Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, über Konjunktur, Mindestlöhne und die deutsche Regierung
Deutschland hat ein gar nicht so schlechtes Jahr hinter sich, was die Wirtschaft angeht. Wie sich das Land in einem schwierigeren Umfeld behaupten wird, wo Gefahr lauert und was zu tun ist, erläutert Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo- Institutes in München.
Herr Professor Sinn, die US-Wirtschaft wächst noch, kühlt sich aber vor allem wegen der Subprime-Krise erheblich ab – mit Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Werden die Schwellenländer – vor allem China und Indien – das amerikanische Defizit ausgleichen können?
Nein, dafür sind die Schwellenländer nicht stark genug. Das Sozialprodukt Chinas, ja selbst jenes aller asiatischen Staaten zusammengenommen, ist kleiner als jenes der USA. 28% des Welt-Bruttoinlandprodukts entfallen auf die USA, auf China gerade mal 5%, und alle asiatischen Länder von der Türkei bis China und Japan erreichen zusammen 24%. Irgendwann wird China so stark sein, dass ein amerikanischer Husten für die Welt keinen Schnupfen mehr bedeutet, aber noch ist es nicht so weit.
Wird die Subprime-Krise, die auch europäischen Banken kräftig zugesetzt hat, 2008 auf die europäische Realwirtschaft überspringen?
Nein, nicht wirklich, aber 2009 könnte es dann passieren.Die Krise macht sich bereits in Amerika in Form einer konjunkturellen Abschwächung bemerkbar.
Auch in Deutschland ist der konjunkturelle Zenit überschritten. Für 2008 werden die Prognosen zum Wachstum des Bruttoinlandprodukts eifrig nach unten korrigiert. Was ist Ihre Prognose?
Wir gehen derzeit von 1,8% Wirtschaftswachstum für 2008 aus. Im Herbst hatten wir noch 2,1% erwartet. Wir haben das zu erwartende Wachstum nach unten korrigiert, weil der starke Euro und der hohe Ölpreis eine kräftigere Abschwächung der deutschen Konjunktur zur Folge haben werden, als noch im Herbst erwartet.
Also der Aufschwung bleibt, aber er kommt langsamer voran?
Das ist exakt unsere Erwartung.
Welches sind die Wachstumsträger 2008?
Der Export und die Investitionsgüternachfrage, die bisher den Aufschwung getragen haben, schwächen sich etwas ab. Die Hoffnungen ruhen auf dem privaten Konsum, für den wir ein Wachstum von 1,5% erwarten.
Ist der private Konsum nicht eher ein unzuverlässiger Verbündeter? 2007 ist er sogar real um 0,2% zurückgegangen. Was ändert sich, dass man für 2008 auf ihn als Konjunkturstütze setzen kann?
Die Verbesserung der Beschäftigungslage führt zu zusätzlichen Einkommen und erhöht damit die Kaufkraft der Arbeitnehmer. Ausserdem wird die Mehrwertsteuer nicht nochmal erhöht. Die Mehrwertsteuererhöhung hat den Nettolohnzuwachs im Jahr 2007 aufgefressen.
Dennoch, es bleiben die hohen Belastungen, durch die Vorsorge und die Teuerung. Hinzu kommt, dass die Verbraucher von den moderaten wirtschaftlichen Erwartungen eher zur Zurückhaltung ermahnt werden könnten.
Pro Kopf ist der Zuwachs tatsächlich sehr gering. Aber dadurch, dass sich die Beschäftigung auch in 2008 weiter erhöhen wird, steigen die Lohnsumme, die Kaufkraft und der Konsum. Aber es ist richtig: Diese Prognose ist mit einem hohen Risiko behaftet. Sollte der private Verbrauch nicht im erwarteten Ausmass zunehmen, weil sich Pessimismus verbreitet – dann können wir auch nicht mehr von den derzeitigen Wachstumserwartungen ausgehen. Neuerdings muss man sogar befürchten, dass die Mindestlohndebatte die Investitionen massiv schädigen wird.
