Auf Einladung des VWL-Lehrstuhls erläuterte ifo-Chef Hans-Werner Sinn vor Passauer Studenten seine Theorie der „Basarökonomie Deutschland“. Im PNP-Interview erklärt Sinn seine Rezepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit sinkt. Wie lange hält der Boom?
Sinn: Die Weltwirtschaft wächst mittlerweile im vierten Jahr um fünf Prozent, das hatten wir seit 1950 nicht mehr. Die Konjunkturzyklen in Deutschland verlaufen nach der Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte über eine Zeitspanne von zehn Jahren, das heißt es geht fünf Jahre aufwärts, fünf Jahre abwärts. Der Aufschwung hat im Jahr 2005 begonnen, also könnte er, wenn wir Glück haben, bis 2009 anhalten. Dass er darüber hinaus andauert, ist zwar möglich, aber eher unwahrscheinlich.
Welchen Anteil hat die Regierung am Aufschwung?
Sinn: Gar keinen, ganz im Gegenteil. Aber das ist kein Vorwurf. Durch die Mehrwertsteuer hat die Regierung dem Markt Einkommen entzogen, sie hat das Ausgabenwachstum begrenzt, und sie hat das strukturelle Defizit in ihrem Budget verringert. Das alles dämpft die Konjunktur, und deswegen ist es gut. So wird eine Überhitzung der Konjunktur, die zur Inflation führen würde, vermieden. Außerdem vererben wir unseren Kindern weniger Schulden. Einen positiven Effekt auf die Arbeitsmarktentwicklung haben allerdings die Hartz-IV-Reformen Gerhard Schröders gehabt. Indem zwei Millionen Menschen die Arbeitslosenhilfe entzogen wurde, haben sich deren Lohnansprüche gesenkt, und wegen der auch daraus resultierenden moderaten Lohnentwicklung gibt es nun sogar mehr neue Stellen, als allein aus konjunkturellen Gründen zu erwarten gewesen wäre.
Viele Menschen haben nicht das Gefühl, dass der Boom bei ihnen ankommt. Ein Großteil der neuen Jobs entsteht in der Zeitarbeitsbranche, wo teilweise niedrigste Löhne gezahlt werden.
Sinn: Man hat entweder hohe Löhne und wenige Jobs, oder niedrige Löhne und viele Jobs. Durch die Zeitarbeitsfirmen haben wir in gewissen Branchen eine Senkung der Lohnkosten bekommen und dadurch neue Jobs. Dass mehr Beschäftigung nur mit erheblichen Lohnzugeständnissen erkauft werden konnte, liegt auch an der Globalisierung. Die internationale Niedriglohnkonkurrenz begrenzt hierzulande den Spielraum für Lohnerhöhungen, denn wenn je teuerer die Arbeit ist, desto mehr Firmen verlagern die Produktion ins Ausland. Die meisten Arbeiter gehören leider zu den Verlierern der Globalisierung, weil sie es sind, die Konkurrenz bekommen haben. Höher qualifizierte Arbeitnehmer und Kapitalbesitzer gehören hingegen zu den Gewinnern. Die ex-kommunistischen Länder, die seit siebzehn Jahren das Marktspiel mitspielen, haben viele Arbeiter, aber wenig Kapital und auch noch nicht genug Spezialisten. Deswegen öffnet sich die Schere zwischen Reich und Arm in allen westlichen Ländern.
Was halten Sie von Hartz IV? Subventioniert der Steuerzahler nicht die Unternehmen, indem schlecht bezahlte Jobs durch Hartz-IV aufgestockt werden müssen?
Sinn: Der Staat finanziert Arbeit mit, indem er das Arbeitslosengeld II aufstockt. Er macht möglich, dass Menschen in Arbeit kommen, die sonst keine Beschäftigung gefunden hätten. Wenn Sie so wollen subventioniert er Arbeitsplätze. Was daran schlecht sein soll, kann ich allerdings nicht erkennen.
