Vier führende deutsche Ökonomen erklären, was jetzt zu tun ist. An ein internationales Hilfsprogramm glauben sie nicht
Berlin - Taumelnde Banken, verunsicherte Sparer, verängstigte Firmen: Seit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers vor vier Wochen jagt eine Krisensitzung die nächste. Notenbanken und Regierungen versuchen, den Flächenbrand in der weltweiten Finanzindustrie zu löschen. Bei den Rettungsaktionen geht jedes Land bisher eigene Wege: Großbritannien übernimmt Teile seiner Banken, die USA kaufen den Instituten faule Kredite ab, Deutschland hat die Immobilienbank Hypo Real Estate mit einer Bürgschaft gestützt. Doch die Rufe nach einem international koordinierten Vorgehen werden immer lauter.
Der Tagesspiegel hat vier führende deutsche Wirtschaftsforscher nach ihren Konzepten für den Weg aus der Krise befragt: Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin; Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner Ifo-Instituts; Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln und Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Bonn.
1. Wie können Staaten angeschlagene Banken am besten retten – indem sie Bürgschaften abgeben, ihnen faule Kredite abkaufen oder sie zum Teil verstaatlichen?
ZIMMERMANN: Das hängt von der Stärke der Krise und der Struktur des Bankensystems ab. Einige Banken in Deutschland sind ohnehin im Staatsbesitz und haben sich in der Krise nicht mit Ruhm bekleckert. Andere sind wenig involviert gewesen wie die Sparkassen. Bürgschaften könnten nicht ausreichen und sichern keinen nachhaltigen Einfluss. Eine „Bad-Bank“, die alle Risiken auffängt und die die Banken an dauerhaften Verlusten beteiligt, wenn sie wieder Gewinne machen, ist die beste Lösung.
SINN: Alle drei Maßnahmen kommen in- frage. Die Übernahme von Bankanteilen hat viel Charme, wenn er auf freiwilliger Basis wie in Großbritannien geschieht.
HÜTHER: Die Verunsicherung über Werthaltigkeit der Bilanzen muss adressiert werden. Dazu können verseuchte Kredite oder derzeit nicht bewertbare Wertpapiere abgekauft werden, gebenenfalls mit Rückkaufsrecht. Die Unsicherheit über die Preise dieser Papiere - und damit das Verlustrisiko für den Steuerzahler - könnte kompensiert werden, wenn der Staat sich zugleich über Vorzugsaktien an Banken beteiligt und damit die Chance hat, auch an der Gesundung der Banken zu partizipieren.
HORN: Wichtig ist eine Kombination: Der Staat sollte die Banken sowohl durch den Abkauf fauler Kredite entlasten als auch dafür sorgen, dass sie sich leichter refinanzieren können. Dafür sind staatliche Bürgschaften hilfreich. Damit der Staat am Ende nicht nur die Kosten der Sanierung des Finanzsektors trägt, sollte er im Gegenzug Anteile an Banken fordern. Die Absicherung der Bankkredite könnte zudem gegen eine Gebühr erfolgen.
2. Ist für Deutschland eine nationale Lösung besser, oder ist ein internationales Rettungsprogramm notwendig?
ZIMMERMANN: Die Krise ist systemisch, das heißt, die Risiken hängen supranational zusammen. Das erfordert zumindestens eine enge internationale Kooperation.
SINN: Ein internationales Rettungsprogramm ist in keiner Weise erforderlich. Bei so etwas müssten wir per Saldo an die Briten zahlen. Wir brauchen eine internationale Koordination der Regulierungsvorschriften. Beim Geldverteilen kann sich jedes Land um seine eigenen Banken kümmern.
HÜTHER: Die Forderung nach einem internationalen Rettungspaket ist naiv. Die Interessen sind nicht vereinbar, zumal die Problemlagen divergieren. Deutschland käme schnell in die Rolle des Zahlers. Daher sind nationale Lösungen unvermeidbar. Hier sollte klar auf Verantwortlichkeiten geachtet werden. Der Staat darf nicht nur die Risiken aufsammeln.
HORN: Ein internationales Rettungsprogramm wäre optimal, ist aber unrealistisch. Auf europäischer Ebene ist ein abgestimmtes Vorgehen unbedingt erforderlich. Nicht-abgestimmte nationale Regelungen führen zu Folgeproblemen in den Nachbarländern, die wiederum negativ auf das Ursprungsland zurückwirken. Das führt zum einen zu ineffizientem Regulierungswettbewerb, zum anderen wird es am Ende auch teurer sein, als sich gleich europaweit zu einigen.
3. Wie können Staat und Banken das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen?
ZIMMERMANN: Nur durch ein überzeugendes Konzept für eine neue Finanzarchitektur. Dazu gehört eine europäische Kontrollbehörde, die auch innovative Produkte vor ihrer Einführung evaluiert und für die Kontrolle der globalen Geschäftsstrategien des gesamten Finanzsektors einschließlich Hedgefonds und Rating-Agenturen zuständig ist. Dies muss komplementiert werden durch höhere Erfordernisse an Eigenkapital und Verantwortung des Managements. Gehälter müssen langfristige Erfolge nachhaltig belohnen.
SINN: Sie sollten die Medien bitten, nicht so viel Panik zu machen. Deutschland ist von der Sache nur wenig betroffen. Hier sind sämtliche Bankeinlagen praktisch unbegrenzt durch Einlagensicherungssysteme gedeckt, und nicht etwa nur bei 20 000 Euro, wie immer wieder berichtet wird.
HÜTHER: Börsenreaktionen sind nicht zwingend ein Indikator für das Vertrauen der Bevölkerung. Der Staat muss Vertrauen in die Kreditwirtschaft importieren. Den Bürgern kann nur ein allgemeines Stabilisierungsversprechen gegeben und ein überzeugendes Krisenmanagement geliefert werden. Beides ist der Fall.
HORN: Durch verbindliche staatliche Einlagengarantien, kombiniert mit einem europäischen Rettungspaket
4. Wie viele Arbeitsplätze wird die Krise in Deutschland kosten?
ZIMMERMANN: Das kann heute keiner sagen, weil das von der Vernunft der Unternehmer und der privaten Haushalte abhängt. Geraten sie in Panik und es kommt zu einem Investitionsstreik, zu Angstsparen und zu Massenabhebungen von Bankeinlagen, dann könnten das letztlich viele Millionen sein.
SINN: Dazu darf und kann ich nichts sagen, weil ich dem Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute in der kommenden Woche nicht vorgreifen kann.
HÜTHER: Darüber kann eine gehaltvolle Prognose nicht gemacht werden. Die Kreditwirtschaft wird sicherlich deutlich an Beschäftigung verlieren. Gesamtwirtschaftlich ist die eigentliche konjunkturelle Schwächung in die Stagnation mit einem Stillstand am Arbeitsmarkt verbunden. 2009 wird Beschäftigung leicht verloren gehen, die Arbeitslosigkeit geringfügig ansteigen.
HORN: Sehr viele – je länger sie dauert, desto mehr, weil es zu negativen Feed-Back-Spiralen zwischen schlechter Kapitalmarktentwicklung und konjunktureller Eintrübung kommen wird.