Der Ökonom macht das Versagen institutioneller Regeln für die Finanzkrise verantwortlich.
Professor Sinn, Sie haben sich entschuldigt für Ihren Vergleich der Situation der Juden in der Zeit vor Hitler und der Manager von heute. War der Vergleich ihrer Furcht geschuldet, dass die alten, von Ihnen propagierten, Wahrheiten künftig nicht mehr gehört werden?
Ich habe nur sagen wollen, dass man Systemfehler statt Sündenböcke suchen soll. Einige Medien haben das aus dem Zusammenhang gerissen und in ein Licht gestellt, wo ich es nicht habe hinstellen wollen. Ich habe den Vergleich zurück genommen und mich entschuldigt. Die Entschuldigung wurde von der Präsidentin des Zentralrats der Juden, Frau Knobloch, sowie vom Simon-Wiesenthal-Center akzeptiert.
Sie haben die Manager Sündenböcke genannt, aber tragen die Herren und Damen keine Verantwortung?
Natürlich gab es auch bei Managern Fehlverhalten. In krisenhaften Zuspitzungen werden Regeln übertreten, das ist stets so. Wer das getan hat, den kann ich nicht entschuldigen.
Waren es nicht die Manager, die die Globalisierung bemühten, um ihre Tantiemen an US-Dimensionen ausrichten zu können, gleichzeitig aber von den Arbeitnehmern verlangten, sie sollten sich mit chinesischen Löhnen anfreunden?
Man muss unterscheiden zwischen einem Verhalten innerhalb des Gesetzesrahmens und einer Überschreitung der Gesetze und Regeln. Die Krise ist auf die institutionellen Regeln im Bankenwesen zurückzuführen. Das Bankwesen ist unzureichend reguliert worden. Der Staat hat zu wenig Eigenkapital gefordert. Die Aktionäre verlangen von ihren Managern unter solchen Umständen, dass sie ins Risiko gehen. Wenn man Renditen von 25 Prozent fordert, belegt das nur, dass ein Übermaß an Risiken angestrebt wird. Das geht dann möglicherweise zu Lasten des Staates, der im Konkursfall einspringt.
Sie sprechen von dem Systemfehler der "beschränkten Haftung" der Aktionäre, weshalb riskante Strategien für die Manager und Aktionäre dominant werden. Geht's gut, verdienen sie klotzig, geht's schlecht, trägt die Gesellschaft einen Großteil der Kosten.
Das ist das Grundproblem des Bankensystems, insbesondere in den angelsächsischen Ländern, wo das Bankgeschäft mit einem Minimum an Eigenkapital gemacht worden ist. Die Parole lautete: Ist Geld da, lass es bloß nicht in der Bank, sondern schütte es in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen an die Aktionäre aus. Der viel zu geringe Rest an Eigenkapital, das in der Bank verblieb, ist der tiefere Grund dafür, warum das Bankensystem so anfällig geworden ist.
Ist ihre Kritik nicht eine grundsätzliche Kritik am Shareholder-value-Konzept?
In gewisser Weise, ja. Unter dem Begriff wurde sehr viel Geld an die Aktionäre ausgeschüttet und mit zu wenig Eigenkapital in den Banken gearbeitet. Das war die falsche Devise aus Sicht der Gesellschaft. Deshalb muss man die Banken zwingen, deutlich mehr Eigenkapital vorzuhalten, vor allem je riskanter das Geschäft ist.
Die Kritik müsste doch eigentlich auch für Industrie-Unternehmen gelten. Auch dort haben die Manager wahnsinnig hohe Renditen angestrebt, auch dort ist es zu kräftigen Aktienrückkäufen gekommen.
Bei Unternehmen sehe ich das anders. Normale Unternehmen gehen erstens nicht so hohe Risiken ein. Zweitens haben sie mit ihren hohen Gewinnen der vergangenen Jahre das Eigenkapital aufgestockt.
Einspruch. Auch die großen deutschen Firmen, etwa die Deutsche Börse, Daimler oder BASF, haben massiv Aktien zurück gekauft, was ja nichts anderes ist, als das Eigenkapital zu verringern.
Aktienrückkäufe sind fast dasselbe wie Dividendenzahlungen. Da sehe ich keinen großen Unterschied. Natürlich muss auch ausgeschüttet werden. Die Gefährdung der Unternehmen setzt erst ein, wenn das Eigenkapital relativ zum Geschäftsvolumen zu gering wird. Dann steigt die Konkursgefahr. Bei normalen Unternehmen ist das kein Thema.
Heuschrecken beladen beim Einstieg in Unternehmen diese mit Schulden und ziehen soviel Eigenkapital raus, wie möglich. Warum sind Mindesteigenkapitalanforderungen für Unternehmen für Sie noch tabu?
Das ist in der Tat ein problematisches Verhalten. Aber auch das ist für mich ein Thema des Finanzsektors. Finanzinvestoren müssen stärker reguliert werden, damit solche Praktiken unterbunden werden können.
