Die Finanzminister der Euro-Zone wollen an diesem Montag über ein neues Rettungspaket für Griechenland entscheiden. Es geht um weitere 130 Milliarden Euro. Kann das Geld Griechenland retten?
Nein, und das wissen die Politiker auch. Aus ihrer Sicht geht es darum, Zeit bis zur nächsten Wahl zu gewinnen. Aus meiner Sicht verlieren wir damit Zeit.
Warum?
Weil Griechenlands Außenschulden mit jedem Jahr, das bis zum Austritt aus der Währungsunion verstreicht, weiter anwachsen. Wir entfernen uns immer weiter von der Lösung des Problems. Das Grundproblem ist, dass Griechenland nicht wettbewerbsfähig ist. Die billigen Kredite, die der Euro dem Land gebracht hat, haben die Preise und Löhne künstlich erhöht - und von diesem hohen Niveau muss das Land runter.
Sollten die Euro-Staaten die Hilfen also besser nicht bewilligen?
Sie sollten ihnen das Geld geben, um den Austritt aus der Währungsunion zu erleichtern. Der griechische Staat könnte mit dem Geld die Banken des Landes verstaatlichen und den Staat vor dem Kollaps bewahren. Bei all den Turbulenzen, die so ein Austritt mit sich bringt, müssen Staat und Banken weiter funktionieren.
Diese Turbulenzen würden auch die griechische Bevölkerung hart treffen.
Ja, da darf man sich nichts vormachen. Aber die Turbulenzen wären nur temporär, sie würden vielleicht ein bis zwei Jahre dauern. Diese Zeit müsste man mit dem Geld der Staatengemeinschaft überbrücken. Die Drachme wird sich aber sofort abwerten, und die Lage wird sich dann sehr schnell wieder stabilisieren. Nach einem kurzen Gewitter scheint die Sonne wieder.
Was würde der Austritt dem Land konkret bringen?
Es würde wieder wettbewerbsfähig. Weil griechische Produkte schlagartig billiger würden, würde die Nachfrage umgelenkt, weg vom Import und hin zu eigenen Waren. Die Griechen würden ihre Tomaten und ihr Olivenöl dann nicht mehr aus Holland und Italien, sondern von den eigenen Bauern kaufen. Auch die Touristen, denen das Land in den vergangenen Jahren zu teuer war, kämen zurück. Und es flösse neues Kapital ins Land. Die reichen Griechen, die zig, wenn nicht hunderte von Milliarden Euro in der Schweiz deponiert haben, fänden es angesichts der gesunkenen Immobilienpreise und Löhne wieder interessant, in ihrem eigenen Land in Arbeitsplätze zu investieren.
Bedeutet ein Austritt aus der Währungsunion auch einen Bankrott des Landes?
Nein, umgekehrt. Der Bankrott erzwingt den Austritt. Die Griechen werden sofort austreten, wenn sie von der Staatengemeinschaft kein Geld mehr bekommen, denn der Konkurs ist im Euro-System nicht zu bewältigen. Der Staat wäre insolvent, das Bankensystem auch. Der gesamte Zahlungsverkehr würde zusammenbrechen. Das Chaos kann nur dann einigermaßen vermieden werden, wenn Griechenland austritt und die neue Währung sofort abwertet.
Heißt das, man sollte die Griechen zum Austritt zwingen?
Nein, niemand soll irgendwen zwingen. Aber Griechenland hat auch nicht das Recht auf dauerhafte Alimentation durch die anderen Euro-Staaten, und die Gläubiger Griechenlands haben keinen Anspruch auf Rückzahlung der Schulden durch die Staatengemeinschaft. Jeder muss sich seinen Lebensstandard selbst verdienen, und wer am Risiko verdienen will, muss es auch tragen.
Bräuchte man bei einem Austritt trotzdem noch die harten Sparpakete in Griechenland?
Was man Sparen nennt, ist in Wahrheit nur eine Verringerung des Schuldenzuwachses. Der Ökonom spricht erst dann von Sparen, wenn man Schulden tilgt. Davon kann in Griechenland noch lange nicht die Rede sein. Richtig ist aber, dass Griechenland sich so an den billigen Kreditfluss aus dem Ausland gewöhnt hat, dass es politisch unmöglich ist, die Preise des Landes durch Lohnkürzungen so weit zu senken, dass es konkurrenzfähig wird.
Wie stark müsste man dazu kürzen?
Die griechischen Güter müssten um 30 Prozent billiger werden, um mit der Türkei aufzuschließen. Das geht nur durch Austritt und Abwertung. Ohne Abwertung müsste man Millionen von Preislisten und Lohnkontrakten umschreiben. Das würde die Gewerkschaften radikalisieren und das Land an den Rand des Bürgerkriegs treiben. Außerdem würden die Firmen der Realwirtschaft in den Konkurs getrieben, weil ihre Vermögenswerte fallen, während ihre Bankschulden bleiben. Die Bankschulden kriegt man nur durch Abwertung runter. Der Plan, Griechenland im Euro radikal zu sanieren, ist illusionär.
Warum beharren die Euro-Staaten dann so darauf?
Es geht hier gar nicht so sehr um das Land. Die Griechen werden von den Banken und Finanzinstituten von der Wall Street, aus London und Paris als Geisel genommen, damit das Geld aus den Rettungspaketen weiter fließt - nicht nach Griechenland, sondern in ihre eigenen Taschen.
Was ist mit den Ansteckungseffekten, die eine Pleite oder ein Austritt mit sich bringen würden? Die Finanzmärkte würden womöglich darauf spekulieren, dass es anderen Ländern ähnlich ergeht wie Griechenland.
Es würde vielleicht Ansteckungseffekte geben. Aber ich halte das Argument für instrumentalisiert von Leuten, die um ihr eigenes Geld fürchten. Es heißt immer "die Welt geht unter, wenn Ihr Deutschen nicht zahlt". In Wahrheit gehen nur die Vermögensportfolios einiger Investoren unter.
Das Interview führte Stefan Kaiser
Hans-Werner Sinn ist Präsident des Münchner ifo Instituts, Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Direktor des Center for Economic Studies (CEP).