ifo Chef Sinn erneuert Kritik an EZB - Wirtschaftslage in Südeuropa "katastrophal" Hans-Werner Sinn im Gespräch Jürgen Liminski
Der Chef des Münchner ifo Instituts, Hans-Werner Sinn, distanziert sich von einem Aufruf zahlreicher Wirtschaftswissenschaftler, die sich hinter die Politik von EZB-Chef Draghi stellen. Die Europäische Zentralbank überschreite ihre Kompetenzen, kritisiert Sinn. Da "muss der Bundestag ran".
Jürgen Liminski: Kurz vor der Einführung des Euro, Ende 1999, zitierte der "Spiegel" den damaligen Premier Luxemburgs und künftigen Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, mit diesen Worten: "Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter, Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." In den letzten Jahren sind viele kleine Schritte erfolgt, seit der Lehman-Krise 2008 auch immer schneller. Heute steht die Euro-Zone mit einem Bein in der gemeinschaftlichen Schuldenhaftung, und genau das scheint ein Aufruf von 200 Wirtschaftswissenschaftlern zu begrüßen und zu wünschen. Der Aufruf wird heute offiziell veröffentlicht. Nicht unterschrieben hat ihn der Präsident des Münchener ifo Wirtschaftsforschungsinstituts, Professor Hans-Werner Sinn. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Sinn!
Hans-Werner Sinn: Ja schönen guten Morgen, Herr Liminski.
Herr Sinn, der Aufruf drückt, wie es heißt, die große Sorge über die Angriffe einiger deutscher Ökonomen, Politiker und Beobachter auf die Europäische Zentralbank und ihre Maßnahmen aus. Fühlen Sie sich angesprochen?
Ja natürlich, denn ich gehöre zu den Kritikern der Politik der EZB, wie genauso viele andere deutsche Ökonomen. Auch die Gutachter, die das Verfassungsgericht eingeladen hat, von denen ich einer war, haben sich ziemlich einhellig kritisch gegenüber dieser Politik ausgedrückt. Nur einer nicht: der Kollege Fratzscher vom DIW, der den Aufruf hier organisiert hat, den ich übrigens sehr schätze. Der möchte jetzt beweisen mit dem Aufruf, dass er sehr viel Zustimmung hat. Das ist ihm aber nicht gelungen. Es sind ganz wenige, die hier unterschrieben haben. Das ist ja ein weltweiter Aufruf, der auch getragen wurde von einem Forschungszentrum in London, und es haben nur knapp 200 Leute mitgemacht. In Deutschland finde ich mehr Mitarbeiter des DIW, also des Instituts von Herrn Fratzscher, als Mitglieder des geldtheoretischen Ausschusses, der hier zuständig gewesen wäre. Da haben von 61 Professoren gerade mal vier unterschrieben und von dem anderen Ausschuss, der noch zuständig ist, von 113 Professoren der Finanzwissenschaft hat kein einziger, soweit ich das weiß, unterschrieben. Also im Grunde war der Aufruf ein ziemlicher Flop.
Also die Liste der Unterzeichner schreckt Sie nicht?
Das sind die Üblichen. Man weiß ja, dass da unterschiedliche Meinungen bestehen, und es ist ja auch legitim, dass man jetzt in einem solchen Aufruf das noch mal klarlegt, welche Argumente es gibt. Wir brauchen die offene Diskussion über das, was die EZB macht. Da geschieht sehr vieles hinter verschlossenen Türen, was aber dramatische Konsequenzen für die Vermögensrisiken der Völker Europas hat und auch letztlich für den Frieden in Europa hat. Also ich finde, da muss mehr Licht in das Dunkel.
