f+h-Gespräch bringt das Verhältnis auf den Punkt
Ohne Zweifel hat die Globalisierung in den vergangenen Jahren eine große Bedeutung erlangt. Rund um die Globalisierung ranken sich aber auch eine ganze Reihe von Fragen und Aspekten, die es zu beantworten gilt. Und letztlich hat im Weltkonzert Globalisierung die Logistik mehr als nur die Chorstimme zu bieten. Das f+h-Gespräch Logistik und Globalisierung will hierzu Informationen liefern und Denkanstöße vermitteln.
Die Globalisierung wird nicht von jedem als die Erscheinung betrachtet, die den Menschen nur Gutes bringt. Globalisierung also Fluch oder Segen?
Sinn: Die Globalisierung ist auf jeden Fall eine Herausforderung im Toynbeeschen Sinne. Und eine solche Herausforderung hat es an sich, dass man sie bestehen kann, wenn man reagiert und man untergeht, wenn man nicht reagiert. Ganz konkret. Die Globalisierung hat durch den Fall des Eisernen Vorhangs, der ja ein plötzliches Ereignis auch der Wirtschaftsgeschichte war, eine solche Dramatik in den letzten anderthalb Jahrzehnten bekommen wie wir das zu Friedenszeiten in der Welt überhaupt noch nie erlebt haben. Und so sind die Anpassungslasten, aber auch die Chancen enorm groß. Es kommt sehr stark darauf an richtig zu reagieren und zum Beispiel die sich bietenden Spezialisierungschancen zu nutzen. Deutschland hat eine sehr starke Industrie, die auf Investitionsgüter spezialisiert ist. Diese Spezialisierung können wir weiter ausbauen. Andererseits dürfen wir nicht denken, dass wir die problematischen Effekte der Globalisierung, die auch in der Lohnangleichung zwischen den Hoch- und Niedriglohnländern bestehen, durch staatliches Dekret abblocken könnten. Wenn wir das versuchen, dann erzeugen wir Arbeitslosigkeit und schwächen das Wachstum. Um den Sachverhalt auf den Punkt zu bringen: In der Globalisierung gibt es Gewinner und Verlierer, das ist die ganz klare Aussage. Die Unternehmen als Eigentümer des Kapitals und der Ideen sind eindeutig wettbewerbsfähig und gehören zu den Gewinnern der Globalisierung. Die Arbeiter, die einfachen Arbeiter, die jetzt zum Beispiel mit ihren chinesischen Kollegen auf demselben Weltarbeitsmarkt konkurrieren, sind eindeutig die Verlierer. Das Ganze ist eine soziale Zerreißprobe.
Wittenstein: Ich würde über alles betrachtet, die Globalisierung weder als Fluch noch als Segen bezeichnen. Wie Herr Professor Sinn das schon sagte, sie ist eine Herausforderung und von daher denke ich, es kommt ganz einfach darauf an, was wir daraus machen. Um aber bei den Reizworten zu bleiben. Als Segen würde ich die Globalisierung betrachten, wenn man das an diesem Geschehen mitwirkende Unternehmen unter dem Gesichtspunkt eines Kostenoptimierungsprogramms sieht, das ja jedem zugute kommt. Es kommt den Konsumenten zugute, aber auch dem Unternehmen selbst. Ein Fluch könnte die Globalisierung natürlich werden, wenn wir glauben, wir könnten uns gegen diese Entwicklung sperren oder glauben, wir müssen uns nicht anpassen. Der Zwang zum Wandel, zur Anpassung gilt für die an der Globalisierung beteiligten Staaten genau so wie für die global agierenden Unternehmen. Im Maschinenbau haben wir auf jeden Fall gezeigt, dass wir uns in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren sehr wohl angepasst und auf die Globalisierung eingestellt haben.
