Gespräch mit Ifo-Institutsleiter Prof. Hans-Werner Sinn
Meiser: Herr Sinn, als Professor für Nationalökonomie und Finanzwirtschaft und als Leiter des „ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung“ sind Sie ein Spezialist im Erkennen von globalen Zusammenhängen. Nun haben Sie mit Ihrem neuesten Werk „Das grüne Paradoxon“ (Econ Verlag, € 22.-) einen provokanten Beitrag zur Klimadebatte geliefert. Der Glaube, wir könnten das Klima retten, ist eine Illusion – so lautete Ihre Kernaussage. Was macht Sie da so sicher?
Sinn: Es ist keine Illusion an sich. Nur dürfen wir nicht hoffen, durch eine einseitige Einschränkung der Nachfrage nach fossilen Brennstoffen irgend etwas zu erreichen. Entscheidend sind nicht wir, sondern die Ölscheichs. Was immer sie aus ihren Bohrlöchern heraussprudeln lassen, wird verbrannt und kommt in die Luft.
Meiser: Was geschieht, wenn sich die Ölscheichs von der grünen Politik bedroht fühlen?
Sinn: Wenn der Westen ankündigt, den Ölscheichs in der Zukunft die Preise immer mehr kaputt zu machen, werden sie dem durch eine rasche Extraktion zuvorkommen. Der Klimawandel beschleunigt sich.
Meiser: Nicht allzu viele Forscher betrachten das Klimaproblem von der ökonomischen Seite. Und die meisten Bürger, die sich mit dem Thema beschäftigen, neigen eher zur moralischen Sichtweise. Kann Ihre Sichtweise helfen, dass das Thema schneller und intensiver angegangen wird?
Sinn: Es ist auch ein moralisches Problem. Gerade deshalb müssen wir Wege finden, die Ressourcenbesitzer zu einer Verlangsamung des Abbaus zu bringen. Nur so lässt sich das Klimaproblem begrenzen.
Meiser: Vor fast 30 Jahren erschien die weltweit beachtete Ökostudie „Global 2000“ des Club of Rome. Nahezu alles, was dort vorhergesagt wird, ist inzwischen auch eingetroffen. Ist die Welt deshalb nicht mehr zu retten, weil bei den Menschen die Profitgier über der Vernunft steht?
Sinn: Der Club of Rome sagte ein Versiegen der Ölquellen in 40 Jahren voraus. Das war übertrieben. Richtig war die Warnung vor einer zu raschen Extraktion. Diese Warnung erhält durch das Klimaproblem eine neue Basis.
Meiser: Die grüne Politik trat ursprünglich an, das ökologische Problem den Menschen nahe zu bringen. Heute kümmert man sich dort um alles andere, vor allem den Machterhalt. Haben die Grünen versagt?
Sinn: Sie haben einen Bewusstseinswandel hervorgerufen und sie haben dazu beigetragen, Deutschland von Umweltschmutz verschiedenster Art zu befreien. Die Luft ist heute wieder sauber, und im Rhein schwimmen wieder Fische. Beim Klimaproblem haben sie versagt, weil sie mit Instrumenten arbeiten, die nicht funktionieren.
Meiser: Wie meinen Sie das?
Sinn: Zum Beispiel haben sie nicht bedacht, wie der europäische Emissionshandel funktioniert. Wenn Wind- und Sonnenstrom fossilen Strom in Deutschland verdrängen, werden CO2-Zertifikate frei. Diese Zertifikate landen auf dem europäischen Markt und gehen an andere Verschmutzer, die genau das zusätzlich emittieren, was hier verdrängt wird. Nicht eine Tonne Kohlendioxid wird in Europa durch die Windflügel oder die photovoltaischen Anlagen eingespart. Das Geld ist zum Fenster hinausgeworfen.
Meiser: Statt grünen Ideologien nachzuhängen plädieren Sie für eine illusionsfreie Klimapolitik. Wie kann eine solche gestaltet werden?
Sinn: Man muss an die Weltmärkte für Öl, Gas und Kohle heran. Die Nachfragerländer können ihre Nachfrage gegenseitig durch einen weltumspannenden Zertifikatehandel beschränken. Das drückt die Preise, die sie zahlen müssen und schränkt die verbrauchten Mengen ein. Voraussetzung ist allerdings, dass alle ohne Ausnahme mitmachen. Zusätzlich kann man Quellensteuern für Kapitalerträge einführen, die es für die Ressourcenanbieter weniger attraktiv machen, ihre Bestände abzubauen, um die Erlöse am Kapitalmarkt anzulegen.
Meiser: Was kann jeder einzelne tun, um dem „grünen Paradoxon“ zu entgehen?
Sinn: Nichts. Nur die Weltgemeinschaft als Ganze kann handeln, vertreten durch die UNO. Dazu bedarf es eines Nachfolgeabkommens zum Kioto-Protokoll, bei dem lückenlos alle Verbraucherländer mitmachen. Wenn nur einige ihren Verbrauch an fossilem Kohlenstoff reduzieren, drücken sie nur den Weltmarktpreis und subventionieren die Nachfrage der Umweltsünder.
Meiser: Die alternativen Energien sind zwar auf dem Vormarsch, aber noch nicht so einsatzfreudig, dass sie das Energieproblem und den Klimawandel dauerhaft positiv beeinflussen könnten. Soll man also doch wieder zur Atomenergie zurückkehren?
Sinn: Man wird um die Atomkraft nicht herumkommen. Die Windflügel liefern einfach nicht genug sicheren Strom, und die fossilen Kraftwerke erzeugen den Klimawandel. Wollte man das Kohlendioxid flüssig im Boden speichern, um die Atmosphäre nicht zu belasten, entstünde ein Endlagerproblem, das wesentlich größer als beim Atommüll ist.
Meiser: Das größte Umweltproblem liegt ja derzeit in Asien. Wenn man in einer Stadt wie Shanghai den Himmel nur noch selten sieht, kann man ermessen, wie der Luxus der Zukunft aussieht. Halten Sie es für möglich, dass sich das Bewusstsein auch in Asien durchsetzt, oder wird dort alles dem Wirtschaftswachstum geopfert?
Sinn: Je mehr Dreck vor Ort hängen bleibt, desto eher werden die etwas tun. Das Problem ist nicht der sichtbare Dunst, sondern das Kohlendioxid, das die Rückstrahlung der Wärme von der Erde verhindert. Hier bin ich nicht optimistisch.
Meiser: Ist auf Dauer gesehen unseren Wohlstand durch den Klimawandel gefährdet oder gleicht er eher einer Herausforderung, die uns letztlich weiterbringt, sowohl ökonomisch wie auch moralisch?
Sinn: Da sehe ich keinen Widerspruch. Der Wohlstand ist gefährdet, und die Beherrschung des Klimaproblems ist eine Riesenherausforderung.
Meiser: Bei den Paradoxa gibt es zwei Formen: das scheinbare und das, das einen tatsächlich unlösbaren Widerspruch enthält. Zu welchen zählt das „grüne Paradox“?
Sinn: Es ist ein scheinbares Paradoxon, das man lösen kann.