Energiesparen schont in jedem Fall den Geldbeutel. Aber retten wir gleichzeitig auch die Erde vor der Klimakatastrophe? Der Ökonom Hans-Werner Sinn sagt: „Nein!" Und plädiert für ein weltweites Abkommen, an das sich auch Amerikaner und Chinesen halten müssen
Herr Sinn, finden Sie es gut, wenn wir Energie sparen?
Für die Menschheit auf jeden Fall. Durch den Verbrauch von Kohle, Gas und Öl wird Kohlendioxid freigesetzt, das den Treibhauseffekt mitverursacht. Das ist eine wirklich dramatische Entwicklung, die uns große Sorgen machen muss. Aber das Klima zu retten ist einfacher gesagt als getan.
Sie behaupten in Ihrem Buch, dass die deutsche Energiesparpolitik völlig unsinnig ist. Wie kommen Sie denn darauf?
Unsere Energiesparpolitik führt uns dem Ziel, die Klimabelastung zu senken, nicht näher, sondern macht den Strom nur teurer. Nehmen Sie Windkraft und Solarenergie: Beide Techniken werden über gesetzlich festgelegte Preise massiv von den Stromkunden subventioniert, um die Umwelt zu schonen. Und scheinbar hilft es auch, denn in dem Maße, in dem der grüne Strom produziert wird, verdrängt er bei uns Strom aus Kohle, das reduziert natürlich auch den deutschen CO2-Ausstoß. Aber wir sind zusätzlich eingebunden in den europäischen Zertifikatehandel für Kohlendioxid-Emissionen. Und der bewirkt, dass das, was wir an CO2 weniger produzieren, im europäischen Ausland zusätzlich in die Luft geblasen wird.
Wie geht des konkret?
Jedes Kraftwerk braucht für seinen CO2-Ausstoß entsprechende Zertifikate. Die Gesamtmenge der CO2-Zertifikate in Europa wird von der EU vorgegeben. Sie werden unter anderem an der Börse in Leipzig gehandelt. Wenn deutsche Stromkonzerne weniger Zertifikate benötigen, weil bei uns so viel grüner Strom produziert wird, dann werden diese Zertifikate an andere Länder verkauft. Dort kann dann entsprechend mehr CO2 produziert werden. Je grüner unsere Politik ist, desto stärker fällt der Preis dieser Zertifikate. Die Polen zum Beispiel betreiben dann ihre alten, schmutzigen Kraftwerke einfach weiter. Der Nettoeffekt der Sparanstrengungen ist null.
Sollte man nicht überall Energie sparen, wo es möglich ist?
Ich bin nicht gegen das Energiesparen. Aber es sollte durch das System der Zertifikate hervorgerufen werden. Eine darüber hinausgehende Förderung von Wind- und Sonnenstrom durch unsere Einspeisetarife hat keinen klimaschonenden Effekt. Sie verringert den CO2-Ausstoß nicht, sondern verlagert ihn nur in andere europäische Länder.
Aber die deutsche Gesetzgebung für erneuerbare Energien gilt doch als Erfolgsmodell und wurde bisher von Über 40 Ländern kopiert.
Wenn wir keinen Zertifikatehandel hätten, würde das Gesetz auch bei uns funktionieren. Aber wir haben uns auf europäischer Ebene nun mal auf einen anderen Weg geeinigt.
In Deutschland stehen 20000 Windkraftanlagen - mehr als Irgendwo sonst auf der Welt. Ist das kein Erfolg?
Nein. Die Philosophie unserer Fördergesetze ist: Wir leiten so viel Geld von Stromkunden in eine ineffiziente Art, Strom zu produzieren, bis sie privatwirtschaftlich rentabel wird. Aber deswegen ist sie noch lange nicht volkswirtschaftlich sinnvoll. Der Vorteil des Zertifikatesystems ist, das jeder für eine Tonne CO2 die die Luft verschmutzt, den gleichen Preis zahlen muss, egal, wo und wie er sein Kraftwerk betreibt. Letztlich sorgt dann der Markt dafür, dass umweltfreundlicher Strom konkurrenzfähig wird und stets auf die günstigste Weise produziert wird. Alles, was wir an grüner Politik da noch draufsatteln, kostet Geld und bringt nichts.
Was ist mit dem Kohlendioxid, das durch Autoverkehr und Heizung entsteht?
Da ist es anders, weil diese Bereiche vom Zertifikatehandel nicht erfasst sind. Irritierend ist dort freilich das wilde Durcheinander von Steuersätzen, die den CO2-Ausstoß belasten. Sie liegen zwischen rund drei Euro pro Tonne für Braunkohle zum Heizen und 59 Euro für Erdgas zur Stromerzeugung. Beim Benzin wird die Tonne CO2 gar mit 273 Euro bewertet, weil die Steuer noch andere Ziele verfolgt.
Besonders teuer ist es, bei Verbrennungsmotoren CO2 zu sparen. Daher entwickelt die Autoindustrie jetzt mehr Elektroautos. Ist das nicht ein Erfolg des politischen Drucks?
Ja, im Prinzip schon. Nur würde ich überall den gleichen Druck aufbauen, um fossile Energieträger einzusparen. Nur dann, wenn ich Druck gleichmäßig ausübe, kommt am Ende eine effiziente Struktur dabei heraus. Viel billiger ließe sich die Umwelt schonen, wenn man die Häuser besser isolierte.
Müsste nicht der Preis der Zertifikate deutlich steigen, um alternativen Energien wie der Windkraft eine Chance zu geben?
