KONJUNKTUR Eine Rezession in der größten Volkswirtschaft der Welt gefährdet auch Asien und Europa. Ökonom Hans-Werner Sinn erklärt, wie Deutschland seine Abwehrkräfte stärken kann
Rheinischer Merkur: Das Ifo-Institut hat 1000 Experten in 90 Ländern nach ihren Konjunkturerwartungen für die USA befragt. Wie ist die Stimmung?
Hans-Werner Sinn: Schlecht. Für Amerika zeigt der Index ein Niveau, das sogar unter dem Tiefststand vom September 2001 liegt.
RM: Aber der Internationale Währungsfonds rechnet auch in diesem Jahr mit einem Wachstum von 1,5 Prozent . . .
Sinn: Vorsicht. Die Wachstumsrate misst die Änderung von Jahresmitte zu Jahresmitte. Der Löwenanteil der 1,5 Prozent ist schon 2007 passiert. Nun erwartet der Währungsfonds drei Quartale ohne Wachstum. Das ist hart am Rande der Rezession.
RM: Handelt es sich um ein reines US-Problem oder schlägt das Wellen?
Sinn: Es wird natürlich Wellen schlagen. Wenn eine so große Volkswirtschaft wie die amerikanische in die Knie geht, dann sind alle betroffen.
RM: Kann das wachstumsstarke China den negativen Effekt einigermaßen ausgleichen?
Sinn: Davon kann überhaupt keine Rede sein. China hat lediglich einen Anteil von sechs Prozent am Weltsozialprodukt, die USA kommen auf 28 Prozent. Insofern wird eine Rezession in den USA unmittelbar die Wachstumsrate der Welt herunterziehen. Zudem wirkt sich eine schwache Konjunktur in den Vereinigten Staaten auch indirekt auf die Welt aus, weil die Exporte anderer Länder in die USA niedriger ausfallen. Ein Viertel der europäischen und ein Viertel der chinesischen Exporte geht in die USA. Es gibt also wechselseitige Ansteckungsgefahren in alle Richtungen.
RM: Hilft es nicht, dass der Ölpreis sinkt, wenn die USA weniger Öl importieren?
Sinn: Das ist richtig, der Ölpreis ist vor allem deswegen in die Höhe geschossen, weil die Weltkonjunktur in den letzten Jahren überschäumte. Seit 1970 gab es keine ähnliche Wachstumsperiode wie in den letzten vier Jahren. Es ist zu erwarten, dass sich mit einer Abschwächung des Wachstums in den USA auch der Ölpreis erholt. Das wird den Abschwung mildern.
RM: War die Krise angesichts der Tatsache, dass die USA viel mehr importieren, als sie exportieren, vorhersehbar?
Sinn: Ja, das Leistungsbilanzdefizit ist in dieser Höhe – knapp sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes – nicht finanzierbar. Das ist in der Tat der tiefere Grund für die Probleme, deshalb bricht die Krise aus. Investoren auf aller Welt schrecken nun zurück. Sie wollen nicht mehr Jahr für Jahr neue amerikanische Wertpapiere kaufen, um das Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren.
RM: Wird das Leistungsbilanzdefizit nun sinken?
Sinn: Grundsätzlich gibt es zwei Wege, das Defizit abzubauen: erstens eine Abwertung des Dollar, die wir nun haben, sodass die Amerikaner ihre Waren im Ausland günstiger verkaufen können. Zweitens eine amerikanische Wirtschaftsflaute, sodass die Amerikaner weniger Importe benötigen.
RM: Die US-Notenbank hat in kurzer Zeit dreimal die Zinsen gesenkt. Verhindert das einen Absturz?
Sinn: Notenbankchef Bernanke reagiert sehr energisch. Er ist sich der Schwere der Krise sehr bewusst. Sein Vorgänger Alan Greenspan spricht sogar von der schwersten Finanzkrise nach dem Krieg.
RM: Rechtfertigt das die drastischen Zinssenkungen?
Sinn: Die Notenbank stellt Liquidität zur Verfügung. Darüber hinaus hat sie der Investmentbank Bear Stearns für 30 Milliarden Dollar eine Kreditsicherung gegeben. Damit hat sie gezeigt, für wie ernst sie die Lage einschätzt. Uns in Deutschland fehlen die Insiderinformationen, um die Situation beurteilen zu können.
RM: Die Zinssenkungen werden durch Steuersenkungen flankiert. Ist das angesichts des riesigen Haushaltsdefizits der richtige Weg?
Sinn: Ja, natürlich. Steuersenkungen in Höhe von einem Prozent des Bruttosozialproduktes sind eine Menge. Dieser Schritt war wirklich mutig, und er wird seine Wirkung nicht verfehlen. Deswegen bin ich noch milde optimistisch, dass diese Krise beherrscht werden kann.
RM: Und der Haushalt? Er läuft aus dem Ruder . . .
Sinn: Um eine konjunkturelle Flaute zu bekämpfen, ist es richtig, ein Haushaltsdefizit in Kauf zu nehmen. Vor allem in Amerika kann sich so etwas schnell auswirken, weil der Arbeitsmarkt so flexibel ist, dass sich die Volkswirtschaft schnell erholt.
RM: Die Europäische Zentralbank hält die Zinsen bislang stabil. Sollte sie sich an der US-Notenbank orientieren und Zinsen senken?
Sinn: Nein, noch ist diese Krise keine europäische, sondern eine amerikanische. Dort sind die Hauspreise in den vergangenen drei Jahrzehnten so dramatisch gestiegen, dass sich eine Blase gebildet hat, die nun platzt. Das bringt amerikanische Banken in Schwierigkeiten, weil die Häuslebauer ihre Kredite nicht mehr bedienen können. In Europa ist das anders, vor allem in Deutschland. Hier gab es lange eine Wirtschaftsflaute, weshalb die Immobilien eher unterbewertet sind. Daher ist Deutschland nicht direkt betroffen, sondern höchstens indirekt, weil viele Institute amerikanische Finanztitel gekauft haben. Der Abschreibungsbedarf ist allerdings noch begrenzt, wenn man von Staatsbanken wie WestLB, BayernLB und Sachsen LB absieht, für die der Steuerzahler aufkommen muss. Ich würde aber sagen: Erst wenn die Krise herüberschwappt, müssen auch die Europäer etwas dagegen tun.
RM: Sehen Sie einen Anlass für die Bundesregierung, mit Steuersenkungen die Konjunktur zu beleben?
Sinn: Noch ist es nicht so weit, die Krise ist noch nicht hier angekommen. Wichtig erscheint mir, dass wir in dieser Zeit der Beruhigung der Weltkonjunktur immer noch zusätzliche Jobs verzeichnen und die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter zurückgeht.
RM: Was ist die Ursache?
Sinn: Das liegt an der Agenda 2010 und an der Verringerung der Lohnansprüche, die damit einherging. Die Gefahr in Deutschland ist, dass diese Agenda jetzt rückabgewickelt wird, dass wir in einer Zeit der temporär guten Konjunktur übermütig werden und glauben, man könnte sich die Einschnitte sparen.
RM: Müssen wir Angst um die deutsche Wirtschaft haben?
Sinn: Ich bin kein Hellseher, was die Politik betrifft. Wenn die Mindestlöhne kommen, könnte es sein, dass Deutschland die Sache wieder mal vergeigt.
Das Gespräch führte Stefan Deges.