Der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München, Hans-Werner Sinn, lehnt staatliche Konjunkturprogramme rigoros ab. Mit ihm sprach Peter Hahne.
DIE WELT: Herr Sinn, die Bundesregierung plant ein milliardenschweres Konjunkturprogramm. Was halten Sie davon?
Hans-Werner Sinn: Gar nichts. Eine Erhöhung der Staatsverschuldung kommt nicht infrage. Es gibt überhaupt keinen Spielraum, über die in Rede stehenden Summen auch nur nachzudenken.
DIE WELT: Weshalb?
Sinn: Selbstverständlich kann der Staat konjunkturelle Effekte erzielen, wenn er die Nachfrage nach Investitionen oder den Konsum ankurbelt. Aber er müsste sich dafür verschulden. Konjunkturprogramme setzen eine Erhöhung der Staatsschulden und des Staatsanteils voraus. Beides können wir nicht gebrauchen. Die Überwindung der deutschen Strukturschwäche verlangt eine Senkung des Staatsanteils, und die Verschuldung kann man wegen Maastricht nicht ausweiten.
DIE WELT: Warum nicht?
Sinn: Die Bundesrepublik hat sich im Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt dazu verpflichtet, die Verschuldungsgrenze von maximal drei Prozent einzuhalten. Letztes Jahr haben wir diese von uns selbst geforderte Grenze überschritten, und auch dieses Jahr liegen wir wieder ganz dicht dran. Das heißt: Deutschland darf die Neuverschuldung gar nicht ausweiten. Wir haben Verträge unterschrieben - und an die müssen wir uns halten. Im Übrigen lässt der Stabilitätspakt Ausnahmen von der Drei-Prozent-Regel zu, wenn das Sozialprodukt stark fällt, aber diese Bedingung ist derzeit nicht gegeben. Der Staat hat in der letzten Boomphase nicht genug gespart. Würden wir heute nicht von so einem hohen Sockel bei der Neuverschuldung starten, hätten wir auch die Möglichkeit, über eine maßvolle Ausweitung der Neuverschuldung nachzudenken. Aber davon sind wir meilenweit entfernt.
DIE WELT: Wenn nun die Mittel für kommunale Investitionen an anderer Stelle in den öffentlichen Haushalten eingespart würden?
Sinn: Wenn anderswo gespart wird, ist das kein Konjunkturprogramm. Ein Konjunkturprogramm verlangt, dass der Staat seine Ausgaben erhöht, ohne sie zugleich anderswo zu senken. Einen Konjunkturstimulus in der Größenordung von ein bis zwei Prozent des Bruttosozialprodukts könnten wir zwar gebrauchen, aber wir können diesen Weg nicht gehen, wenn wir nicht die Glaubwürdigkeit unseres Staatswesens, ja des gesamten Euro-Systems aufs Spiel setzen wollen. Nutzen wir doch lieber die Budgetklemme für die dringend notwendigen Strukturreformen, die wir im Boom ohnehin niemals schaffen würden. Deutschland leidet unter strukturellen Problemen, und diese strukturellen Probleme werden verschärft, wenn der Staat jetzt finanzielle Maßnahmen zur Konjunkturbelebung ergreift. Würde er dagegen bei den konsumtiven Ausgaben kürzen und diese zu Gunsten von öffentlichen Investitionen umschichten, wäre das sehr sinnvoll. Aber das ist eben kein Konjunkturprogramm.
DIE WELT: Was schlagen Sie vor, um die lahmende Wirtschaft wieder in Gang zu bringen?
Sinn: Alles dreht sich um den Arbeitsmarkt. Wenn hier die verkrusteten Strukturen nicht aufgebrochen werden, werden sich auch die Wachstumsbedingungen nicht verbessern. Fast noch wichtiger als die gemeinhin geforderte Senkung der Lohnzusatzkosten ist die Schaffung eines Niedriglohnsektors. Das geht aber nur, wenn wir die schädliche Rückwirkung der Sozialsysteme auf den Arbeitsmarkt ausschalten. Wenn der Anspruchslohn, der sich aus den staatlichen Transferzahlungen ergibt, nicht sinkt, werden die faktischen Mindestlöhne für Geringqualifizierte zu hoch bleiben - mit den bekannten Auswirkungen für die Beschäftigung. Ein weiterer wichtiger Hebel zur Belebung der Wirtschaftskraft ist die Tarifgesetzgebung. Es muss möglich sein, die in den Flächentarifverträgen vereinbarten Löhne auf betrieblicher Ebene zu unterschreiten, wenn die Mehrheit der Beschäftigten zustimmt. Sonst bleibt der Flächentarifvertrag ein Jobkiller ersten Ranges.