Quasi mit Unterstützung des Staates besetzen Unternehmen reguläre Arbeitsplätze durch Leiharbeit mit deutlich niedrigeren Löhnen . . .
Sinn: Gut, das mag man beklagen. Aber als Konsequenz entstehen auch neue Jobs, die es sonst nicht gegeben hätte. Die staatlichen Zuzahlungen federn die Einkommensverluste der Arbeitnehmer, die unweigerlich mit der Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden sind, ab. Wenn man etwas beklagen muss, ist es der Umstand, dass die Zuzahlung bei Hartz IV so klein ist, aber doch nicht, dass sie überhaupt stattfindet. Ich wäre noch viel großzügiger. Statt der bisherigen 100-Euro-Grenze beim möglichen Hinzuverdienst ohne Abzüge plädiere ich dafür, dass Hartz-IV-Empfänger bis zu 500 Euro hinzuverdienen dürfen.
In Österreich müssen Leiharbeiter genauso entlohnt werden, wie die übrigen Mitglieder der Belegschaft. Das scheint der Wirtschaft nicht zu schaden.
Sinn: Diese Politik tut auch Österreich nicht gut. Die Schaffung von Arbeitsplätzen wird durch diese Regelung behindert. Dass Österreich in den letzten Jahren insgesamt besser abgeschnitten hat als Deutschland, liegt daran, dass das ganze Niveau der Löhne erheblich niedriger ist. Industriearbeiter kosten dort 22 Euro pro Stunde gegenüber 28 Euro in Westdeutschland. Österreichisch Normalarbeitskräfte kriegen kleinere Löhne als die Beschäftigten der Zeitarbeitsfirmen in Deutschland.
Die Große Koalition diskutiert Mitarbeiterbeteiligungen an den Unternehmen.
Sinn: Der Investivlohn ist der Königsweg für die Überwindung der Probleme der Globalisierung. Wer nur Lohneinkommen hat, wird zunehmend Schwierigkeiten haben, davon auskömmlich zu leben. Die Löhne geraten wegen der Niedriglohn-Konkurrenz unter Druck, während die Gewinne steigen. Wenn die Arbeitnehmer von den Gewinnen profitieren, werden sie an der Einkommensart beteiligt, die in der Globalisierung besonders stark wächst.
Die SPD schlägt einen Staatsfonds für alle Arbeitnehmer vor, die CDU bevorzugt Lösungen in den Unternehmen.
Sinn: Ein Staatsfonds ist eine abwegige Idee. Die Verwaltung dieses Staatsfonds schafft eine für eine Marktwirtschaft völlig inakzeptable Machtkonzentration. Im Übrigen ist aus der Sicht der Betroffenen das Geld gar nicht sicher. Wenn der Staat den Fonds kontrolliert, besteht die große Gefahr, dass das Geld frühzeitig für andere Zwecke ausgegeben oder dass zwischen Arm und Reich umverteilt wird, so dass zu Schluss alle das gleiche kriegen, egal wie viel sie gespart haben. Es gilt die alte Bauernregel: „Ein Hund legt sich keinen Wurstvorrat zu.“
Dafür bietet das SPD-Modell anders als das der Union einen Schutz der Einlagen bei Insolvenz des eigenen Betriebs . . .
Sinn: Es sind verschiedene Risiken gegeneinander abzuwägen: Das Konkursrisiko bei der privaten Firma und das Risiko der missbräuchlichen Verwendung der Konten beim Staatsfonds. Beide Risiken kann man vermeiden, wenn man private Fonds auflegt wie in den USA, wo die Arbeitnehmer einen Investivlohn bekommen und selbst entscheiden können, wie er angelegt wird. So können sie ein diversifiziertes Portfolio zusammenstellen und sind sowohl gegen Konkurs als auch gegen staatlichen Missbrauch geschützt.