Gehen wir mal in die Sache selber. Die 200 Unterzeichner werfen ihren akademischen Gegnern, also auch Ihnen, um das mal so zu sagen, vor, ein falsches Verständnis der Zuständigkeiten von Zentralbanken zu haben. "Als Kreditgeber letzter Instanz" - ich zitiere da aus dem Aufruf - "muss eine Zentralbank sicherstellen, dass allen Teilen der Wirtschaft ausreichend Liquidität zufließt. Der geldpolitische Transmissionsmechanismus müsse funktionsfähig bleiben." Was spricht dagegen?
Ja, schauen Sie, das ist ja das, was die EZB schon lange nicht mehr macht, dass sie nur Liquidität zur Verfügung stellt, sondern sie gibt Beistandskredite in riesigem Umfang an marode Banken verschiedener Länder, unterstützt Staaten, indem sie deren Staatspapiere aufkauft, und jetzt eben der kritische Punkt dieses OMT-Programm. Da verspricht sie ja, unbegrenzt die Staatspapiere von gefährdeten Staaten aufzukaufen. Letztlich sagt sie den Inhabern dieser Papiere, den Investoren aus aller Welt, Leute, habt mal keine Sorgen, wenn ihr dahin geht, bevor ein Land Pleite geht, könnt ihr zu mir kommen, ich kaufe euch dann diese Sachen ab und nehme die Abschreibungsverluste in meine Bücher. Das heißt aber, damit belastet sie natürlich die Steuerzahler Europas, denn die Finanzministerien sind ja die Eigentümer der EZB und kriegen die Gewinnausschüttungen. Das heißt, hier werden normale Refinanzierungskredite mit guten Zinsen ersetzt durch Schrottpapiere und dann fließen die Gewinne nicht mehr. Die Verluste liegen also bei jedem von uns und anteilig nach der Größe des Landes. Das finde ich nicht in Ordnung, das ist eine rein fiskalische Politik, und als solche gehört sie unter die Kontrolle der Parlamente und es ist nicht Sache des Gouverneursrates der EZB, wo Deutschland mal gerade so stark vertreten ist wie Malta, diese Entscheidungen zu treffen.
Hat die EZB damit ihre Kompetenzen überschritten, oder zumindest angekündigt, dies zu tun?
Nach meiner Meinung ja und auch nach der Meinung der meisten Fachgutachter vor dem Verfassungsgericht. Sogar der Initiator dieses Aufrufs, der deutsche Initiator, Herr Fratzscher vom DIW, der ja früher bei der EZB war, hat auf Rückfrage vor dem Gericht eindeutig erklärt, dass dieses OMT eine monetäre Staatsfinanzierung sei. Er hat zwar gemeint, dass das richtig ist, weil alle Zentralbanken das machen. Da hat aber dann ein Richter gefragt, finden Sie, das ist ein Argument. Wir haben nämlich in Europa anders als andere Zentralbanken ja eine Sondersituation. Wir haben ja noch nicht die Vereinigten Staaten von Europa begründet. Wir haben noch nicht die gemeinsame Haftung, wie sie mit einem gemeinsamen Staatengebilde verbunden ist, sondern wir haben den Versuch gemacht, eine Währung trotz des Beibehalts der Nationalstaaten zu machen. Aus dem Grunde gibt es zwei Artikel im Maastrichter Vertrag, die eben ungewöhnlich sind. Das ist einmal der Artikel 123, der die monetäre Staatsfinanzierung verbietet, und dann der Artikel 125, der sagt, dass die Staaten nicht gegenseitig für ihre Schulden einstehen. Im Grunde sind wir in dieser ganzen Rettungsmaschinerie dabei, diesen Maastrichter Vertrag zu brechen. Das begann mit den Entscheidungen vom Mai 2010, riesige Haftungsrisiken umzuladen auf die Steuerzahler, und da, finde ich, ist eigentlich das wirkliche Problem. Wir haben jetzt doch im Grunde drei Gruppen von Menschen. Wir haben einmal die Schuldner, die sitzen meistens in Südeuropa. Wir haben die Gläubiger, das sind die Investoren aus aller Welt, auch unsere Banken. Und wir haben die Steuerzahler. Schuldner und Gläubiger haben ein Problem miteinander, weil der Schuldner nicht zurückzahlen kann, und jetzt möchte man also, dass der Steuerzahler einspringt, die Gelder zur Verfügung stellt, damit die Gläubiger sich noch aus dem Staube machen können. Das ist doch die einfache Geschichte. Wenn man das will, dann muss man das auch zum Gegenstand einer parlamentarischen Beratung machen. Dann muss der Bundestag ran und muss diese Entscheidung treffen, und genau darum geht es: Darf der Gouverneursrat der Europäischen Zentralbank, der ja eigentlich nur Geldpolitik beaufsichtigen soll, solche Entscheidungen von solcher Tragweite treffen, oder ist das eine Sache, die in die Parlamente gehört. Bislang hieß es, es gehört in die Parlamente.