Die Bauwirtschaft hat im Jahresverlauf 2007 kräftig an Schwung verloren. Zwar entwickelt sich der Gewerbebau ausgesprochen gut. Aber der Wohnungsbau leidet unter dem Wegfall der Eigenheimzulage per Anfang 2007. Wie geht es weiter?
Die Vorzieheffekte im Wohnungsbau, die Anfang 2007 die Baukonjunktur beflügelt haben, sind erloschen. Ich rechne mit wenig Dynamik. Das ist übrigens auch ein wesentlicher Grund für die deutliche Abschwächung der Investitionen.
Wie beurteilen Sie angesichts verlangsamten Wachstums die Gewinnentwicklung der Unternehmen insgesamt in 2008?
Die Gewinne haben in den letzten Jahren überaus kräftig zugelegt – deutlich stärker als das Sozialprodukt. Als Folge ist die Lohnquote in der Zeit von 1996 bis 2006 von 71,0% auf 65,6% gefallen. 2008 dürften die Gewinneinkommen nur noch wenig schneller als die Arbeitnehmereinkommen steigen.
Wird sich die Belebung auf dem Arbeitsmarkt 2008 und 2009 fortsetzen?
Für das laufende Jahr rechnen wir noch einmal mit 300 000 Arbeitslosen weniger. Für das Jahr darauf kann man das noch nicht genau prognostizieren. Aber es zeichnet sich ab: 2009 – das Jahr der Bundestagswahl – wird ein sehr kritisches Jahr für die Konjunktur sein.
Einstweilen sonnt sich die Regierung in der guten Arbeitsmarktlage, die sie als ihren Verdienst verkauft?
Die günstige Arbeitsmarktlage ist vor allem Folge der überschäumendenWeltkonjunktur, die im vierten Jahr mit Wachstumsraten von 5% boomt. Aber es wirken auch die Schröderschen Reformen.
Erwarten Sie in dieser Legislaturperiode noch irgendwelche Reformen?
Abgesehen von der bereits beschlossenen Steuerreform wird es weitere Reformen, so nötig sie sind, bis zur Bundestagswahl nicht mehr geben, jedenfalls keine, die nach vorne führen. Die rückwärts gerichteten Massnahmen der Bundesregierung in Sachen Mindestlohn und Arbeitslosengeld werden Sie ja wohl nicht als Reformen bezeichnen wollen.
Für die Kanzlerin ist der Aufschwung bei den Menschen angekommen. Aber ein grosser Teil der Bevölkerung behauptet, der Aufschwung gehe an ihnen vorbei. Wer hat Recht?
Beide. Der grösste Teil der Bevölkerung sagt zu Recht, dass der Aufschwung an ihnen vorbeigegangen ist: Die Lohnsteigerungen seit Beginn der grossen Koalition reichten nicht aus, die Inflation auszugleichen. Die Brutto-Lohnsteigerung pro Kopf betrug 2007 1,8%. Das waren 1,4% netto – bei einer Inflationsrate von 2,1%. Die realen Nettolöhne fielen also um 0,7%. Dafür ist die Mehrwertsteuererhöhung Hauptschuldige. Die Regierung hat den Lohnanstieg ‹verfrühstückt›. Statt die Mehrwertsteuer zu erhöhen, wäre es richtiger gewesen, die Ausgaben mehr zu senken.
Und wer profitiert vom Aufschwung?
EineMinderheit; nämlich die bisher Arbeitslosen – die durch den Aufschwung Arbeit bekommen haben.
Sie sprachen die Inflation an. Werden wir uns auf eine längere Zeit steigender Inflationsraten einstellen müssen?
Dass wir jetzt im November im Vergleich zum Vorjahresmonat einen Preisanstieg von 3,1% hatten, ist – mindestens zu einem Drittel – auf die Mehrwertsteuererhöhung zurückzuführen. Das kann sich nicht wiederholen. Das Ifo-Institut rechnet für 2008 mit einer jahresdurchschnittlichen Inflationsrate von 2,3%.
Unter die kritische Marke von 2% kommen wir nicht?