Neben den Finanzinvestoren, was muss noch in Zukunft stärker reguliert werden?
Die Offshore-Geschäfte der so genannten Conduits müssen mit Eigenkapital unterlegt werden. Insbesondere muss man die Aktivitäten der Hedgefonds begrenzen. Die Kontrolle der Produkte, die niemand mehr versteht, hat auch deshalb versagt, weil es einen Laschheitswettbewerb zwischen den Ländern gab.
Laschheitswettbewerb?
Ja, die Staaten haben sich gesagt: Wenn ich ein Produkt nicht genehmige, wird es in einem anderen Land genehmigt. Dieser Laschheitswettbewerb hat zu einem Wildwuchs in der Finanzwelt geführt.
Kann der globale Markt ohne globale Regeln nicht funktionieren?
So ist es. Der Wettbewerb zwischen Staaten ist nicht vergleichbar mit dem Wettbewerb zwischen Unternehmen. Weil Staaten Dinge tun, die sich als ungeeignet für den Wettbewerbsprozess erweisen. Das ist in der Literatur unter dem von mir geprägten Begriff Selektionsprinzip bekannt. Der Wettbewerb zwischen Staaten funktioniert nicht nach ähnlichen Prinzipien wie der Wettbewerb zwischen den Unternehmen.
Sie plädieren also für globale Mindeststandards...
. . . so ist es...
also auch für Mindeststeuersätze...
... nein, nein, wir dürfen nicht das Kinde mit dem Bade ausschütten. Ich plädiere für Mindeststandards bei der Eigenkapitalquote der Banken. Wir brauchen Spielregeln und einen Schiedsrichter. Marktwirtschaft ist keine Anarchie. Aber der Schiedsrichter soll nicht mitspielen und für die unterlegene Mannschaft Tore schießen. Es geht nicht um Staat oder nicht Staat, es geht um die richtige Art der Regulierung.
Sie bleiben bei den Banken stehen. Sie wollen weitere Teile der Wirtschaft nicht in die Regulierung einbeziehen?
Doch schon. Natürlich müssen die Spielregeln überall definiert werden. Das ist das Credo des Ordoliberalismus, der Deutschlands Gesetzesrahmen bestimmt hat. Dazu gehört aber gerade nicht, dass der Staat die Preise und Löhne reguliert. Er muss die Vertragsbedingen regulieren. Er hat das Recht, bestimmte Vertragstypen zu erlauben, andere zu untersagen. Mindesteigenkapitalvorschriften oder Mindestqualitätsstandards bei Lebensmitteln und Ähnliches halte ich für richtig.
Apropos Preisregulierung: Angesichts des wankenden Weltwährungssystems und der wahnsinnig schwankenden Devisen wie Yen und Schweizer Franken, kann man mit Fug und Recht vom totalen Versagen freier Wechselkurse sprechen. Sehen sie das auch so?
Europa hat mit der Währungsunion gute Erfahrung gemacht. Wir sind dank des Euro ganz gut durch die Krise gekommen. Das spricht auch dafür, dass man weltweit ein Festkurssystem diskutieren kann. Es fällt mir allerdings schwer, hier eine klare Position zu beziehen. Manches spricht für feste Wechselkurse, aber flexible Wechselkurse ermöglichen es den Ländern schneller wieder ein Gleichgewicht in der Leistungsbilanz herzustellen.
In der Theorie.
Auch in der Praxis. Die Amerikaner haben von der heftigen Abwertung des Dollar profitiert. Aber flexible Wechselkurse sind auch ein Problem, weil die Wechselkurse dem spekulativen Geschehen ausgesetzt werden. Und die erratischen Erwartungen der Spekulanten könnten sich auf die Realwirtschaft übertragen.
Braucht die Welt ein neues Bretton Woods, ein System irgendwie gearteter fester Wechselkurse?
Die Gelehrten streiten noch darüber. Aber eine globale Regulierung der Banken ist dringend. Sie wird auch kommen. Das muss der IWF in die Hand nehmen.
Noch eine Frage zur Konjunktur. Sie schmiert ab, wie auch der Ifo-Index belegt. Aber die Forschungsinstitute meiden das Wort Rezession, erst recht das Wort Konjunkturprogramm. Wieso sind sie so zurückhaltend?
Das Ifo-Institut hat die Flaute bereits im Februar ausgerufen. Die Schärfe der Krise hat niemand vorhergesehen, doch die Gemeinschaftsdiagnose spricht nun davon, dass Deutschland am Rande der Rezession steht. Und beim Thema Konjunkturprogramm bin ich ganz pragmatisch. Solange das Holz noch brennt, braucht man kein Strohfeuer zu entfachen. Ich bin kein grundsätzlicher Gegner von Konjunkturprogrammen wie manche meiner Kollegen. Keine Sorge. Aber mir ist es jetzt noch zu früh.
Interview: Robert von Heusinger