Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn über das Rütteln am Stabilitätspakt und das Gespenst eines weichen Euro
FOCUS-MONEY: Die Bundesregierung dringt darauf, den Euro-Stabilitätspakt zu lockern. Ist das sinnvoll?
Hans-Werner Sinn: Nein. Man müsste den Pakt im Gegenteil verschärfen.
MONEY: Warum?
Sinn: Das 3-Prozent-Kriterium basiert auf der Annahme, dass die Volkswirtschaften viel stärker expandieren, als sie es tun. Deutschland wächst durchschnittlich nur noch mit einem Prozent. Wenn wir zwei Prozent Inflation haben und uns mit jährlich drei Prozent neu verschulden, steigt das Verhältnis von Schuldenbestand und Bruttoinlandsprodukt auf die Dauer gegen 100 Prozent. Aber 60 Prozent war die Obergrenze dafür, dass man beim Euro mitmachen durfte.
MONEY: Diese Schwellen sind willkürlich gesetzt, durch keine Theorie begründet.
Sinn: Das ist nur zum Teil richtig. Die 3-Prozent-Grenze folgt aus der 60-Prozentgrenze unter der Annahme eines Wachstums von nominal fünf Prozent. Mehr als 60 Prozent Schuldenquote sollten wir nie zulassen, weil wir die zukünftigen Generationen ohnehin schon mit Rentenforderungen überlasten.
MONEY: Berlin behauptet, die Philosophie des Paktes sei gescheitert.
Sinn: Das stimmt, und zwar weil die Sünder im Ecofin-Rat über sich selbst zu Gericht sitzen und sich natürlich nicht verurteilen.
MONEY: Was schlagen Sie vor?
Sinn: Ob der Pakt verletzt ist, könnte der Europäische Gerichtshof entscheiden. Ich plädiere außerdem dafür, eine Überschreitung der 3-Prozent-Regel nur zu erlauben, wenn ein Land vorher gespart und seinen Schuldenstand unter 60 Prozent gedrückt hat.
MONEY: Die Bundesregierung will stattdessen einzelne Posten aus dem Defizit herausrechnen, wie Bildungsausgaben und Nettozahlungen an die EU.
Sinn: Wenn wir immer neue Ausnahmen definieren, erteilen wir einen Freibrief zum Schuldenmachen. Jede Generation hat die Pflicht, ihre Nachkommen auszubilden. Bisher wurde die Bildung noch immer von den Eltern bezahlt. Ich halte es auch für pervers, die Nettotransfers nach Brüssel abzuziehen. Das liefe darauf hinaus, dass Deutschland zu Lasten seiner Kinder eine Komplizenschaft mit den anderen EU-Ländern eingeht.
MONEY: Trotzdem wird der Pakt wohl gelockert. Was sind die Folgen?
Sinn: Die Ausgabendisziplin in Europa wird weiter nachlassen, die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der Staat in dreißig Jahren bankrott ist. Außerdem wachsen die Inflationsgefahren.
MONEY: Was ist so schlimm an einem etwas weicheren Euro?
Sinn: Die Geldwirtschaft wird aus den Angeln gehoben, weil die Inflation die Märkte für langfristige Kredite zerstört, was negative Folgen für langfristige Investitionsvorhaben hat.
MONEY: Im Außenwert zum Dollar halten Sie den Euro aber auch für zu hart und befürworten sogar Interventionen.
Sinn: Ja, das ist etwas anderes, weil diese Härte nicht auf die innere Stabilität des Landes, sondern auf ganz andere Effekte zurück zu führen ist. Die USA haben ein riesiges Handelsbilanzdefizit mit China, aber die Chinesen halten den Wechselkurs fest. Jetzt sollen wir die Anpassungslasten tragen, indem wir die US-Exporte nach Europa erleichtern. Das ist der falsche Weg. China muss aufwerten, nicht Europa.
MONEY: Was schlagen Sie vor?
Sinn: Steigt der Euro wieder über 1,30 Dollar, sollte die Europäische Zentralbank den Dollar stützen. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie es bereits getan hat.