Ein langer Abschwung steht uns bevor, sagt Ifo-Chef Hans-Werner Sinn. Er rät: Gezieltes Timing.
Das Ifo Institut erwartet für 2009 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,2 Prozent. Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn warnt dennoch vor einer allzu raschen Aufstockung des Konjunkturprogramms.
Euro am Sonntag: Hat US-Nobelpreisträger Paul Krugman Finanzminister Peer Steinbrück zu Recht wegen Nichtstun kritisiert?
Hans-Werner Sinn: Ich verstehe beide. Die unterschiedliche Sichtweise erklärt sich aus einer Phasenverschiebung der Konjunktur. Während die US-Arbeitslosigkeit jetzt schon deutlich höher ist als während der letzten Flaute im Jahr 2003, hat Deutschland zurzeit noch die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 16 Jahren. Die deutsche Konjunktur folgt der amerikanischen mit eineinhalb Jahren Verzögerung. Nach meiner Einschätzung wird die Lage erst gegen Ende des Winters 2009/2010 in etwa so sein wie heute in Amerika.
Euro am Sonntag: Welche Folgen sehen Sie für den Arbeitsmarkt?
Sinn: Wir denken, dass die Arbeitslosigkeit schon von heute bis zum Dezember 2009 um eine halbe Million zunehmen wird. Bis 2010 kommt noch etwas hinzu. Wenn wir bis Dezember 2010 rechnen, dann könnten wir eine Million mehr Arbeitslose in Deutschland haben. Aber ich will darauf hinweisen, dass diese Zahl von uns noch nicht prognostiziert und nur eine Spekulation ist.
Euro am Sonntag: Wie sollte sich die Bundesregierung angesichts der Kritik verhalten?
Sinn: Sie sollte sich nicht verrückt machen lassen und ihr Konjunkturprogramm mit Ruhe und Sorgfalt für das nächste Jahr planen. Man kann auch sehr viel Geld verbrennen, wenn man in Hektik verfällt und mit den Milliarden nur so um sich wirft. Wir stehen erst am Beginn einer Abschwungphase, die lang und schwierig sein wird. Wir können nicht die gesamte Flaute mit staatlichen Ausgabenprogrammen gegenfinanzieren. Ein solches Programm muss nun für die zweite Hälfte des kommenden Jahres vorbereitet werden.
Euro am Sonntag: Auf welche Mittel würden Sie setzen?
Sinn: Auf eine Kombination aus Steuersenkungen und Infrastrukturausgaben. Der Soli gehört abgeschafft, und man muss die schleichende Progression des Steuersystems korrigieren. Die Infrastruktur ist wegen der Wiedervereinigung in Westdeutschland sehr lange vernachlässigt worden. Infrastrukturausgaben erzeugen den größten konjunkturellen Effekt.
Euro am Sonntag: Warum eine Korrektur der kalten Progression statt niedrigerer Mehrwertsteuer?
Sinn: Reiche Leute, die den Spitzensteuersatz zahlen, sind von der kalten Progression kaum betroffen. Betroffen sind vielmehr die durchschnittlichen Arbeitnehmer, die durch Lohnerhöhungen rasch in höhere Steuerkategorien hineingekommen sind. Bei einer Mehrwertsteuersenkung weiß man hingegen nicht, ob sie bei den Bürgern wirklich ankommt. Bei einer Senkung werden die Preise zunächst vielleicht gar nicht sonderlich fallen - dann stiegen nur die Gewinne der Unternehmen, und der belebende Konsumeffekt käme zunächst gar nicht zustande.