ifo Standpunkt Nr. 56: Sieben Wahrheiten über Beamte

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 11. Oktober 2004

Ist Deutschland krank, weil es sich Heerscharen von unkündbaren Staatsdienern leistet, die wenig arbeiten, die Bürger anmuffeln und ihre Pfründe einstreichen? Nein, die Tatsachen sehen bei näherem Hinsehen doch wohl etwas anders aus als dieses Klischee.

1. Deutschland hat mit nur 12,5% an der Gesamtzahl der Arbeitnehmer extrem wenige Staatsdiener. In Dänemark und Schweden arbeitet ein Drittel der Arbeitnehmer beim Staat, in Großbritannien tun es 22%, und selbst in den USA zählt man 16%. Unter den entwickelten OECDLändern liegen wir, was den Anteil der Staatsdiener betrifft, auf einem der letzten Plätze, vergleichbar mit Luxemburg und Japan. Dennoch arbeiten deutsche Behörden im internationalen Vergleich vorbildlich. Die Effizienz der deutschen Staatsdiener hält jedem internationalen Vergleich stand.

2. Nur etwa ein Drittel der Staatsdiener sind Beamte und Richter, die den vollen Kündigungsschutz genießen. Zwei Drittel sind Angestellte bzw. Arbeiter, die dem normalen Tarifrecht unterworfen sind. Der Kündigungsschutz vieler privat beschäftigter Arbeitnehmer ist heute fast so hoch wie jener der Beamten. Wer 15 Jahre beschäftigt war, ist kaum noch kündbar. Auch Beamter wird man nicht von heute auf morgen, sondern nach sehr langen Wartezeiten.

3. Beamte können nicht streiken und sind dem Staat gegenüber per Eid zur Treue verpflichtet. Sie können jederzeit an einen anderen Ort versetzt werden, wo sie gebraucht werden. Sie stellen eine immer verfügbare, verlässliche Basis des Staatswesens dar, die auch in schwierigsten Zeiten Stabilität garantiert. Richter und Polizisten sind zum Beispiel Beamte, weil sie unabhängig und unbestechlich sein müssen. Und früher waren es auch die Lokführer, Schrankenwärter oder Fluglotsen, weil man sicherstellen wollte, dass der Verkehr nicht durch Streiks lahm gelegt werden kann. (Warum freilich Lehrer oder Universitätsprofessoren im Normalfall Beamte sein sollten, ist nur schwer einzusehen.)

4. Staatsdiener arbeiten mehr. Die tarifliche Arbeitszeit der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst liegt mit durchschnittlich 1708 Stunden pro Jahr um 3,5% über dem Durchschnitt der in der Privatwirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer, wo 1649 Stunden pro Jahr gearbeitet werden. Beamte arbeiten sogar bis zu 12% länger als die Beschäftigten in der privaten Wirtschaft.

5. Die Bruttolöhne und -gehälter der Staatsbediensteten lagen Mitte 2003 trotz der längeren Arbeitszeiten im Durchschnitt um 5,5% unter den entsprechenden Werten der privaten Wirtschaft, obwohl Staatsbedienstete im Durchschnitt über eine höhere Qualifikation als privat beschäftigte Arbeitnehmer verfügen müssen.

6. Dass Beamte begünstigt sind, weil sie keine Sozialabgaben zahlen, ist ein Märchen. Da der Staat seit jeher mit der Privatwirtschaft konkurrieren musste, sind bei gleichen Qualifikationsstufen die Netto-, und nicht etwa die Bruttogehälter der Beamten mit den Gehältern der Privatwirtschaft vergleichbar. Was andere an Sozialabgaben zahlen, wird den Beamten von vornherein nicht als Gehalt zugebilligt.

7. Die Beamtengehälter stiegen zumindest im gehobenen Dienst viel langsamer als die Gehälter in der Privatwirtschaft. In den 30 Jahren von 1970 bis 2000 stiegen die Bruttomonatsverdienste der hoch qualifizierten Angestellten im privaten Sektor um durchschnittlich 330%, doch die Gehälter der Beamten des gehobenen Dienstes stiegen durchschnittlich nur um 190%. Der Stundenlohn eines Industriearbeiters stieg in der gleichen Zeit um 350%, und der Sozialhilfesatz nahm um 450% zu.

Fazit: Die Beamten sind viel billiger und fleißiger als ihr Ruf. Seien wir froh, dass wir sie haben.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel "Die Wahrheit über deutsche Beamte", Bild, 6. Oktober 2004, S. 2.