Deutschlands prominentester Ökonom verteidigt seine Zunft
DIE ZEIT: Herr Professor Sinn, sind die Wirtschaftswissenschaftler auf die nächste große Krise besser vorbereitet?
Hans-Werner Sinn: In Ihrer Frage steckt die Hypothese, wir seien nicht vorbereitet gewesen. Das ist großenteils richtig. Aber Sie sollten das nicht verallgemeinern. Eine Reihe von Ökonomen hat schon vor der Krise auf die schlechte Regulierung der Banken und die Immobilienblase in den USA hingewiesen. Martin Feldstein tat das seit vielen Jahren, Michael Jensen hat in aller Schärfe vor dem großen Knall gewarnt. Es gibt noch andere...
Die Warner waren aber nicht gerade in der Mehrheit.
Es sind auch nicht alle Ärzte auf Kreislaufprobleme spezialisiert. Und die letzte richtig große Krise der Weltwirtschaft hat vor 80 Jahren stattgefunden. Sie war aus dem Blick geraten. Trotzdem: Wenn wir an den Universitäten Makroökonomie lehren, geht es immer auch um Krisen. Die ursprüngliche keynesianische Theorie befasste sich stark damit, was beim Zusammenbruch des Geldkreislaufes passiert.
Keynes war zuletzt im ökonomischen Mainstream nicht gerade beliebt.
Ganz so ist es nicht. Keynes gehörte mit seinen güterwirtschaftlichen Ansteckungseffekten immer zum Mainstream, jedenfalls in Europa.
Ist es nicht eher so, dass die tonangebenden Ökonomen einfach vergessen haben, sich mit den Finanzmärkten zu beschäftigen?
Es gibt tatsächlich makroökonomische Lehrbücher, in denen Sie kaum etwas finden, um die jüngste Krise zu analysieren. Da werden Geld und Finanzen völlig ausgeblendet und Krisen allein durch angebotsseitige Schocks erklärt. In den USA hat das viele Befürworter, Wissenschaftler wie Michael Woodford, Edward Prescott und Thomas Sargent...
...Sargent hat gerade den Wirtschaftsnobelpreis erhalten.
Dass er ihn gerade in der Finanzkrise gekriegt hat, hat mich auch sehr gewundert.
Was aber doch nur zeigt, dass wir hier vom Mainstream sprechen, nicht von irgendwelchen Exoten. Also noch mal: War ein einflussreicher Teil der Ökonomenzunft schlecht auf die Krise vorbereitet?
Unseren Finanzmarktexperten kann man den Vorwurf nun wahrlich nicht machen.
Wir haben Ihre europäischen Kollegen trotzdem nicht sehr laut warnen hören.
Die Lautstärke hängt davon ab, wie sehr die Presse die Lautsprecher aufdreht. Es haben genug Leute gewarnt, intensiv sogar, aber man wollte auf die Warner gar nicht hören. Ich habe zum Beispiel vor etwa zehn Jahren einen Plenarvortrag beim Verein für Socialpolitik, dem Verband der Ökonomen, gehalten, in dem ich die Erosion der Bankenregulierung gegeißelt habe. Da waren einige Presseleute dabei. Glauben Sie, einer hätte über meine Warnungen berichtet? Keiner!
Weil bestimmte Meinungen nur in bestimmten Zeiten opportun sind?
So ist es. Übrigens auch und ganz extrem in der Politik.
Glauben Sie, dass das Ansehen des Ökonomen als Ratgeber durch die Krise gelitten hat?
Ja, die Krise wurde von vielen Beobachtern gegen die Ökonomie gewendet, mit der Begründung: Die Ökonomen sind für Deregulierung, und jetzt sehen wir, was dabei herauskommt. Das gab es auch in Ihrer Zeitung. Das ist allerdings eine Vergröberung, die überhaupt nicht passt. Ökonomen sind nicht grundsätzlich für oder gegen Regulierung. Uns geht es um das richtige Maß und die richtige Art der Regulierung für den jeweiligen Zweck.
Vielleicht drücken die Ökonomen sich dann nicht klar genug aus.
Schuld haben beide Seiten. Ich gebe zu, dass sich viel zu viele Ökonomen im Elfenbeinturm vergraben haben. Bei manchem Forscher hat man den Eindruck, die Welt könnte untergehen, und der würde seine Erforschung der zeit- und raumlos richtigen Wahrheiten einfach so weiterbetreiben.
In welche Richtung muss sich die Volkswirtschaftslehre weiterentwickeln?
Sinn: Sie muss ihre Makromodelle mehr von der Finanzierungsseite statt von der Güterseite aufziehen. Das gilt insbesondere für die keynesianische Konjunkturtheorie, wie wir sie in den Instituten noch vorrangig betreiben. Dutzende von Artikeln sind über die Gefahren der schlechten Regulierung und der zu geringen Eigenkapitalquoten veröffentlicht worden...
Kein Bedarf an neuer Theorie?
...aber das waren Mikromodelle. Wir müssen das stärker in den Makromodellen berücksichtigen, damit wir die finanziellen Ansteckungseffekte besser erfassen. Das wäre im Moment das Wichtigste.
Hans-Werner Sinn leitet das ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München.
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