Der Hurrikan der Finanzkrise ist überstanden, aber er hat eine Spur der Verwüstung in den USA zurückgelassen. Der amerikanische Staat hat zur Bankenrettung 1,3 Billionen Dollar und für Konjunkturprogramme 800 Milliarden Dollar bereitgestellt. Die private Immobilienfinanzierung ist vollständig zusammengebrochen. 95 Prozent der Kredite für Privatimmobilien flossen im Jahr 2009 durch die Hände staatlicher Institutionen. Mehr als 200 Banken gingen in der Krise pleite. Das Verhältnis der amerikanischen Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt wird sich in diesem Jahr der 100-Prozent-Marke nähern und diese Marke im nächsten Jahr wohl erreichen.
Nach dem Abklingen des Sturms geht es jetzt an das Aufräumen der Scherben des zerbrochenen Finanzsystems. US-Präsident Barack Obama scheint nach anfänglichem Zögern zum Handeln entschlossen und stellt sich hinter die Vorschläge des ehemaligen Notenbankgouverneurs Paul Volcker.
Volcker schlägt vor, das amerikanische Trennbankensystem zu reaktivieren, das seinerzeit durch den Glass-Steagall Act geschaffen wurde. Mit dem Glass-Steagall Act war im Jahr 1933, kurz nach dem Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise, den Geschäftsbanken zum Schutze der Sparer verboten worden, sich im Investmentbanking zu betätigen. Die Banken durften die angesammelten Spargelder zwar noch an Haushalte, Firmen und andere Banken verleihen, aber sie durften keine Wertpapiere erwerben oder bei deren Austausch mitwirken. Der Aktienkauf war genauso verboten wie der Erwerb von verbrieften Finanzprodukten. Selbst der Erwerb von Unternehmensanleihen und privaten Schuldverschreibungen war auf ein Minimum beschränkt. Das Ziel des Gesetzes war es, die Sparer vor riskanten Finanzgeschäften zu schützen.
Als der Glass-Steagall Act 1999 aufgehoben wurde, haben sich einige Geschäftsbanken zaghaft im Investmentbanking versucht. Das nährte den Verdacht, dass hierin eine Ursache der Finanzkrise gelegen haben könnte. Davon kann aber nicht die Rede sein, denn faktisch war das Trennbankensystem bis zum Ausbruch der Finanzkrise ziemlich intakt. Eher hat dieses System selbst die Krise verstärkt.
Die Krise wurde bekanntlich dadurch ausgelöst, dass im Jahr 2008 Lehman Brothers wider Erwarten nicht vom Staat gerettet wurde. Das hat das gegenseitige Vertrauen der Banken erschüttert und den Interbankenmarkt zum Erliegen gebracht. Die Ersparnisse der Sparer konnten nicht mehr zu den Investoren geleitet werden, sondern stauten sich bei den Geschäftsbanken. Die Folge war der Absturz der Realwirtschaft. Hätten die USA kein Trennbankensystem gehabt, so wäre die Wirtschaft weniger anfällig gegenüber dem Zusammenbruch des Interbankenmarktes gewesen, denn die Geschäftsbanken hätten den Unternehmen zumindest einen Teil der eingesammelten Ersparnisse über Aktien- und Anleihenkäufe direkt zuleiten können.
Insofern fragt man sich, was Obama und Volcker motiviert hat. Die Antwort liegt in einem Ereignis, das am 22. September 2008 die gesamte Finanzwelt überrascht hatte: Die Umwandlung der Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley, die als einzige von den großen Investmentbanken die Krise überlebt hatten, in normale Geschäftsbanken. Hinter dieser Umwandlung stand der Wunsch der beiden Banken, in der Krise an das Geld der Notenbank zu gelangen und Schutz vom staatlichen Einlagensicherungsfonds zu erhalten. Der Staat hatte besondere Hilfen für die Investmentbanken eigentlich ausschließen wollen, aber die schlugen ihm ein Schnippchen, indem sie den eigenen Rechtsstatus kurzerhand veränderten. Jetzt geht es Obama darum, die Schlappe wettzumachen.
Das ist verständlich, aber für Europa gefährlich, weil Europa ein Universalbankensystem hat. Sollte es Obama gelingen, das Trennbankensystem bei den G-20-Verhandlungen weltweit zu verankern, so würde das die Zerschlagung der europäischen Bankenwelt bedeuten – während sich die Auswirkungen der Re- form für die USA in Grenzen hielten. Hoffentlich haben sich Obamas Berater nicht durch diese Aussicht beflügeln lassen.
Krisenprävention bietet die Rückkehr zum Trennbankensystem jedenfalls nicht. Es ist zwar richtig, dass eine verringerte Aussicht auf staatliche Hilfen den Investmentbanken Anlass bieten könnte, vorsichtiger zu wirtschaften. Dieser Pluspunkt wiegt den Nachteil einer erhöhten Krisenanfälligkeit durch die Trennung der Bankenfunktionen nicht auf. Im Übrigen ist zu bezweifeln, ob die Aussicht auf Staatshilfe wirklich sinkt. Retten muss der Staat die großen Investmentbanken auch dann, wenn sie keine Spargelder verwalten, denn niemand wird eine Wiederholung einer Pleite wie der von Lehman-Brothers akzeptieren.
Die Risikovorliebe der Banken, die zur Krise führte, rührt im Wesentlichen aus ihrer unzureichenden Eigenkapitaldecke her. Wer kaum Eigenkapital hat zockt, weil er Gewinne einstreichen und Verluste nur zu einem geringen Teil selber tragen muss, egal ob der Staat hilft oder nicht. Den Anreiz zum Zocken kann man nur unterbinden, indem man die Eigenkapitalanforderungen drastisch erhöht.
Die Europäer sollten den amerikanischen Vorschlägen beim nächsten G-20-Gipfel nicht folgen, sondern sich voll und ganz auf die Stärkung der Eigenkapitalbasis der Banken konzentrieren.
Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts
Erschienen unter dem Titel „Keine gute Idee“, Wirtschaftswoche, Nr. 6, 8. Februar 2010, S. 38.