FTD: Wie erklären Sie, dass die deutsche Wirtschaft so viel stärker wächst als von vielen erwartet?
Sinn: Grund ist, dass die Ausrüstungsinvestitionen wieder angezogen haben, wenn auch von niedrigstem Niveau. Das ist in jedem Aufschwung so. Nach langen Jahren der Flaute hatte sich ein solcher Ersatzbedarf aufgestaut, dass die Firmen jetzt wieder investieren. Die Exporte hatten ja schon zwei Jahre vorher angezogen, sodass in der Exportindustrie auf jeden Fall eine Kapazitätsausweitung anstand.
FTD: Warum aber kam der Investitionsschub erst jetzt?
Sinn: Vor zwei Jahren begann ja erst der Nachfrageschub. Die Kapazitäten waren damals noch nicht ausgelastet.
FTD: Sie haben 2004 gesagt, Deutschland wäre schon im Boom und die Konjunktur werde nicht mehr besser. Was hat sich geändert?
Sinn: Ich habe gesagt, alles sei relativ, und auch über einen kleinen Boom müsse man sich freuen. Den hatten wir damals ja in der Tat. Der Aufschwung hat 2003 angefangen und hat sich 2004 verstärkt. Dann gab es eine kleine Flaute im ersten Halbjahr 2005, und danach hat sich die Wirtschaft wieder gefangen und sich sogar noch einmal verstärkt.
FTD: Aber das Wachstum 2006 könnte mehr als doppelt so stark sein wie 2005...
Sinn: So ist es. Wir sind jetzt wohl auf dem Höhepunkt des Aufschwungs. Unser Ifo-Geschäftsklimaindex zeigt das schon des Längeren.
FTD: Haben einige die Stärke der deutschen Wirtschaft unterschätzt?
Sinn: Viele haben die konjunkturelle Dynamik unterschätzt. Aber aus der Entwicklung jetzt zu schließen, dass eine Zeitenwende eingesetzt hat, wäre verfehlt. Wir reden ja nur über eine gute Konjunktur, nicht über einen Anstieg des Trendwachstums, das wir nach wie vor bei nur 1,2% sehen.
FTD: Was kann die Politik aus dem aktuellen Aufschwung lernen?
Sinn: Die Wirtschaft funktioniert in Zyklen. Aus einer konjunkturellen Entwicklung sollte man nicht auf einen Trend schließen. In einer Flaute wie nach dem Jahr 2000 braucht man nicht zu fürchten, dass diese anhält. Und in einem Boom wie heute darf man auch nicht hoffen, dass dieser anhält. Seit 1970 haben wir einen regelmäßigen Zyklus bei der Arbeitslosigkeit. Fünf oder sechs Jahre steigt die Arbeitslosigkeit, vier bis fünf Jahre geht sie danach zurück. Ich sehe noch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das nun ändert. Deshalb erwarte ich nicht, dass die Arbeitslosigkeit wieder auf das Niveau des Jahres 2000 zurückgehen wird.
Interview: Sebastian Dullien