ifo-Chef Hans Werner Sinn fordert, dass Griechenland schnellstmöglich zur Drachme zurückkehrt. Die Risiken für Deutschland seien sonst unkalkulierbar – und der Euro in allergrößter Gefahr.
Welt Online: Herr Professor Sinn, macht es wirklich einen großen Unterschied, wer die Wahlen in Griechenland gewinnt?
Hans-Werner Sinn: Ich vermute eher nicht. Beide werden versuchen, mit der EU zu verhandeln. Die extremen Parteien werden mehr riskieren und mehr bekommen, wenn sie Erfolg haben, aber sie werden mit größerer Wahrscheinlichkeit scheitern. Dann wird die Europäische Zentralbank (EZB) Griechenland vermutlich die Druckerpresse abstellen, und dann wird Griechenland aus der Euro-Zone austreten.
Gibt es diesen Automatismus tatsächlich: Die Einstellung der Hilfe erzwingt den Austritt aus der Euro-Zone?
Selbstverständlich. Griechenland kann natürlich austreten und weiter Hilfe bekommen, aber man kann nicht ohne Hilfen drinbleiben. Die große Lücke zwischen dem, was Griechenland erwirtschaftet, und dem, was es verbraucht, wird längst vollständig von der EZB und der Staatengemeinschaft finanziert. Wenn dieses Geld nicht mehr fließt, ist der griechische Staat sofort zahlungsunfähig. Er muss dann aber trotzdem seine Beamten und Soldaten weiter bezahlen. Also muss er neues Geld drucken, und das können dann nur Drachme sein.
Sollte den Griechen der Hahn dennoch abgedreht werden, wenn die Radikalen die Zusagen der Vorgängerregierung nicht mehr einhalten wollen?
Ja. Den Punkt, an dem man sagen konnte, ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende, hatten wir vor zwei Jahren erreicht. Und was ist in der Zwischenzeit passiert? Das Chaos auf dem griechischen Arbeitsmarkt ist immer größer geworden. Banken und andere Investoren, darunter viele reiche Griechen, dagegen konnten ihre toxischen griechischen Staatsanleihen an die EZB und damit in die Haftung des Steuerzahlers der europäischen Kernländer übergeben. Je schneller die Griechen rausgehen, desto billiger wird es für uns, und desto kürzer ist die Leidensperiode der Griechen. Die reichen Griechen betreiben ihr Spiel nämlich auf dem Rücken der einfachen Leute, die überhaupt nichts davon haben, wenn Griechenland in seinem jetzigen Chaos auf dem Arbeitsmarkt verbleibt.
Die Bundesregierung fürchtet, dass ein Austritt Griechenlands für Panik an den Märkten sorgen und so die Probleme der anderen Krisenländer noch verschärfen würde.
Die Gefahr besteht natürlich. Aber sie wird ja nicht dadurch kleiner, dass wir sie aufschieben. Den Fehler hat die Politik schon vor zwei Jahren gemacht. Die Vermögensverluste der Deutschen werden immer größer, je länger wir warten, denn je später Griechenland austritt, desto größer ist der Anteil der toxischen griechischen Papiere, die vom Portefeuille der Investment-Gesellschaften in das direkte oder indirekte Eigentum der deutschen Sparer und Steuerzahler überführt wurde. Die Anleger dieser Welt brauchen Deutschland dringend als Schrottabladeplatz, und je länger wir das Tor auflassen, desto mehr Schrott werden sie los. Oder anders gesagt: Man kann das Problem vor sich herschieben, indem man den Ländern immer weiter Kredit zur Bedienung ihrer Altschulden gibt. Aber in dem Moment, wo wir damit aufhören, bricht die Krise wieder aus. Deshalb ergibt es auch keinen Sinn, das öffentliche Geld für die Verlängerung des Aufenthalts in der Eurozone zur Verfügung zu stellen. Wir sollten lieber den Austritt finanziell abfedern, denn dann ist ein Ende der Zahlungen absehbar. Bei der jetzigen Strategie werden nur alle arm, und wenn wir am Schluss nichts mehr haben, weil wir neben Griechenland dann ganz Südeuropa finanziert haben, bricht der Euro erst recht auseinander. Das kann doch nicht im Ernst die Lösung sein.
Manche Juristen sagen, wenn Griechenland die Euro-Zone verlässt, muss es nach geltendem Recht auch die Europäische Union verlassen.
Juristen sind findige Menschen. Ich würde vorschlagen, dass Griechenland rein rechtlich Teil der Euro-Zone bleibt, als assoziiertes Mitglied, aber trotzdem die Drachme einführt. Wir schicken Griechenland sozusagen in Kur – und drücken ihnen zugleich eine Rückfahrkarte in die Hand. Griechenland würde dann durch den temporären Umstieg auf die Drachme wieder wettbewerbsfähig, und die Euro-Partner würden versprechen, wenn ihr diese und jene Reformen durchgeführt und eure Staatsfinanzen in Ordnung gebracht habt, könnt ihr anschließend zu einem neuen Wechselkurs wieder eintreten. Das wäre ein echter Anreiz für die Griechen, das Notwendige zu tun – ein viel größerer jedenfalls, als ständig leere Drohungen zur Einstellung von Hilfskrediten auszusprechen.
Von Olaf Gersemann