche Ausländer nicht, was aus ihrem Geld wird. Und das tauschen sie zurzeit lieber in Dollar um.
Aber das kann doch den Kurs nicht ernsthaft bewegen.
Wenn im Ausland das Interesse an den Mark-Beständen schwindet, drückt das den Kurs. Die Europäische Zentralbank muss die Geldmenge in dem Maß zurücknehmen, in dem Ausländer jetzt ihre Mark abstoßen wollen. Das können bis zu zehn Prozent der Euro-Geldmenge sein. Solange das neue Geld noch nicht da ist, muss die Europäische Zentralbank intervenieren.
Allerdings leidet Euro-Land derzeit nicht gerade unter dem schwachen Euro. Die Exportkonjunktur brummt.
Der schwache Euro tut der Konjunktur gut. Aber mit einer schwachen Währung importiert man Inflation, so dass die Menschen real an Einkommen verlieren.
Die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, auch Ihr Ifo-Institut, erwarten im Herbstgutachten, dass das Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr nur noch um 2,7 Prozent zunimmt.
Was heißt "nur noch"? Es geht weiter ziemlich steil bergauf. Nur nicht mehr so schnell wie zuvor.
Welchen Anteil hat die Ökosteuer daran, dass das Tempo nachlässt?
Die Ökosteuer behindert die Konjunktur überhaupt nicht, sie verhält sich neutral. Denn ihr Aufkommen verringert die Sozialversicherungsbeiträge, nicht die Konsumnachfrage.
Was gefällt Ihnen nicht an der Ökosteuer?
Sie ist nicht sehr zielgenau, denn eine richtige Ökosteuer müsste die Menschen dafür zahlen lassen, wenn sie andere Menschen schädigen - wenn sie beispielsweise die Luft verschmutzen oder andere Verkehrsteilnehmer auf den Straßen behindern.
Der Bundesfinanzminister hört's gern.
Er bekommt schon genug Steuern. Die Ökosteuer muss andere Steuern ersetzen. Die schlimmsten Umwelteffekte haben Verkehrsstaus, und deshalb brauchen wir eine Maut für alle Fahrzeuge. Im Gegenzug gehört die Kraftfahrzeugsteuer abgeschafft.
Sie sind nicht der erste Wissenschaftler, der das vorschlägt - und in der Politik belächelt wird.
Noch, aber ich gehe jede Wette ein, dass wir die Maut in zehn Jahren haben. Es herrscht Chaos auf den Straßen, und es ist klar, dass es so nicht weitergehen kann.
Wie zufrieden sind Sie mit Bundeskanzler Gerhard Schröder und der rot-grünen Bundesregierung?
Sie hat mich durch Steuer- und Rentenreform positiv überrascht. Allerdings könnte sie ihre gesammelten Pluspunkte schnell verspielen. Mehr Mitbestimmung und mehr Kündigungsschutz bedrohen die wirtschaftliche Dynamik, die die Steuerreform gerade erzeugt..
Reicht denn die Steuerreform aus?
Sie bringt mehr als erwartet, aber noch nicht genug. Ziel wären ein Spitzensteuersatz von 40 Prozent und eine allgemeine Entlastung der Arbeitseinkommen.
Das wird dem Finanzminister womöglich zu teuer.
Er verfügt über genügend Sparpotenzial. Allein wenn er alle Subventionen um zehn Prozent kürzen würde, hätte er 25 Milliarden Mark mehr.
Sollte die Regierung notfalls die Mehrwertsteuer erhöhen?
Wenn sie das zusätzliche Aufkommen verwendet, um die Lohnsteuer zu senken, bin ich dafür. Die Mehrwertsteuer ist die einzige Steuer, mit der Sie die nicht ganz armen Rentner besteuern können. Es ist ungerecht, dass unsere Kinder wegen der massiven Neuverschuldung die Kosten der deutschen Einheit zu tragen haben, während die Rentner hierfür keinen Beitrag leisten.
M. LAMBRECHT/J.-H. WISKOW
Wiederveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von FOCUS-MONEY.