ifo Standpunkt Nr. 3: Zehn Jahre Aufschwung Ost

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 26.10.1999

Der ostdeutsche Aufschwung ist in den letzten zehn Jahren deutlich vorangekommen: Die Stundenlöhne haben sich von einem Drittel auf über zwei Drittel der Westlöhne erhöht, die Sozialhilfe liegt über dem DDR-Lebensstandard, und die ostdeutschen Renten übertreffen die westdeutschen.

Allerdings werden nur etwa zwei Drittel der beanspruchten Güter und Leistungen auch in den neuen Ländern produziert. Der Löwenanteil des Verbrauchsüberhangs wird durch staatliche Transfers aus den alten Bundesländern finanziert. Seit der Wiedervereinigung sind netto deutlich über eine Billion D-Mark an öffentlichen Mitteln in die neuen Bundesländer geflossen. Dieser Betrag entspricht dem Zuwachs der deutschen Staatsschuld in dieser Zeit. Die Wiedervereinigung wurde somit auf Kosten der ohnehin schon wegen der Rentenlasten arg gebeutelten zukünftigen Generationen finanziert.

Der Hauptfehler dieser Politik liegt in der übermäßig rasch erzwungenen Angleichung der ostdeutschen Einkommen. Die Lohnangleichung wurde vereinbart, bevor die Privatisierungen stattgefunden hatten und bevor es ostdeutsche Unternehmen gab, die hätten mitverhandeln können. Auch ohne den Einfluß der westdeutschen Arbeitgebervertreter und Gewerkschaften wäre es im Laufe der Zeit zu Lohnerhöhungen gekommen, allerdings nicht so schnell. Die niedrigeren Löhne hätten internationale Unternehmen angelockt und einen raschen Aufschwung ermöglicht. Auf dem Wege der Verknappung des Faktors Arbeit wäre es schließlich ebenfalls zu einer Angleichung der ostdeutschen Löhne an das Westniveau gekommen.

Es ist allerdings noch nicht zu spät, die Konsequenzen dieser fehlerhaften Politik abzumildern: Betriebliche Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen ermöglichen eine Lohnsenkung, wenn Unternehmer und Belegschaft dies wünschen. Eine Mitbeteiligung der Arbeitnehmer an den ostdeutschen Betrieben kann als Ausgleich für eine solche Lohnsenkung ausgehandelt werden. Auch ist daran zu denken, die umfangreichen noch in kommunaler Hand befindlichen Wohnungsvermögen zugunsten der Bürger zu privatisieren, um auch auf diese Weise einen Ausgleich für Lohnzurückhaltung zu schaffen.

Eine Mixtur aus niedrigeren Löhnen und Miteigentum an den vorhandenen Produktionsmitteln paßt in jedem Fall besser zu einer funktionierenden Marktwirtschaft als die Finanzierung auf Pump.

Hans-Werner Sinn
Präsident des ifo Instituts