Prof. Hans-Werner Sinn kritisiert Einfluss auf Politik
Professor Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner ifo-Instituts, fordert einen flexibleren Arbeitsmarkt.
Aus den Reihen von Union und FDP wird den Gewerkschaften, vorgeworfen, ihr Einfluss sei zu groß. Teilen Sie diese Meinung?
Es ist richtig, dass die Gewerkschaften in Deutschland zu mächtig sind. Richtig ist auch, dass sie den Wohlstand ihrer Mitglieder zu Lasten der Allgemeinheit vergrößern.
Müssten Sie diesen Vorwurf nicht an die Politik richten, die sich nicht zu wehren weiß?
Wir haben das Betriebsverfassungs- und das Tarifvertragsgesetz, sie legen den rechtlichen Rahmen fest. Diese Gesetze geben aber den Gewerkschaften zuviel und den Betrieben zu wenig Macht. Flächentarifverträge nehmen auf schwächere Firmen keine Rücksicht.
Es gibt aber im Osten viele Öffnungsklausein, die ein Abweichen zulassen?
Ja, gerade in den neuen Ländern hat sich viel getan. Viele Betriebe halten sich gar nicht an die Tarifverträge und die Gewerkschaften drücken ein Auge zu. Die Gewerkschaften spielen im Osten keine Rolle mehr. Das ist im Westen anders. Es gibt konkrete Beispiele, wo Lohnsenkungen nicht zugelassen werden, obwohl die Mehrheit der Belegschaft sie fordert, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten.
Die flexiblen Tarifverträge im Osten sind offenbar nicht die Lösung für den Arbeitsmarkt.
Nein, auch der Sozialstaat muss an Haupt und Gliedern reformiert werden. Es wäre falsch zu sagen, die Gewerkschaften gehören abgeschafft. Sie haben eine wichtige Rolle. Ihre Tarifsetzungsmacht sollte aber vor den Werkstoren enden und durch die Belegschaften selbst kontrolliert und begrenzt werden. Nur das wäre echte Tarifautonomie. Im Moment hindert eine übergeordnete Gewerkschaftszentrale die Betriebe daran, das zu tun, was die Arbeitnehmer möchten. Ich kritisiere, dass sich die Gewerkschaften in die Politik einmischen und .bestimmen wollen, wo es langläuft. Es geht aber nicht nur um die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder, und auf der anderen Seite dürfen auch nicht nur die Arbeitgeberverbände stehen. Unser System darf nicht nur denen dienen, die sich schon einen Platz erkämpft haben. Wer einen Arbeitsplatz sucht oder sich selbstständig machen möchte, sitzt beim Bündnis für Arbeit nicht mit am Tisch.
Gespräch: Karin Schlottmann