ifo Standpunkt Nr. 18: Warum fällt der Euro?

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 27.11.2000

Begonnen hat er mit 1,18 $ und ist nun schon deutlich unter 85 Cent gefallen: der Euro macht kein gutes Bild in diesen Tagen. Die Japaner, die anfangs voller Hoffnung auf den Euro gesetzt hatten, haben sich nach langem Zögern und nach Abschreibung hoher Verluste enttäuscht zu-rückgezogen, und eine Trendwende bei der Kursentwicklung ist noch nicht in Sicht.

Vor einer übermäßigen Dramatisierung der Entwicklung sollte man sich hüten. Heute liegt der Kurs sehr knapp unter der deutschen Kaufkraftparität für einen US-amerikanischen Warenkorb, die bei etwa 85 Cent angesiedelt ist. Auch ist der Kurs noch lange nicht da angekommen, wohin die D-Mark bis zum Februar 1985 gefallen war, nämlich bei umgerechnet nur 56 Cent.

Dennoch ist der Kursverfall überraschend. Die Euro-11-Länder exportieren mehr in die Welt als die USA, und die amerikanische Kombination aus einem Versiegen der Ersparnis der privaten Haushalte und einem sehr hohen Leistungsbilanzdefizit von 3,6% des Sozialproduktes ist alles andere als vertrauenerweckend. Warum nur fällt der Euro?

Er fällt, weil vielen, die bislang europäische Währungen gehalten haben, der angekündigte Umtausch in den Euro nicht behagt. Manche haben Angst, das alte gegen das neue Geld umzutauschen, weil das alte Geld Schwarzgeld ist, das sie niemandem zeigen wollen, schon gar nicht einer Bank, die den Umtausch im Falle einer größeren Umtauschmenge namentlich registrieren muss, um der Geldwäsche vorzubeugen. Viele, wenn nicht die meisten unter den Millionen von Menschen außerhalb der EU, die europäische Währungen halten, wissen nicht, dass die Währungsunion bereits Realität ist. Man hört das Gerücht, dass die europäischen Währungen im Jahr 2002 wertlos werden und dass angeblich eine neue Währung an ihre Stelle treten wird. Aber man weiß nicht, wer den Umtausch vornehmen wird und befürchtet, dabei ein schlechtes Geschäft zu machen. Sein Geld beizeiten in eine konkrete, sichtbare Währung wie den Dollar oder das Pfund umzutauschen, erscheint unter diesen Verhältnissen als Gebot der Vernunft.

Zum Zeitpunkt der offiziellen Einführung des Währungssystems zirkulierten allein von der D-Mark Zentralbankgeldbestände im Gegenwert von etwa 60 bis 80 Milliarden DM im Ausland. Das waren außerordentlich große Bestände, die 20 - 30 % der deutschen Geldbasis und 8 - 11% der Geldbasis der EU-11-Länder entsprachen. Die vielen Tausend-DM-Scheine unter den türkischen Matratzen zählten dazu genauso wie DM-Bestände, die in Kroatien, Slowenien und anderen osteuropäischen Ländern offiziell als Transaktionswährung akzeptiert wurden. Diese Gelder machen heute sicherlich einen Gutteil jener Bestände aus, an denen das Interesse der Geldhalter schwindet und die ihre Position in den Geldbeuteln nur bei fallendem Kurs behaupten können.

Häufig wird der Standpunkt vertreten, der Dollar-Kurs des Euro reflektiere die schlechten Ertragserwartungen für die europäischen im Vergleich zu den amerikanischen Aktien und sei deshalb ein Indikator für den Reformstau in Europa und die Stärke der amerikanischen Ökonomie. Dieser Zusammenhang ist zwar vorhanden, aber weit weniger wichtig, als gemeinhin angenommen wird, denn die Ertragserwartungen spiegeln sich bereits in den Kursen der Aktien wieder. Wechselkursanpassungen sind erforderlich, um bei gegebener internationaler Struktur der kurzfristigen Zinsen die gewünschte und die tatsächliche Portfoliostruktur bezüglich der in Dollar und Euro gehaltenen M3-Geldbestände in Übereinstimmung zu bringen, aber sie können nicht zusätzlich die gewünschten amerikanischen und europäischen Aktienbestände an die tatsächlich vorhandenen Bestände angleichen. Internationale Portfolio-Umschichtungswünsche bezüglich der Aktien führen zu Kursänderungen bei diesen Aktien, doch ob sie zusätzlich auch Wechselkursänderungen zur Folge haben ist unklar, weil dies von Kreuzpreiseffekten abhängt, deren Vorzeichen und Höhe unbekannt sind. Die Währungskurse ändern sich, wenn offene Nettopositionen bezüglich der Bestände an kurzfristigen verzinslichen Anlageformen und Bargeld entstehen, und genau das ist der Fall, wenn viele Geldhalter innerhalb und außerhalb Westeuropas ihre Bestände an westeuropäischen Altwährungen in Dollars und in andere nicht vom Umtausch betroffene Währungen auswechseln wollen. Da es nur auf das M3-Geld, und nicht auf die restlichen Teile der internationalen Portfolios ankommt, handelt es sich um einen vergleichsweise großen Effekt.

Der Kursverfall beim Euro hätte zu einem guten Teil vermieden werden können, hätte die EZB die neue Währung mit einem Schwung gleich am 1. Januar 1999 eingeführt, denn dann wäre die Unsicherheit gar nicht erst entstanden. Die dreijährige Verzögerung zwischen dem angekündigten Tod des alten und der erwarteten Geburt des neuen Geldes war ein Konstruktionsfehler bei der Schaffung der Währungsunion, den man Wim Duisenberg bestimmt nicht anlasten kann.

Die EZB sollte versuchen, den Zeitpunkt der Einführung des neuen Geldes vorzuziehen, soweit die technischen Möglichkeiten dafür bestehen, und zudem klare Umtauschmodalitäten für Ausländer bekannt geben. Wenn sie den Euro wirklich in den Händen halten, werden die ausländischen Geldhalter von ihrer Unsicherheit befreit sein, und dann wird sich auch der Kurs wieder erholen. Bis dahin bleibt keine andere Möglichkeit, als die ungeliebten Bargeld-Bestände wieder zurückzunehmen, also aktiv am Devisenmarkt zu intervenieren, um den Euro-Kurs zu stützen.

Hans-Werner Sinn
Präsident des ifo Institut