Herr Professor Sinn, Ihre These von einem 3 bis 5% höheren Sozialprodukt bei -einer generellen Rückkehr zur 40-Stunden-Woche hat viel Skepsis hervorgerufen. Worauf stützen Sie Ihre Berechnungen?
Auf die Beobachtung von Arbeitstageffekten im Konjunkturzusammenhang sowie der Erkenntnis, daß langfristig sehr viel höhere Effekte als im konjunkturellen Verlauf zu erwarten sind, weil die Beschäftigung steigen wird.
2004 war ein Schaltjahr. Zusätzlich gab es drei Arbeitstage mehr. Hat der daraus resultierende Effekt nicht gezeigt, daß die Arbeitszeitfrage eigentlich sekundär ist?
Das Arbeitsvolumen wurde durch die vier Tage um 1,9% ausgedehnt. Der konjunkturelle Wachstumseffekt, den die Gemeinschaftsdiagnose daraufhin ermittelt hat, liegt bei 0,5 Prozentpunkten Mehrwachstum. Zwei Stunden Mehrarbeit pro Woche entsprechen 5 Prozent Mehrarbeit oder 11 Tagen. Das macht nach dieser Rechnung allein schon knapp 1,5% Wachstum für eine solche moderate Arbeitszeitverlängerung. Das ist aber nur der konjunkturelle Effekt einer zeitweiligen Ausdehnung der Beschäftigung, die schon im nächsten Jahr wieder korrigiert wird. Dieser Effekt ist schon deshalb abgeschwächt, weil Unternehmen und Haushalte ihre Nachfrage über die Zeit zu glätten pflegen und deshalb mit ihrer Nachfrage kaum reagieren, wenn sie temporär mehr Einkommen erwirtschaften. Bei einer dauerhaften Ausdehnung kommen ganz andere Effekte zustande. Selbst wenn die Beschäftigung und der Kapitaleinsatz nicht stiegen, würde sich in den Bereichen, wo noch nicht 24 Stunden rund um die Uhr gearbeitet wird, die Produktion um 5% erhöhen. Da aber die Mehrbeschäftigung für die Unternehmen attraktiv ist, weil ein Arbeiter ja mehr bringt, ohne mehr zu kosten, und da auch mehr Kapital eingesetzt wird, liegt der langfristige Wachstumseffekt in diesen Bereichen deutlich über 5%. Zieht man die Schichtarbeitseffekte in den anderen Sektoren der Wirtschaft ab, kommt man sicherlich auch in der Gesamtwirtschaft auf die lange Frist in die Gegend von 5%. Die Faustregel ist, daß eine fünfprozentige Verlängerung der Arbeitszeit langfristig ein um 5% höheres Sozialprodukt mit sich bringt, wenn die Monatslöhne nicht steigen.
Lohnverzicht, Mehrarbeit, eine gesteigerte Produktivität und weitergehende Forderungen gegenüber den Arbeitnehmern sind auch angesichts angeschlagener Gewerkschaften in der letzten Zeit wieder populär geworden. Wie wirken sich diese Forderungen aus Ihrer Sicht aus?
Sie sind überhaupt nicht populär. Aber sie sind notwendig, weil wir billiger und besser werden müssen, um den Niedriglöhnern aus aller Welt, die seit dem Fall des Eisernen Vorhangs mitmachen, Paroli bieten zu können.