In Deutschland fehlen 50.000 Computer-Spezialisten. Deshalb spricht manches für Schröders Vorschlag, 20.000 solcher Spezialisten ins Land zu lassen. Die 900 Spezialisten, die derzeit in allen Berufssparten über Ausnahmeregelungen in unser Land kommen, sind tatsächlich nicht genug.
Die Computerbranche umfasst gerade einmal 1 % des Arbeitsmarktes. Der Engpass auf dem Computersektor legitimiert keinesfalls eine generelle Lockerung der Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern. Zum einen gibt es immer noch eine Massenarbeitslosigkeit von knapp 4 Millionen Personen. Zum anderen darf man die Osterweiterung nicht außer acht lassen, die wegen der Niederlassungsfreiheit ab dem Jahr 2004 ohnehin zu einer Massenzuwanderung aus Osteuropa führen wird (vgl. Standpunkt 9).
Es ist absurd, wenn mit dem Hinweis auf die Sonderregelung für den Computer-Bereich nun auch vom Gaststättengewerbe eine Greencard gefordert wird, denn für dieses Gewerbe sollte die Qualifikation der Deutschen doch wohl noch reichen. Die Engpässe bei den einfachen Dienstleistungen müssen durch eine Verbesserung der Anreizstruktur des Sozialstaates statt durch eine Liberalisierung der Einwanderungspolitik beseitigt werden.
Auch die Engpässe im Computer-Sektor sollten nur kurzfristig durch Zuwanderung behoben werden. Mittelfristig ist es die bessere Alternative, den eigenen Nachwuchs zu stärken. Eine Verdoppelung der Ausbildungszahlen bei den IT-bezogenen Lehrberufen wie auch bei den Informatik-Abschlüssen an den Hochschulen würden dem Arbeitsmarkt pro Jahr soviel neue IT-Spezialisten zur Verfügung stellen, wie die Regierung aus dem Ausland einwandern lassen möchte. Eine sofortige Ausweitung des Studienplatzangebots in diesem Sektor würde die Engpässe in wenigen Jahren beseitigen.
Die Greencard-Diskussion deckt die peinliche Wahrheit auf, dass Deutschland die naturwissenschaftliche Führungsposition, die es vor hundert Jahren hatte, lange verspielt hat. Die Nachwuchswissenschaftler ziehen in der Tat in Scharen nach Amerika, wo sie hohe Gehälter verdienen und Freiräume haben, die ihnen in Deutschland nicht geboten werden. Nicht der beschränkte Zuzug von Spezialisten, sondern deren Abwanderung ist das eigentliche Problem. In Amerika gibt es Tausende von in Deutschland ausgebildeten Wissenschaftlern, die abgeworben wurden, und es gibt Tausende von jungen Deutschen, die dort studiert haben und die angesichts der geringen Verdienstmöglichkeiten nicht mehr an die deutschen Hochschulen zurückkehren.
Deutschland vernachlässigt die Ausbildung insgesamt. Es belegt unter allen 27 OECD-Ländern mit Spanien den fünftletzten Platz, was den Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben am Sozialprodukt betrifft, und unter den EU-Ländern liegt es auf dem drittletzten Platz. Unser Land wird im Hinblick auf seine öffentlichen Bildungsausgaben sogar von den USA übertroffen, wo bekanntermaßen ein Gutteil der Hochschulausbildung in privaten Händen liegt. Die Investition in Humankapital wird in Deutschland sträflich vernachlässigt.
Das gilt insbesondere für die Ausbildung im naturwissenschaftlichen Bereich. Noch immer schaut die Geisteswissenschaft auf die Naturwissenschaft herab, und noch immer werden die Schulen von Philologen beherrscht. Latein statt Laptop, Goethe statt Gates ist die Devise, aber mit dieser Devise lässt sich der Standortwettbewerb nicht gewinnen.
Hans-Werner Sinn
Präsident des ifo Instituts