Hahn-Woernle: Die Globalisierung ist wie ein Kartenspiel, man muss schauen, was man auf der Hand hat und was man aus diesem Spiel machen kann. Der deutsche Maschinenbau ist, wie Herr Wittenstein schon sagte, in diesem Spiel erstklassig aufgestellt. Und wenn ich für unsere Branche, die Intralogistik, sprechen darf, dann zählen wir, genauso wie die externe Logistik, eindeutig zu den Globalisierungsgewinnern. Dabei gereicht uns zum Vorteil, dass wir eine Organisations-, Automations- und Rationalisierungsbranche sind. Die dahinter stehenden Aufgaben und Tätigkeiten sind unser Hauptgeschäftszweck. Wir schauen, wo kann man Warenbewegungen noch effektiver, noch kürzer und noch schneller gestalten. Das ist das Tagesgeschäft der Intralogistik in einer globalen Wirtschaftswelt und hat unserer Branche in den vergangenen Jahren beständig hohe Wachstumsraten beschert. Trotz aller positiven Aussichten habe ich aber auch eine Befürchtung. Aufgrund der guten Chancen auf den globalen Märkten, wandern deutsche Unternehmen zunehmend ins Ausland ab, wo sie dann, nicht unbedingt aber mit deutschen Ingenieuren, ihre intelligente Wertschöpfung erbringen: Wenn der Kunde woanders ist, ist auch die Problemlösung woanders. Diese Entwicklung sehe ich nicht ohne Sorge, aber das wird auf uns zukommen. Und wir werden dem nur entgegenwirken können, wenn wir hier in Deutschland weiterhin über funktionierende Rahmenbedingungen verfügen. Nur dann kann auch die geistige Marktführerschaft hier bleiben.
Sinn: Ich sehe diese Problematik ähnlich und denke, dass der Arbeitsmarkt, zum Beispiel in puncto Kündigungsschutz, aber auch, was die Umstrukturierungsprozesse der Beschäftigung betrifft, flexibler werden muss. Darüber hinaus müssen wir mehr in die Zukunft des Landes investieren. Wir geben viel zu viel für die Vergangenheit aus, der Sozialstaat gebärdet sich mit einem Drittel des Bruttosozialproduktes riesig, und die Investitionen werden vernachlässigt. Auch übrigens die Investitionen in die Bildung und das Humankapital. Deutschland hat einen Anteil öffentlicher Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, der kleiner ist als jener der USA obwohl Amerika noch zusätzlich über einen großen privaten Bildungssektor verfügt. Wir setzen die falschen Prioritäten.
Wittenstein: Wir sind seit Mitte der neunziger Jahre auf dem letzten Platz innerhalb der OECD hinsichtlich der Nettoinvestitionen. Wenn Sie sagen, Herr Professor Sinn wir investieren nicht richtig oder zu wenig, so stimme ich Ihnen zu. In diesem Gesamtzusammenhang müssen wir uns auch die Frage stellen, ob wir mit unseren Arbeitsbedingungen letztendlich weltmarktfähig bleiben können; wir haben die geringste Arbeitszeit in Europa. Und so halte ich es für außerordentlich wichtig, dass wir den Arbeitsmarkt reformieren, die dahinter stehenden Aktivitäten fordern wir als VDMA schon seit gut zehn Jahren. Das sind in Summe alles Nachteile, die wir kompensieren müssen durch zum Beispiel bessere Wertschöpfung, durch höhere Produktivität. Wir müssen zudem mehr Geld in unsere Bildung investieren, in unsere Wissenspotenziale, wozu ich natürlich auch die Ingenieurwissenschaften zähle. Dabei bietet die Intralogistik eine exzellente Möglichkeit das Know-how im Maschinenbau mit den Anforderungen an die Rationalisierung und Automatisierung des Materialflusses zu verknüpfen und entsprechende Systeme und Anlagen zu entwickeln. Zählt man die externe Logistik hinzu, auch hier geht es nicht ohne Technik, trägt die Logistik als Ganzes betrachtet, in nicht unerheblichem Maße zum Gelingen der Globalisierung bei.
Die Logistik also ein „Kind" der Globalisierung?
Sinn: Auf jeden Fall. Die Logistik ist letztlich das Lebenselixier einer Marktwirtschaft. Die von Herrn Hahn-Woernle genannten R-Faktoren sind in diesem Zusammenhang die marktwirtschaftlichen Algorithmen, die quasi von der unsichtbaren Hand des Preismechanismus gesteuert werden. Damit die nachgeschaltete Logistik auch funktionieren kann, bedarf es kluger Ingenieure, die die entsprechende Technik entwickeln, konzipieren und das gesamte Logistiknetzwerk bedarfsgerecht steuern. Ohne Lösung der Logistikaufgabe lässt sich die Arbeitsteilung, auch innerhalb eines Landes, nicht bewerkstelligen.