Dann ist der Aufruf, so ökonomisch-wissenschaftlich er ist, wenn ich Sie recht verstehe, vor allem ein politischer Aufruf?
Ja, ja, natürlich! Es geht ums nackte Geld. Das ist ja klar, wie immer bei diesen Dingen.
Italien steht wieder vor politischen Turbulenzen, die möglicherweise auf den Euro übergreifen könnten. Sehen Sie da einen Zusammenhang zwischen dem drohenden Aufflackern der Euro-Krise und dem Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Aufrufs?
Na ja, das weiß ich nicht. Der Aufruf wurde ja vor drei Wochen schon lanciert und es hat ja ewig lange gedauert, bis man da ein paar Unterschriften zusammen hatte, obwohl man alles Mögliche probiert hat. Und die neue Krise, die jetzt durch die Verurteilung Berlusconis gekommen ist, die konnte man ja damals nicht vorhersehen. Ich weiß also nicht.
Wie beurteilen Sie denn die Lage in Italien und in Südeuropa ganz allgemein?
Ja schlecht! Wir haben eine Megakrise. Die Massenarbeitslosigkeit ist ja kaum beherrschbar. Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland ist 64 Prozent, in Spanien ist sie über 55 Prozent. Die Gesamtarbeitslosigkeit in diesen beiden Ländern ist 27 Prozent. Ich frage mich, wie lange die Länder das noch aushalten. Es ist also praktisch im Euro die ganze Katastrophe eingetreten. Die Länder sind ja durch den Euro zu billigem Geld gekommen, haben lange Zeit mit diesem billigen Geld ihre Löhne und Preise erhöht, haben sich letztlich ein gutes Leben gemacht, haben über die Verhältnisse gelebt und haben Leistungsbilanzdefizite gehabt, die vom Ausland finanziert wurden. Und als dann die Krise kam und das keiner mehr finanzieren wollte, zeigte sich, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Da stehen wir heute. Das ist ein ganz, ganz schwieriger Prozess, da wieder den Rückwärtsgang einzuschlagen und von den hohen Anspruchsniveaus auf den Boden der Realität zurückzukommen. Man sucht jetzt alle möglichen Rettungssysteme, um sich der Wahrheit hier nicht zu stellen, aber das ist ja praktisch nur ein Schmerzmittel. Es trägt ja nicht zur Heilung bei, sondern im Gegenteil: Diese ganzen Maßnahmen verzögern die Heilung. In Italien tut sich rein gar nichts, was die nötigen Reformen betrifft. Mario Monti hatte das probiert, der ist dann abgesetzt worden, er kommt einfach nicht durch. Man kommt erst durch, wenn es absolut notwendig ist, und solange noch Geld aus irgendwelchen öffentlichen Quellen zur Verfügung steht, passiert hier gar nichts.
Mehr als ein akademischer Disput - der Streit um die Rolle der EZB. Das war hier im Deutschlandfunk der Präsident des ifo Wirtschaftsforschungsinstituts, Professor Hans-Werner Sinn. Besten Dank für das Gespräch, Herr Sinn.
Gerne.