Klein beizugeben und die US-Schuldengrenze nach oben zu schrauben ist falsch, meint ifo Präsident Hans-Werner Sinn. Die Folgen wären fatal
Er hat sich noch nie ein Blatt vor den Mund genommen: Hans-Werner Sinn, Spitzenökonom und Präsident des deutschen ifo Instituts. Als einer der Ersten urgierte er öffentlich den Austritt Griechenlands aus dem Euro und erntete damit harsche Kritik von vielen Seiten. Nun legt er nach. Der Euro sei wie eine unglückliche Ehe, sagt Sinn, und der Supermacht USA empfiehlt er im Gespräch mit derStandard.at, spätere Generationen an Steuerzahlern zu verschonen.
derStandard.at: Die Europäer sitzen laut einer aktuellen IWF-Studie heute nicht mehr auf der Sünderbank. Nun gelten unter anderen die USA als Risiko für die Weltwirtschaft. Bis zum 17. Oktober müsste die Schuldengrenze angehoben werden. Droht bei einer Pleite der Super-GAU?
Sinn: Nein. In Wahrheit sind die USA zahlungsfähig. Ich habe aber Verständnis für die Republikaner, wenn sie an der Verordnung des Kongresses festhalten, die Schuldengrenze nicht weiter nach oben zu verschieben. Damit würden die Belastungen auf die Steuerzahler späterer Generationen abgewälzt. Eine solche Lösung wäre teuflisch, ungerecht und potenziell explosiv, weil durch immer mehr Schulden eines Tages tatsächlich der Staatskonkurs eingeleitet werden kann. Sämtliche Demokratien der Welt sind anfällig für das Schuldenmachen. Die Schuldengrenze zwingt die heute lebenden Menschen, den Verteilungskonflikt unter sich auszumachen. Entweder müssen die Steuern rauf oder die Staatsausgaben runter.
Welche Baustellen hinterlässt der scheidende Chef der US-Notenbank, Ben Bernanke, seiner Nachfolgerin Janet Yellen?
Vor dem Hintergrund, dass Bernanke die Finanzkrise von seinem Vorgänger Alan Greenspan geerbt hat, hat er seinen Job ganz gut gemacht, indem er dem Markt immer rechtzeitig Liquidität zur Verfügung gestellt hat. Meiner Meinung nach sollte er aber spätestens bei seiner letzten Amtshandlung aus der lockeren Geldpolitik aussteigen und die Zinsen anheben, um Yellen geordnete Verhältnisse zu übergeben. Das Ziel der Fed, die Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen, ist erreicht. Die Immobilienkrise ist überwunden, die Preise steigen wieder, und die Zahl der Neubauten nimmt allmählich wieder zu.
Vieles spricht gegen eine Zinserhöhung.
Abwarten.
Der Europäischen Zentralbank werfen Sie vor, ihre Anleihekäufe seien rechtswidrig und ökonomisch verfehlt. Soll die freie Verfügbarkeit der Mittel der EZB eingeschränkt werden?
Während die Fed eine lockere Geldpolitik betreibt, niedrige Zinsen und Ausweitung der Geldmenge, steht die EZB für eine regionale Fiskalpolitik. Sie verlagert die geschöpfte Geldmenge vom Norden in den Süden, um dadurch die Kredite, die zuvor privat aus dem Ausland zur Verfügung gestellt wurden, zu ersetzen. Eine solche Fiskalpolitik sollte, wie es auch beim Rettungsschirm ESM der Fall ist, von Europas Parlamenten kontrolliert werden und ist nicht Aufgabe der EZB. Wegen der schlechten Besicherung ihrer Kredite ist die Zentralbank heute selber im Risiko und muss über die Rettungsschirme der Staatengemeinschaft gerettet werden. Die EZB hat ihr Mandat überschritten und eine alternativlose Entscheidungssituation der Parlamente geschaffen, die zu Erfüllungsgehilfen des EZB-Rates degradiert wurden.
Hat der Euro für die Eurozone überhaupt Vorteile?
Ich würde sagen, die Nachteile überwiegen. Hätte man gewusst, was dabei herauskommt, hätte man den Euro nicht einführen dürfen. Heute gibt es so viele Spannungen in Europa, gerade was die deutsche Position betrifft und Österreich steht auch nicht viel besser da, wie seit Jahrzehnten nicht. Man hätte sich diese hunderte Milliarden schweren Rettungsaktionen, die zu entsprechenden Verlusten für die Staaten führen werden, ersparen können. Das heißt nicht, dass man wieder aus dem Euro herauskann. Es ist wie eine Ehe, die nicht ganz glücklich verlief. Man sollte versuchen, sie zu heilen, und nicht notwendigerweise den Schlussstrich ziehen und sich scheiden lassen.
Wie viele Mitgliedsstaaten wird die Eurozone in zehn Jahren zählen?
Das ist schwer zu prognostizieren. Einige der südlichen Länder haben ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren und können diese auch so schnell nicht wiedergewinnen. Daher werden immer mehr öffentliche Mittel aus den nördlichen Ländern in diese Krisenstaaten fließen. Wenn sich die Geberländer verweigern, werden einige Empfängerländer aus dem Euroverbund aussteigen.
Was könnte die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer steigern?
Entweder ein Austritt aus der Eurozone mit gleichzeitiger offener Abwertung oder - bei einem Verbleib - eine reale Abwertung durch Deflation im Süden oder Inflation im Norden. Durch die Kreditblase, die der Euro mit sich gebracht hat, sind die Preise im Süden zu stark gestiegen. Löhne wurden kreditfinanziert über die Produktivität hinausgetrieben. Eine fatale Fehlentwicklung. Eine Korrektur im Euro wäre mit großen Schmerzen verbunden.
Sie waren einer der Ersten, die öffentlich meinten, Griechenland solle die Eurozone verlassen.
Ein solcher Schritt wird immer dringlicher. Die Probleme haben sich akut verschärft. Die Gesamtarbeitslosigkeit in Griechenland liegt derzeit bei 29 Prozent, die der Jugend bei über 60 Prozent, und die Zahlen steigen immer weiter.
US-Hedgefonds investieren aber offenbar wieder aggressiv in Griechenlands Banken. "Paulson & Co" würde wohl bei Pireaus und Alpha nicht zugreifen, hätte er nicht gute Argumente. Zeugt das von einer guten Kapitalisierung?
Die Hedgefonds haben kein Vertrauen in Griechenland, sondern vertrauen darauf, dass die Retter Steuergelder der noch gesunden Länder Europas mobilisieren. Für den Moment mag es zwar eine richtige Einschätzung sein, doch niemand kann heute sagen, wie lange diese politische Unterstützung noch anhält.
Im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl wurde die Eurokrise weitgehend von der Agenda genommen. Wird die eurokritische Alternative für Deutschland nach ihrem Achtungserfolg die offene Diskussion über den Euro wieder anfeuern?
Die AfD wird eine wachsende Rolle spielen, denn die Eurokrise wird uns noch sehr lange begleiten. Schuldenschnitte für Griechenland und Portugal stehen an, und wie es mit Italien und Spanien weitergeht, weiß man nicht.
Das Gespräch führte Sigrid Schamall.