Interview mit Wirtschaftsforscher Sinn über die Senkung des Leitzinses. Prof. Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, vermisst eine marktgerechte Geldpolitik in Europa - und sieht die Europäische Zentralbank (EZB) in der Pflicht.
Die überraschende erneute Leitzinssenkung der EZB stößt auf Kritik. Wie bewerten Sie dies?
Prof. Hans-Werner Sinn: Da die Inflationsrate im Durchschnitt im europäischen Raurn gesunken ist, ist dieser Schritt der EZB verständlich. Schließlich wäre eine Deflation für einen ganzen Währungsraum höchst schädlich. Japan ist das beste Beispiel dafür, dass dies nicht sinnvoll ist. Wir bräuchten allerdings eine marktgerechte Geldpolitik in Europa, um speziell in Südeuropa eine Deflation und in Nordeuropa eine Inflation zuzulassen. Der Euro brachte den Südländern eine inflationäre Kreditblase. Sie wurden zu teuer und verloren ihre Wettbewerbsfähigkeit. Das kann nur durch eine Änderung der relativen Preise korrigiert werden. Die EZB müsste im Norden Gas geben, um Inflation zu erzeugen, und im Süden bremsen, um für eine Deflation zu sorgen.
Und deshalb höhere Zinsen in Südeuropa?
Sinn: In gewisser Weise ja. Die privaten Kapitalanleger verlangen ja höhere Zinsen, weil die Südländer mit einer kleineren Wahrscheinlichkeit zurückzahlen. Aber die EZB unterbietet die Märkte, indem sie den Banken immer mehr Kredit zu immer schlechteren Sicherheiten zu gleichen Zinsen gibt. Das verhindert die Selbstkorrektur der Märkte. Damit sollte sie aufhören. Mit ihrer Politik nimmt die Europäische Zentralbank den Reformdruck von den Krisenstaaten in Südeuropa. Sie hat diesen Ländern das Weitermachen wie bisher über einige Jahre damit ermöglicht Die EZB hat einen riesigen Rettungsschirm aufgespannt, gegen den die offiziellen Rettungsschirme winzig sind. Das Risiko tragen die Steuerzahler der noch gesunden Länder, denn sie sind die Eigentümer der EZB.
Überschreitet die EZB hier ihr Mandat?
Sinn: Die EZB hat sich zur wahren Hegemonin der Eurozone entwickelt. Der EZB-Rat hat nicht die Aufgabe, ganze Volkswirtschaften durch Billigkredite zu retten. Das Bundesverfassungsgericht wird jetzt die Frage prüfen, ob der EZB-Rat sein Mandat nicht überschritten hat. Aus meiner Sicht geht er weit über seine Zuständigkeiten hinaus. Die EZB missbraucht das Euro-System und verschafft den Krisenstaaten günstige Kredite, die sie auf dem Kapitalmarkt so nie erhalten würden. Das ist nicht ihre Aufgabe. Das darf die EZB nicht. Die einfachen Sparer und Inhaber von Lebensversicherungen spüren die Auswirkungen bereits.
Welche Folgen drohen da langfristig?
Sinn: Wer dreißig Jahre lang spart und statt, sagen wir fünf Prozent Zins nur 2.5 Prozent erhält, hat nicht einmal mehr die Hälfte seiner Rente. So einfach ist das. Das ist ein gewaltiger Zinseszins-Effekt, der da zustande kommt. Die EZB und die Staatengemeinschaft haben die Krisenländer in den vergangenen fünf Jahren über ihre zinsverbilligten Kredite im Limfang von rund 200 Milliarden Euro subventioniert. Die Subvention liegt derzeit bei 60 Mrd. Euro im Jahr. Die Zeche zahlen die Sparer, sie geht zu Lasten Deutschlands insgesamt, weil die Deutschen in ihrer Gesamtheit Nettokreditgeber gegenüber dem Rest der Welt sind.
Interview: Andreas Herholz