Was bringt das Rettungspaket wirklich?
Die Bundesregierung hat mit einer beispiellosen Rettungsaktion in die Bankenkrise erneut eingegriffen. Doch wird die Wirkung so nachhaltig sein, wie die Politik verspricht? Die wichtigsten Fragen beleuchtet tagesschau.de in Interviews mit zwei Experten, die gegensätzlichen Denkschulen angehören, was die Frage der Intervention des Staates in der Wirtschaft angeht.
Beschützt das Maßnahmenpaket der Bundesregierung die Bürger vor unabsehbaren Auswirkungen, wie es die Kanzlerin behauptet?
Sinn: Das ist ein umfangreiches Paket, das seine Wirkung nicht verfehlen wird. Es ist sogar umfangreicher, als ich es erwartet hätte. Es ist dann unmöglich, dass es noch Pleiten deutscher Banken gibt.
Hickel: Insgesamt ist das Notpaket unvermeidbar. Es ist das Eingeständnis, dass die Finanzmärkte insbesondere unter der Führerschaft der Banken in den letzten Jahren absolut versagt haben. Man kann jetzt aber ordnungspolitisch nicht lang herumstreiten, was zu tun ist, bzw. was die ordnungspolitische Wahrheit ist. Wir brauchen jetzt Notmaßnahmen und man sieht wieder mal: Der Staat ist der einzige, der hier in der Krise in die Bresche springen kann.
Weniger Regeln, weniger Steuern, mehr Markt – dieses Denken beherrschte jahrzehntelang die Wirtschaftspolitik. Weshalb ist ein derartiger Eingriff des Staates in den Bankensektor nun auf einmal richtig?
Sinn: Dass der Staat jetzt eingreift, um die Krise zu lösen, ist ja gar nicht vermeidbar. Das ist notwendig geworden, weil er vorher zu wenig und schlecht reguliert hat. Leider ist das Eingreifen in der Krise langfristig eher ein bisschen kontraproduktiv. Aber es ist unvermeidbar. Was wir brauchen, ist ein neues Regulierungssystem für die Banken nach der Überwindung der Krise.
Hickel: Würde der Staat nicht aktiv werden, hätten wir längst schon eine große Krise vielleicht vom Ausmaß der Weltwirtschaftskrise. Falsch gemacht worden ist in der Vergangenheit vor allem die Liberalisierung der Finanzmärkte: Wir haben in Deutschland allein vier Gesetze zur Finanzmarktförderung gehabt, in denen die Schreckensinstrumente zugelassen worden sind, unter denen wir heute leiden. Die große These lautete ja, Kapital- und Finanzmärkte seien unerschöpflich und seien krisenfrei. Das hat sich als Fehleinschätzung erwiesen.
Hat der freie Markt versagt?
Sinn: Was hier versagt hat, ist die Regulierung. Ein freier Markt, auf dem jeder tun und lassen kann, was er will, ist kein Markt, sondern Anarchie. Eine Volkswirtschaft funktioniert nicht mit Anarchie, sondern nur mit Markttausch nach strengen Regeln. Das Prinzip haben wir im Bürgerlichen Gesetzbuch verinnerlicht, aber bei den internationalen Finanzmärkten fehlt es an solchen Regeln.
Hickel: Es ist eindeutig so, dass der freie Markt - vor allem im Finanzbereich - absolut versagt hat. In den Finanzmärkten haben sich Milliardenbeiträge von Kapital konzentriert. Die sollten kurzfristig mit hohen Renditen verwertet werden. Das hat dazu geführt, dass immer wieder neue Finanzinstrumente produziert worden sind, die mit der realen Ökonomie - etwa einer Aktie bezogen auf das Wirtschaftsunternehmen - überhaupt nichts mehr zu tun haben. Deshalb ist die Neuordnung, die jetzt angegangen wird auch eine Voraussetzung dafür, dass die Güter-und Dienstleistungsmärkte wieder funktionieren.
Sollte man die Banken nicht gleich ganz verstaatlichen?
Sinn: Wenn man die Banken verstaatlicht, dann multipliziert man die Probleme, die die Landesbanken hervorgebracht haben. Das Experiment mit verstaatlichten Banken haben wir ja gemacht und es war eine Katastrophe.
Hickel: Man sollte eine generelle Verstaatlichung jetzt nicht machen. Den Weg, den jetzt die Bundesregierung vorgezeichnet hat, halte ich für den besseren Weg, aber er muss auch konsequent eingehalten werden. Nämlich wenn es zu Hilfen kommt, wenn Eigenkapital notleidenden Banken zur Verfügung gestellt wird, wenn sie Liquidität brauchen - dass dann in diesem Ausmaß an den Staat Anteile, Aktien, Beteiligungen gegeben werden müssen.
Welche Reglungen sollten getroffen werden, damit man die Banken demnächst wieder in die Unabhängigkeit entlassen kann, ohne dass es zu einer ähnlichen Situation wie heute kommt?
Sinn: Das Entscheidende ist, dass die Banken mehr Eigenkapital brauchen. Sie sind alle unterkapitalisiert, insbesondere die angelsächsischen Banken. Man braucht strengere Eigenkapitalanforderungen für die Geschäfte, insbesondere auch für die “Off-Balance-Sheet“-Transaktionen - also Geschäfte, die in ausländischen Niederlassungen betrieben werden. Das ist der wichtigste Punkt. Das wird zum einen natürlich das Konkursrisiko verringern, weil mehr haftendes Eigenkapital da ist. Zum anderen wird es, und das ist entscheidend, die Eigentümer der Banken und die von ihnen bestellten Manager dazu bringen, sich vorsichtiger zu verhalten.
Hickel: Das ist ein wichtiger Zusammenhang. Die ganzen Notmaßnahmen sind dann sinnlos, wenn nicht wirklich ein grundlegender Umbau der Architektur der Finanzmärkte erfolgt. Meine Sorge ist, dass sich alles stark auf das Notmaßnahmenprogramm konzentriert. Dass dann aber, wenn die Krise überstanden worden ist und viele Opfer gebracht worden sind - dass dann zum Alltag zurückgekehrt wird und wir bald wieder die nächste Krise vor uns haben. Das Entscheidende ist, dass die Notmaßnahmen mit der Definition von neuen Spielregeln, mit Verboten bestimmter Geschäfte am Finanzmarkt und einem funktionierenden Risikomanagement der Banken verbunden werden. Wichtig ist, dass diejenigen, die hier Fehlverhalten zeigen und im Rahmen ihrer Management-Funktion versagt haben beim Verwalten von Vermögen, dass die auch scharf kritisiert beziehungsweise aus ihren Ämtern enthoben werden.
Das Interview führte Corinna Emundts, tagesschau.de
Zur Person: Hans-Werner Sinn ist Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München. Er gehört zu den Ökonomen, die im Arbeitsmarktbereich für "weniger Staat" und Deregulierung plädieren, für die Schaffung eines Niedriglohnbereiches und die Senkung der sozialen Transferleistungen.
Zur Person: Rudolf Hickel beschäftigt sich als Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft an der Universität Bremen mit Grundfragen der makroökonomischen Theorienbildung. Er tritt für einen starken Staat ein und gehört zu den vehementen Kritikern des bislang vorherrschenden Neoliberalismus in der Wirtschaftspolitik.