Top-Ökonom Sinn unterstützt den Plan, dass bei Staatspleiten private Gläubiger kräftig zur Kasse gebeten werden.
Der Präsident des Münchner ifo Instituts empfiehlt ein stufenweises Insolvenzverfahren für marode Staaten wie Griechenland. Auch Portugal werde unter den Euro- Schutzschirm müssen.
KURIER: Die EU-Regierungschefs diskutieren derzeit alle möglichen Pläne zur Zukunft der Eurozone. Glauben Sie, dass Portugal oder Spanien noch unter den Schutzschirm müssen oder hat sich die Lage endlich beruhigt?
Hans-Werner Sinn: Die Lage hat sich nicht beruhigt. Die Risiko- Aufschläge sind nach wie vor hoch. Die Märkte befürchten, dass Portugal auch an die Reihe kommt. Die Probleme werden ja auch nicht kleiner, denn diese Länder haben hohe Leistungsbilanzdefizite und häufen immer mehr Auslandsschulden an. Selbst wenn sich die Situation jetzt nicht dramatisiert, erzwingt der wachsende Schuldenberg irgendwann eine Lösung.
Noch in diesem Jahr?
Einen genauen Zeitpunkt kann man hier nicht angeben. Aber Portugal steht in vielerlei Hinsicht genauso schlecht da wie Griechenland. Man kann sich nicht auf Dauer im Ausland verschulden. Spanien ist im Vergleich solider. Es hat nur ein halb so großes Leistungsbilanzdefizit, und das Land hat im Prinzip ein funktionierendes Wirtschaftssystem, das etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Die Spanier können sich wieder aufrappeln.
Griechenland haben Sie den Austritt aus der Euro-Zone oder eine kräftige ‚innere Abwertung‘ per Senkung der Löhne nahegelegt. Was sagen Sie zum dritten möglichen Weg eines Schuldenerlasses, um dem Land den Neuanfang zu ermöglichen?
Dies sind die einzigen Möglichkeiten, die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Das Schuldenproblem muss unabhängig davon gelöst werden. Man muss ein System finden, in dem die Märkte den Kapitalfluss in Zukunft nicht so abrupt wie jetzt, sondern feinfühliger bremsen. Dafür haben wir eine stufenweise Krisenprozedur für die Anschlussfinanzierung nach 2013 vorgeschlagen. Zuerst gibt es bei einer Liquiditätskrise großzügige Hilfen. Das ist geschehen. Als Nächstes wird eine drohende Insolvenz mit ersten Einbußen für die Gläubiger bei bereits fälligen Staatspapieren unterstellt, und erst wenn das am Ende alles nichts geholfen hat, kommt die große Insolvenz. Was sozusagen der Totalbremsung entspricht.
Sie unterstützen also den Plan von Angela Merkel, wonach Europas Banken bei künftigen Staatspleiten mitzahlen müssen und nicht mehr nur die Steuerzahler.
Ja, ganz klar. Wenn die Steuerzahler Europas tief in die Tasche greifen und helfen, dann müssen auch die Gläubiger, die leichtfertig ihr Geld verliehen haben, auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sie in Zukunft vorsichtiger sind.
Das wird die Banken gar nicht freuen. Ihnen werden schon Bankensteuern, mehr Eigenkapital oder strengere Regulierungen abverlangt ...
Ja, aber da sind doch unsere Spargroschen, die die Banken da verliehen haben. Deutschland und Österreich sind große Netto-Kapitalexporteure. Statt unser Geld hiesigen Unternehmen für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu geben, verleihen es die Banken an dubiose Kunden im Ausland, und nun sollen wir diesen Kunden auch noch helfen, indem wir für sie bürgen. Das ist ein Unding.
Beispiel Griechenland: Die Schuldenquote liegt bei 150 Prozent, sie sollte auf 100 Prozent sinken, sagen Experten. Die Differenz müssen also die Banken zahlen?
Die Abwertung der Staatsschuld um ein Drittel käme schon der Totalinsolvenz Griechenlands gleich. Ich fände besser, dass man wie beschrieben stufenweise vorgeht und nur bei den fälligen Tranchen an Staatsanleihen Kürzungen für die Gläubiger vereinbart. Nicht gleich bei allen.
Was bringt das?
Das erhält den Druck auf Reformen in dem Land. Man darf nicht gleich die Atombombe zünden, sondern muss Schüsse vor den Bug setzen, damit dem Land klar ist, dass es ernst wird. Momentan hoffen die Griechen vor allem darauf, dass ihnen die Staatengemeinschaft den Lebensstandard weiter finanziert. Nur wenn die Banken Verluste tragen müssen, werden sie aufhören, unsere Spargelder zu verschleudern.
Themenwechsel: Ist es wahrscheinlich, dass wir durch eine Ölkrise wieder in die Rezession abgleiten?
Die Frage dahinter lautet, ob auch Saudi-Arabien von den Unruhen erfasst wird. Aber das glaube ich eigentlich nicht, weil das ein sehr reiches Land ist, wo auch die normalen Bürger große Privilegien genießen. In Tunesien, Ägypten und Libyen ist ein Großteil der Bevölkerung bettelarm. Und die Hoffnung, die Armut zu überwinden, treibt diese Revolten an.
Kommen wir zum Verhältnis unserer Länder: Früher hieß es, Österreich sei das bessere Deutschland. Jetzt ist der Wachstumsvorsprung dahin. Was machen die Österreicher falsch?
Ich bin da nicht so pessimistisch. Deutschland hat ja jetzt auch eine Art Sonderkonjunktur. Wir waren die letzten zehn, 15 Jahre de facto Schlusslicht in Europa. Heute stehen wir vor allem von den Kosten her wesentlich besser da als die Konkurrenz – allerdings nach einer langwährenden Krise und Massenarbeitslosigkeit. Österreich hat vom EU-Beitritt massiv profitiert. Dadurch konnte der Lohnkostenvorteil ausgenutzt werden, und das Land wurde ein attraktiver Investitionsstandort. Einen solchen Vorteil kann man nicht ewig haben.
Sagen Sie, dass auch in Österreich die Löhne runter müssten, um wettbewerbsfähiger zu werden? Fehlt es Österreich wirklich an Wettbewerbsfähigkeit?
Die prognostizierten rund zwei Prozent Wirtschaftswachstum sind ja schon mehr als der EU Durchschnitt schafft. Es besteht kein Grund zur Klage.
Frau Merkel und Österreichs Werner Faymann sprechen sich für eine Finanztransaktionssteuer aus. Macht das Sinn?
Ich würde eine Steuer auf die Bilanzsumme abzüglich des Eigenkapitals bevorzugen. Aber was auch immer man tut, man kann eine Steuer nicht im Alleingang einführen. Mindestens sollten alle EU-Länder mitmachen. Die Banken kosten sehr viel Geld. Die Steuereinnahmen könnten in einen Fonds fließen, der den Banken im Notfall Aktien abkaufen kann, um sie mit neuem Eigenkapital zu versorgen. Insofern hab ich Verständnis für solche Vorschläge.