Ja, er müsste sich von jetzt 20 Euro pro Tonne CO2 etwa verdoppeln, bis die größten Windkraftanlagen rentabel werden. Ich könnte mir vorstellen, dass das in der nächsten Handelsperiode ab 2013 der Fall ist. Warten wir es ab.
In der Zementindustrie droht man bereits damit, ins Ausland abzuwandern, wenn CO2-Emissionen zu teuer werden. Müssen wir das einfach so akzeptieren?
Nein. Damit das nicht passiert, muss man sicherstellen, dass kein Zement importiert wird, der nicht mit Zertifikaten belastet ist. Entsprechende Vorschläge erarbeitet die EU gerade. Aber der Zertifikatehandel ist auch dazu da, schmutzige Produktionsverfahren zurückzudrängen.
Keine Gnade für die alten Industrien?
Grundsätzlich darf man keine Ausnahmen machen...
... und muss dafür Firmenpleiten und Abwanderung akzeptieren?
Abwanderung nicht, Pleiten schon. Allerdings müssen wir warten, bis das jetzige Konjunkturtief wieder vorbei ist. Aber die Zementindustrie wird bestimmt nicht kaputtgehen. Dazu ist Zement zu wichtig.
Sollten wir Ihrer Ansicht nach stärker auf Atomkraft setzen, um das Klima zu retten?
Ja. Die Preise für CO2 werden in den kommenden Jahrzehnten so stark steigen, dass es keine vernünftige Alternative gibt.
Könnte man nicht mehr Windräder bauen?
Schon. Sie produzieren aber nur wenig gesicherten Strom. Um Biblis A zu ersetzen, brauchte man 6800 Windräder von 150 Meter Höhe. Um die Stromversorgung Deutschlands mit Windrädern hinzukriegen, müsste man ganz NRW dicht an dicht zustellen. Auch das Wattenmeer reichte gerade mal für ein Fünftel der notwendigen Anlagen.
Es ist im Gespräch, jetzt die CO2-Einsparprogramme im Gebäudesektor zu verstärken. Ist das aus konjunktureller und umweltpolitischer Sicht richtig?
Es gibt bei der Gebäudesanierung noch viele Möglichkeiten, CO2 einzusparen. Aber nicht durch spezielle Förderprogramme! Es gibt in Deutschland ohnehin schon einen unüberschaubaren Dschungel an gesetzlichen Regelungen. Wenn man den Gebäudesektor in den Emissionshandel aufnehmen würde, müssten eben auch die Verkäufer von Brennstoffen CO2-Zertifikate kaufen.
Wurden dann nicht die Preise für Öl, Kohle und Gas steigen - und damit die Heizkosten?
So ist es. Und das ist auch der richtige Weg, um Energiesparen attraktiver zu machen.
Und auch der Sprit an der Tankstelle wäre dann noch teurer?
Nein, der würde billiger. Denn die Ökosteuer, die den Sprit derzeit teuer macht, entfiele. Insgesamt würde das Einsparen von Energie billiger, weil nur noch da gespart würde, wo es sich lohnt.
Wäre so der Klimawandel noch rechtzeitig zu stoppen?
Das hängt davon ab, ob es uns gelingt, bei den Kyoto-Nachfolgeverhandlungen in Kopenhagen nächstes Jahr die Amerikaner, Chinesen und andere ins Boot zu holen. Solange die nicht mitmachen, verbilligen unsere Sparanstrengungen nur die fossilen Brennstoffe auf dem Weltmarkt. Das ermöglicht es den anderen Ländern, mehr davon zu verbrauchen.
Glauben Sie wirklich, dass Umweltsünder wie China oder die USA einen globalen Zertifikatehandel akzeptieren werden, der sie zu CO2-Einsparungen zwingt?
Ich bin eher skeptisch. Anders geht es aber nicht.
Muss Deutschland beim Klimaschutz nicht mehr mit gutem Beispiel vorangehen?
Wir haben schon genug getan. Ein Vorbild zu geben ist okay, aber wenn wir weiter mit eigenen CO2-Reduktionen nachlegen, gibt es keinen zusätzlichen Effekt. Stattdessen entschärfen wir das Klimaproblem für Chinesen und Amerikaner und verringern den Handlungsdruck dort.
Was können denn Bürger, die sich klimaschonend verhalten wollen, tun?
Jeder muss die Energie nutzen, die für ihn am günstigsten ist. Aber er darf nicht glauben, dass seine persönlichen Einsparbemühungen etwas bewirken. Es ist ein bisschen naiv zu denken, dass es dem Klima hilft, wenn ich immer brav das Licht ausknipse. Andere verbrauchen dann die fossilen Brennstoffe, die ich freigebe. Es führt kein Weg an einem weltweiten CO2-Zertifikatesystem unter UN-Verwaltung vorbei, das alle zum Einsparen zwingt.
Hans-Werner Sinn zählt zu den einflussreichsten und meistzitierten Wirtschaftswissenschaftlern Deutschlands. Der 60-jährige leitet das renommierte Münchner Ifo-Institut und ist wegen seiner Provokanten Thesen gern gesehener Gast in Talkshows. In der vergangenen Woche sorgte Sinn für Aufregung, als er die aktuelle Kritik an Managern mit der antisemitischen Stimmungsmache gegen Juden nach der Weltwirtschaftskrise 1929 verglich. Dafür hat sich Sinn allerdings umgehend bei der jüdischen Gemeinde entschuldigt. In seinem neuen Buch „Das grüne Paradoxon“ rechnet er mit seiner Meinung nach verqueren und sinnlosen deutschen Umweltpolitik ab.