Nachdem der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft im Jahr 1998 sein Gutachten zur Rentenreform vorgestellt hatte, ist Bewegung in die Rentenreformdebatte gekommen. Die Zeit des Leugnens der demographischen Probleme ist nun endgültig vorbei. Die Deutschen haben heute viel weniger Kinder, als es früher einmal üblich war, so wenige, dass die Rentenversicherung in eine Krise hineinschlittert, wenn nichts geschieht.
Die drohende Krise kann nur dadurch vermieden werden, dass die zukünftigen Renten gekürzt und das bei der Kindererziehung eingesparte Geld am Kapitalmarkt angelegt wird, um auf diese Weise die Rente zu sichern, die von den wenigen Kindern nicht mehr zu erwarten ist.
Wie es der Beirat fordert, empfiehlt die Regierung eine jährliche Kapitalanlage von 4%, die allerdings erst bis zum Jahr 2008 erreicht werden soll. Gleichzeitig wird der Rentenanstieg verringert. Die Renten werden für Alt- und Neurentner mit fortschreitender Zeit immer mehr gekürzt, weil die empfohlene Kapitalbildung die Bemessungsgrundlage für die Rentenberechnung verringert. Zudem müssen die Neurentner ab dem Jahr 2011 Sonderkürzungen gegenüber den Altrentnern hinnehmen.
Die Besserstellung der Altrentner ist im Sinne einer Generationengerechtigkeit zu begrüßen, denn wer vor 2011 in die Rente geht gehört noch zu den Generationen, die während ihres Lebens vergleichsweise viele Kinder großgezogen und das Rentenproblem nicht verursacht haben. Dass die nachfolgenden Generationen sukzessive weniger Renten erhalten ist folgerichtig, denn sie haben ja auch sukzessive weniger Kinder großgezogen (Sinn und Werding, Schnelldienst 18/2000). Richtig ist auch, dass die Renten innerhalb einer Generation stärker nach der individuellen Kinderzahl differenziert werden sollen. Die Sozialisierung der Rentenbeiträge der eigenen Kinder, die mit der Rentenversicherung nach altem Muster vorgenommen wurde, wird damit zurückgenommen. In Zukunft wird sowohl der kapitalgedeckte als auch der umlagefinanzierte Teil der Altersrente davon abhängen, wie viel man selbst zur Finanzierung dieser Rente beigetragen hat.
Was bei dem Reformkonzept ein bisschen stört, ist die Umdefinition der Nettolöhne durch den Abzug der empfohlenen Kapitalbildung. Diese Umdefinition erhöht das "Rentenniveau", das eigentlich im Jahr 2030 nur bei 62% der Nettolöhne liegt, optisch auf die Zielgröße von 64%. Außerdem ist zu bemängeln, dass die Regierung immer noch mit einem Satz sehr günstiger Annahmen rechnet, die den Anschein erwecken, als steige der Beitragssatz bis zum Jahr 2030 nur auf 22%. Nach den Berechnungen des ifo Instituts kommt man statt dessen in diesem Jahr auf 23%, und bis zum Jahr 2035 muss sogar mit einem Anstieg des Beitragssatzes auf 24% gerechnet werden. Addiert man die empfohlene Kapitalbildung, so entsteht in der Summe eine Gesamtbelastung von 28%. Das ist der Wert, der auch ohne die Reform zustande gekommen wäre und den man eigentlich hatte vermeiden wollen. Der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirates, früher mit einer hohen Sparquote zu starten und diese Quote in den Krisenjahren wieder abzubauen, verdient in diesem Zusammenhang genauso Beachtung wie die aus Generationenbilanzen abgeleitete Forderung des ifo Instituts, den Beitragssatz bei 20% einzufrieren und noch weiter gehende Kürzungen der Umlagerenten zu akzeptieren.
Dessen ungeachtet ist der Reformvorschlag ist ein Schritt in die richtige Richtung und eine gute Basis für einen Kompromiss mit den hoffentlich noch etwas weiter gehenden Vorstellungen der Opposition.
Die Zeit eilt. Noch ist eine strukturelle Mehrheit für Rentenkürzungen vorhanden, doch die Mehrheit schrumpft mit jedem Jahr. Wenn die Rentenkrise erst einmal begonnen hat, wird es zu spät für Reformen sein, weil dann die Mehrheit der Wahlberechtigten zu den Verlierern solcher Reformen gehören wird. Dann kippt das Rentensystem und mit ihm vielleicht das ganze Land.
Hans-Werner Sinn
Präsident des ifo Institut