Nein. Aber lassen Sie uns doch zufrieden sein, wenn der Euro 2008 mit 2,3% inflationiert – auch wenn dies etwas mehr als in den Vorjahren ist. Die D-Mark hatte in den 53 Jahren ihrer Existenz eine durchschnittliche Inflationsrate von 2,6%.
Wird die bisherige Inflationsentwicklung die anstehenden Tarifabschlüsse 2008 bestimmen?
Die Gewerkschaften werden natürlich darauf drängen, die Mehrwertsteuererhöhung zu berücksichtigen. Sollte es gelingen, ginge der Preisanstieg weiter. Aber daran glaube ich nicht angesichts der – trotz allem – doch noch zu angespannten Arbeitsmarktlage.
In welcher Höhe sind Lohnabschlüsse vertretbar?
Will man die Lohnquote konstant halten, müssen die Abschlüsse auf Höhe der Inflationsrate zuzüglich des Produktivitätszuwachses liegen. Will man die Beschäftigung verbessern und von den hohen deutschen Lohnkosten Abstriche machen, braucht man niedrigere Abschlüsse. Mehr als den Inflationsausgleich sollte es dann nicht geben. Es wäre sinnvoll, die Arbeitnehmer würden sich auf absehbare Zeit mit Lohnsteigerungen in Höhe der Inflationsrate begnügen und den Produktivitätsfortschritt nutzen, um den Wettbewerb der Arbeitnehmer weiter zu verbessern. Deutschland hat trotz der Lohnmoderation der letzten Jahre die dritthöchsten Kosten für Industriearbeiter auf der ganzen Welt.
Die EZB ist angesichts der Inflationsraten besorgt. Gleichzeitig lässt sie aber einen strikten Antiinflationskurs vermissen, um die Finanzmärkte, die unter der Subprime-Krise leiden, nicht zusätzlich zu belasten. Wie lange kann die EZB die Politik des Nichtstuns durchhalten?
Nichts zu tun ist in der gegenwärtigen Situation – Inflation einerseits und Subprime- Krise sowie Verlangsamung der Konjunktur andererseits – eine weise Entscheidung. Diese Politik bleibt so lange richtig, bis wir im Frühjahr, wenn die Banken ihre Jahresbilanzen 2007 präsentiert haben, Klarheit darüber haben, wie tief die Finanzkrise verwurzelt ist.
Also erwarten Sie bis dahin keine Leitzinserhöhungen der EZB?
Nein, ausgehend von dem eben Gesagten.
Aber wie wollen die Notenbanken die hohe Geldmenge in den Griff kriegen, die ja die Wurzel allen Übels an den Kapitalmärkten ist?
Im Euroraum hat sich die Geldmenge in der Tat kräftig ausgeweitet. Das liegt daran, dass sich der Euro international zu einer wichtigen Transaktionswährung entwickelt hat. Schon heute gibt es mehr Euros als US-Dollars auf der Welt. Diese Euros sind weltweit verteilt und nicht nur im Euroraum präsent. Da liegt die Schwierigkeit der Geldmengensteuerung, aber auch eine Entwarnung gegenüber der Befürchtung, dass das hohe Wachstum der Geldmenge eines Tages zur Inflation führt.
Es gibt Stimmen, die in Deutschland bereits die nächste Krise sehen. Jochen Sanio, Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, rechnet mit einem ‹bösen Erwachen›: Wenn der Aufschwung an Kraft verliert befürchtet er vermehrte Ausfälle bei Verbraucherkrediten. In der Tat werden seit Jahren immer mehr Ratenkredite vergeben. Beunruhigt Sie das?
Nein, nicht wirklich. In Deutschland lag der Bestand an Verbraucherkrediten im Jahr 2006 mit 15,3% des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte deutlich unter dem US-Wert von 24,8%. Und während der Wert in den USA in den letzten Jahren leicht anstieg, ist der deutsche gefallen. Im Jahr 2000 lag der Anteil inDeutschland 1,5 Prozentpunkte höher als heute.
Interview: Dieter W. Heumann