Professor Hans-Werner Sinn ist Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München. Seiner Ansicht nach bieten sich dem Freistaat vor allem im Handel große Chancen, vom EU-Beitritt der osteuropäischen Nachbarländer zu profitieren.
LfA Report: Professor Sinn, wodurch hat sich die bevorstehende EU-Osterweiterung bisher besonders stark auf die bayerische Wirtschaft ausgewirkt?
Sinn: Die mittelständische Industrie hat im großen Stil in Osteuropa statt in Deutschland investiert. Sie hat Niederlassungen gegründet und ihre arbeitsintensiven Wertschöpfungsteile verlagert.
LfA Report: Um Lohnkosten zu sparen?
Sinn: Genau. Ungarische und tschechische Löhne machen etwa ein Sechstel bis ein Siebtel der deutschen aus. Sie werden auch auf absehbare Zeit niedriger bleiben als bei uns, so dass es sich lohnt, in diesen Ländern längerfristig zu investieren.
LfA Report: Im Zuge der Erweiterung werden viele gesetzliche Einschränkungen wegfallen. In welcher Branche macht sich das in Bayern besonders bemerkbar?
Sinn: Im Dienstleistungssektor. Die EU gewährleistet Dienstleistungsfreiheit, und dieser Bereich war vor dem Beitritt gegen die Ostanbieter geschätzt. Das heißt, dass tschechische Baufirmen jetzt in Bayern Aufträge annehmen dürfen und wegen ihrer geringen Löhne günstigere Preise anbieten als deutsche Firmen.
LfA Report: Bedeutet das nicht enorme Konkurrenz?
Sinn: So ist es. Das Spannungsverhältnis zwischen hohen deutschen Tariflöhnen und niedrigen Löhnen im Osten verursacht große Probleme. Sie lassen sich nur bewältigen, wenn wir auf den Arbeitsmärkten flexibel reagieren. Die Lohnkosten müssen sinken, bis die Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet ist. Aber diese Flexibilität fehlt uns leider in Deutschland.
LfA Report: Das ist Aufgabe der Politik. Können die Unternehmer selbst etwas tun?
Sinn: Ja. Sie haben die Möglichkeit, mit ihrem Know-how und ihrem Kapital nach Osteuropa zu gehen und dort Gewinn zu machen.
LfA Report: Wie profitieren die Firmen sonst noch von den neuen Märkten in Osteuropa?
Sinn: Es entstehen neue Kontakt- und Handelsmöglichkeiten. Deutschland - und Bayern im Speziellen - kann zur Drehscheibe zwischen Ost und West werden. Dabei kann die Industrie indirekt als Händler tätig werden, indem sie im Osten produzieren lässt und die Waren von Deutschland aus weiter verkauft. Leider gewinnen nur die Firmeninhaber dabei und nicht die Arbeitnehmer in Bayern, da viel Wertschöpfung wegbrechen wird.
LfA Report: Mit welchen Ländern werden die Beziehungen von Bayern aus am intensivsten sein?
Sinn: Mit den benachbarten Staaten Ungarn und Tschechien. Aber auch mit der Slowakei werden sich viele Kontakte ergeben.
LfA Report: Liegt das nur an der räumlichen Nähe?
Sinn: Nein. In diesen Staaten gibt es eine große deutsche Sprachkompetenz, da sie ehemals zu Österreich-Ungarn gehörten. Zudem ist der Gesetzesrahmen ähnlich. Nach dem Kommunismus konnten sie wieder an ihre alten bürgerlichen Gesetze anknüpfen, die den deutschen und österreichischen entsprachen. Zwischen dem angelsächsischen und dem deutschen Rechtssystem dagegen gibt es kaum Gemeinsamkeiten. Insofern fällt es hiesigen Firmen relativ leicht, mit Osteuropäern Verträge zu schließen. Hier bieten sich gute Chancen.