Hahn-Woernle: Ich würde an dieser Stelle gerne den Begriff Supply Chain Management empfehlen. Die hinter diesem Begriff stehende Software organisiert die komplette Lieferkette, auch international über weite Strecken und sorgt für die Harmonie der Abläufe. Bei diesen Aufgabenstellungen stehen wir ja noch ziemlich am Anfang. Und ich sehe da noch ein enormes Entwicklungspotenzial.
Was kann und muss die deutsche Intralogistik-Branche tun, um sich noch stärker als Wirtschaftsfaktor zu etablieren?
Hahn-Woernle: Das ist nicht so ohne weiteres zu beantworten. Die deutsche Intralogistik ist eine ganz typische Mittelstandsbranche. Auch wenn einige große Global Player dazu gehören, aber im Kern ist sie mittelständisch geprägt. Aber diesem Mittelstand, das sind Unternehmen mit fünfzig bis vielleicht vierhundert Mitarbeitern, fällt es natürlich mitunter schwer sich global, international aufzustellen. Solche Unternehmen sollen jetzt zum Beispiel in China aktiv werden, in einem Land, dessen Sprache man nicht spricht und für dessen Markt die Spielregeln und Ausnahmen nicht bekannt sind. Das ist für ein mittelständisches Unternehmen eine recht komplexe Angelegenheit. Ich sage das für mein Unternehmen ganz offen, ich würde mich das momentan nicht wagen. Wir konzentrieren uns auf die westlichen Märkte. Dort verstehen wir die Menschen, kennen ihre Bedürfnisse und können deshalb für sie auch die passenden Anlagen bauen. Aber gerade in den genannten Märkten wie China liegt die Herausforderung. In dem Teil von China, der sich als Markt für die Logistik eignet, das ist der industrialisierte Gürtel mit etwa 53 Millionen Menschen, da ist Logistik gefordert. Also irgendeiner wird diese Marktherausforderung annehmen. Es ist nur die Frage, ob die deutschen Mittelständler dazu in der Lage sind. Japanische Unternehmen der Intralogistik werden das probieren, aber die sind auch anders aufgestellt, da hätten wir meiner Ansicht nach bessere Chancen. Wir sind individueller. Wir arbeiten mehr problemlösungsorientiert, wohingegen die japanischen Unternehmen eher serienorientiert agieren.
Wittenstein; Das ist sicherlich richtig, was Sie sagen Herr Hahn-Woernle. Auf der anderen Seite sollte man aber auch bedenken, dass das ja auch neue Herausforderungen sind, die da auf uns zukommen. Aber die kommen ja weltweit auf vielzählige Unternehmen zu, die sich mit diesen Themen und Märkten beschäftigen. Die deutschen Unternehmen können immerhin eine hohe Produktqualität, Servicequalität sowie Zuverlässigkeit und die Schnelligkeit in der Abwicklung einbringen. Aber noch ein Wort zum Markt an sich. Die Intralogistik-Branche ist im vergangenen Jahr mit 17 Prozent sicherlich deutlich schneller gewachsen als der internationale Markt. Und auf diesem Weg müssen wir weitermachen. Und gerade Intralogistik und Logistik insgesamt zeigen, wie wichtig es ist, dass wir uns auch in der EU offnen für hochqualifizierte Arbeitskräfte. Wir können die Probleme des weltweiten Markts nicht nur mit unseren deutschen Ingenieuren lösen. Wir brauchen auch Ingenieure aus anderen Ländern.
Hahn-Woernle: Da sind wir wieder bei den politischen Rahmenbedingungen. Wenn nur Akademiker nach Deutschland kommen können, die mindestens 85 000 Euro verdienen, so halte ich das für problematisch. Es tut mir leid, aber in meinem Unternehmen gibt es keinen Berufsanfänger mit einem Anfangsgehalt von 85 000 Euro. Das ist eine falsche Strategie der Arbeitsplatzsicherung. Das ist für mich eher eine Maßnahme nach dem Motto, wie Schotte ich unseren Arbeitsmarkt gegenüber der Konkurrenz ab.
