Debatte um Rentenbeginn: Experten fordern Ende der Zwangs-Verrentung und Pflicht zur Altersvorsorge
Tausende hatten vor wenigen Monaten demonstriert, um die Rente mit 67 zu verhindern. Genutzt hat es nicht - und es heißt es sogar: Die Menschen müssen noch länger arbeiten. Gernot Sieg, Professor für Volkswirtschaft an der TU Braunschweig, gehört zu denen, die das richtig finden. "Durch den medizinischen Fortschritt steigt die Lebenserwartung und damit die Dauer des Rentenbezugs", sagt er. Es gebe drei Möglichkeiten, das Rentensystem zu sichern:
- Die Menschen bekommen niedrigere Renten.
- Sie arbeiten länger.
- Die Beiträge steigen.
"Der letzte Punkt wäre ökonomisch gesehen die schlechteste Lösung, weil höhere Beiträge Arbeitsplätze vernichten", so Sieg. Bleiben die ersten beiden Wege - dabei solle jeder selbst entscheiden, ob er länger arbeitet und mehr bekommt, oder eher aufhört und weniger bekommt, meint Sieg. "Die Zwangsverrentung, also ein festes Renteneintrittsalter, sollte abgeschafft werden."
Wie verfahren die Lage ist, zeigt der Präsident des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo), Hans-Werner Sinn, an einem Beispiel. So haben die Vereinten Nationen in einer Studie berechnet, wie das derzeitige Rentenniveau gehalten werden kann, wenn die Beitragssätze und die anteiligen Bundeszuschüsse konstant bleiben. Resultat: Wir müssen künftig bis 77 arbeiten. Eine Alternative wäre es, 190 Millionen Zuwanderer nach Deutschland zu holen.
"Beides kann natürlich nicht die Lösung sein. Diese Studie ist eine Warnung, das Problem nicht auf die leichte Schulter zu nehmen", sagt Sinn. Unabhängig von einem noch höheren Renteneintrittsalter sieht er die einzig realistische Lösung in der Kapitalbildung. "Das Rentenproblem entsteht doch, weil die Deutschen zu wenige Kinder haben. Wenn man weniger Kinder hat, muss man aber auch weniger ausgeben. Dieses eingesparte Geld müssen die Menschen anlegen und sich so eine Zusatzrente verschaffen", fordert Sinn.
Ein idealer Weg sei das Riester-Sparen. Laut Ifo-Präsident riestern aber noch zu wenige Menschen: Nur jeder dritte Anspruchsberechtigte nimmt die Prämien des Staates in Anspruch. Woran liegt das? "Über das Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung werden viele Rentenempfänger in 30 Jahren weniger als das Existenzminimum erhalten. Und wer darunter liegt, kann davon ausgehen, dass der Staat für ihn sorgt", erklärt Sinn. Viele Menschen denken ihm zufolge: Wenn ich nichts habe, wird mich der Staat schon nicht hängen lassen - aber wenn ich spare, reduziert sich meine Bedürftigkeit und damit mein Anspruch auf Sozialhilfe.
Wie also bringt man die Menschen dazu, mehr zu sparen? Sinn empfiehlt eine gesetzliche Pflicht zur privaten Vorsorge. "Das Niveau wird höher liegen müssen als derzeit beim Riester-Sparen: Wer dabei die volle staatliche Zulage bekommen will, muss ab 2010 vier Prozent des Jahresbruttoeinkommens sparen. Sechs bis acht Prozent sollten es künftig aber sein."