"Die europäische Klimapolitik hat null Effekt"

Interview mit Hans-Werner Sinn, Financial Times Deutschland, 10.10.2007, Nr. 196/41, S. 18

Mit einer Radikalkritik am bisherigen Kampf gegen die Erderwärmung wird Hans-Werner Sinn heute die Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik aufmischen. Der Münchner Ökonom und Ifo-Präsident sprach vorab mit der Financial Times Deutschland.

FTD Die Bundeskanzlerin hat sich den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben und kommt damit gut an. Was sagen Sie zur deutschen und europäischen Klimapolitik?

Sinn An den Ergebnissen der Klimaforscher lässt sich nicht rütteln: Wir müssen versuchen, den Ausstoß an Treibhausgasen soweit es geht zu reduzieren. Derzeit wird aber, vor allem in Europa, versucht, die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen zu senken. Man unterstellt: Wenn der Verbrauch hier sinkt, hat das auch dann einen positiven Effekt, wenn der Rest der Welt keine Klimapolitik betreibt.

FTD Stimmt das denn nicht?

Sinn Der Effekt ist nicht nur gering, er liegt sogar bei null. Wir dürfen uns doch nicht isoliert sehen. Wenn wir Europäer die Nachfrage nach fossiler Energie drosseln, sinkt der Preis für Öl und Kohle. Er sinkt so lange, bis die geringere Nachfrage durch andere Länder kompensiert wird. Interessenten gibt es genug: die USA, China oder Indien. Wir müssen bedenken, dass das Kioto-Protokoll nur 29 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs wirksam beschränkt.

FTD Wenn die Chancen so schlecht stehen, auf der Nachfrageseite etwas zu tun, was lässt sich denn von der Angebotsseite sagen?

Sinn In der Tat ist das Angebotskalkül der Ölscheichs zentral. Sie verfügen über eine bestimmte Menge Öl und wollen aus dem Verkauf im Laufe der Zeit möglichst hohe Einnahmen gewinnen. Sie stehen nun vor der Frage, ob sie ihren begrenzten Vorrat lieber jetzt oder in der Zukunft ausbeuten. Das hängt davon ab, was sie von der Preisentwicklung erwarten. Die gegenwärtige Umweltpolitik läuft darauf hinaus, dass die Nachfrage nach fossiler Energie auf dem Weltmarkt in Zukunft stärker verringert wird als heute. Die Ölscheichs können also davon ausgehen, dass die Politik den Ölpreis in Zukunft gegenüber dem Niveau, das er sonst gehabt hätte, stärker senkt als heute. Das schafft den Anreiz, die Förderung vorzuziehen, was die Erderwärmung beschleunigt.

FTD Agieren denn die Ölscheichs in einer perfekten Marktwirtschaft?

Sinn Nein, das tun sie natürlich nicht, aber das macht die Sache nur noch schlimmer. Weil die Eigentumsrechte in der Golfregion nicht sehr sicher sind, haben sie noch einen stärkeren Anreiz, ihr Öl schnell zu verkaufen und auf Schweizer Bankkonten zu sichern.

FTD Offenbar ein grundlegendes Dilemma. Gibt es einen Ausweg?

Sinn Eine ideale marktwirtschaftliche Lösung gibt es nicht. Wenn man mit Mengenbeschränkungen und Zertifikatehandel à la Kioto arbeiten will, müssen alle Nachfragerländer lückenlos erfasst werden. Nur ein wirklich vollständiges Monopson, also ein weltweites "Nachfrage-Monopol" kann die Extraktionsmengen diktieren. Dann haben wir eine zentralplanerische Bewirtschaftung, was nicht nur Vorteile bringt. Vermutlich geht es aber anders nicht. Von Steuerlösungen halte ich wenig, weil die Preissignale kontraproduktiv wirken könnten. Allenfalls eine weltumfassende Quellensteuer auf Kapitalerträge und eine Bekämpfung der Steueroasen würde helfen, den Ressourcenbesitzern die Lust am Versilbern ihres Öls ein wenig zu nehmen.

FTD Es gibt ja Techniken, Kohlendioxid nach der Energiegewinnung abzufangen und zu speichern.

Sinn Das klingt zwar elegant, aber die technischen Schwierigkeiten sind immens: Das bei der Verbrennung von Öl und Kohle entstehende CO2 hat, auch verflüssigt, ein Vielfaches des Volumens der Brennstoffe selbst. Was eine Hoffnung bietet, ist der Wald. Wir müssen den Raubbau an den Wäldern stoppen. Der macht derzeit netto 18 Prozent des CO2-Ausstoßes weltweit aus, mehr als der ganze Verkehr. Wir sollten auch in großem Stil neue Wälder aufforsten.

FTD Dazu braucht man große Flächen. Das könnte dem Anbau nachwachsender Rohstoffe Konkurrenz machen.

Sinn Nachwachsende Rohstoffe etwa für Biodiesel oder Bioethanol halte ich für einen völligen Irrweg. Wo sollen wir die benötigten Flächen denn hernehmen? Entweder werden sie der Nahrungsmittelproduktion entzogen. Dann steigen die Lebensmittelpreise, was nicht akzeptabel ist. Oder sie werden auf Kosten des Waldes gewonnen. Das kann auch nicht sinnvoll sein, denn je mehr Wald auf der Erde steht, desto mehr Kohlenstoff bindet er. Bioenergie hat, außer sie stammt aus Abfällen, einen negativen Effekt für den Klimaschutz.

Interview: Hubert Beyerle, Thomas Fricke, Christian Schütte