Sinn: An und für sich spricht aus rein ökonomischer Sicht auf den ersten Blick ja alles für freie Migration zwischen den Ländern. Aber es gibt dennoch das Problem, dass der Migrant, wenn er zum Beispiel nach Deutschland kommt, nicht nur sein Lohn erhält, sondern auch Zugang zum Sozialsystem und zum Bestand öffentlich finanzierter Infrastruktur hat. Er bekommt also insofern mehr als nur sein Gehalt. Und das ist der Grund dafür, dass Migration grundsätzlich beschränkt werden sollte. Es ist also genau zu überlegen, welche Berufe benötigt werden. Da der Anreiz wegen der der öffentlichen Leistungen in unser Land zu kommen, insbesondere bei den Menschen am unteren Ende der Einkommensskala groß ist, aber bei den höher qualifizierten kaum eine Rolle spielt, ist die Zuwanderung aus dem unteren Einkommensbereich zu begrenzen. Die Migrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte ist aber leider nicht so gelaufen, sondern wir haben speziell die Menschen aus dem unteren Lohnsegment nahezu ohne Beschränkungen aufgenommen, was natürlich Folgen für die Einkommensverteilung hatte. Diese Politik war, wie wir heute wissen, falsch. Alt-Kanzler Helmut Schmidt hat gesagt, dass die Öffnung für die türkische Immigration, die er betrieben hat, in den siebziger Jahren, ein historischer Fehler gewesen sei. Da stimme ich ihm zu. Denn es ist uns nicht gelungen, aus dieser Immigration eine Erfolgsgeschichte zu machen, weil nämlich zugleich der Sozialstaat mit all seinen Leistungen, soziale Mindestlöhne und Mindestansprüche definiert hat, die verhinderten, dass sich weitere Jobs für zusätzlich kommende Menschen schaffen ließen. Es gab also faktisch eine Art von Immigration in die Arbeitslosigkeit. Und die Einheimischen? Anstatt sich auf die Niedriglohnkonkurrenz mit den Zuwanderern einzulassen, haben sie sich abdrängen lassen in den Sessel, den ihnen der Sozialstaat zur Verfügung stellte. Was ist jetzt die richtige Konsequenz für die Politik? Eine Möglichkeit ist sicherlich einfach die Grenzen zuzumachen. Eine andere ist die eine Art von Heimatlandprinzip bei Sozialleistungen zu schaffen und Zuwanderer nicht so schnell zu integrieren, so wie es die Engländer und Iren praktizieren. Aus all diesen Gründen finde ich eine Einkommensgrenze so schlecht nicht. Ob diese allerdings bei 85 000 Euro liegen muss, das ist in der Tat eine andere Frage. Aber die Einkommensgrenze ist es, die die Immigration im unteren Bereich verhindert.
Zwar nicht zur Migration, aber zum Thema Globalisierung passt auch die bevorstehende CeMAT, die Weltleitmesse für Intralogistik. Die Messe will einmal mehr unter Beweis stellen, dass Logistik und speziell die Intralogistik funktionale Bestandteile des globalen Wirtschaftssystems sind. Wie wird das im Messekonzept hervor gehoben?
Hahn-Woemle: Hier ist die Internationale CeMAT-Konferenz „Future of Logistics" sicherlich das die Messe umspannende und mit globalem Charakter und Charisma ausgestattete Ereignis. Die Idee, die hinter diesem Kongress steht, ist unter anderem aufzuzeigen, welchen Beitrag unsere Branche leisten kann, die Probleme der Zukunft etwas besser in den Griff zu bekommen. Und da bietet die Intralogistik eine Vielzahl von Ansatzpunkten, die das Einzelunternehmen so nicht sieht, die man aber thematisieren und dann in entsprechende Konzepte integrieren muss, die dann von Seiten der Politik als Forderung wieder an die Industrie zurückkommen. Dieser Kongress, so hoffen wir, wird ein Stück mehr Internationalität bringen, den Logistik und Intralogistik sind keine Insellösungen, sondern verbinden die Welt der Wirtschaft und die Menschen, die auf der Welt leben.