WirtschaftsWoche, 04. Dezember 2015, S. 39.
Die von der EU-Kommission geplante gemeinsame Einlagensicherung sprengt jeden Rahmen - und würde die deutschen Steuerzahler teuer zu stehen kommen.
Nun ist es raus. Die EU-Kommission will die Spareinlagen, Festgeldeinlagen und Girokonten der Euro-Länder ohne Wenn und Aber in ein gemeinschaftliches Sicherungssystem überführen, bei dem pro Einleger und pro Bank bis 100 000 Euro abgesichert werden. Keine Rede mehr davon, dass die deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken ausgenommen werden sollen, bei denen die Hälfte der Bestände liegt. Jetzt soll jeder für jeden haften.
Das System wird der Öffentlichkeit als Versicherung "verkauft", so als ginge es um Zufälle, die alle gleichermaßen treffen könnten. Davon kann aber nicht die Rede sein, denn bei den Banken der GIPSIZ-Länder, also Griechenlands, Irlands, Portugals, Spaniens, Italiens und Zyperns, liegen nach Schätzung des Internationalen Währungsfonds 707 Milliarden Euro an "notleidenden" Krediten. Das sind 64 Prozent aller notleidenden Kredite des Euro-Systems, obwohl diese Länder nur 32 Prozent der Wirtschaftsleistung des Euro-Systems auf sich vereinen. Das Ausfallrisiko ist so gesehen dort knapp vier Mal so hoch wie in den noch gesunden Ländern der Euro-Zone. Von einer fairen Versicherung auf Gegenseitigkeit kann nicht die Rede sein. Da große Teile der Banken Südeuropas ohne die Nullzinspolitik der EZB in Konkurs gehen müssten, geht es im Übrigen nicht um eine Versicherung, sondern um Deckungszusagen für bereits aufgetretene Verluste, die nur noch nicht verbucht sind.
Die deutsche Politik spielt auf Zeit. Sie lehnt die Einführung eines gemeinsamen Sicherungssystems zum heutigen Zeitpunkt ab und pocht darauf, dass erst die nationalen Sicherungsfonds gebildet werden müssten, sodass überhaupt genug Masse für einen gemeinsamen Sicherungsfonds zusammenkommt. Das ist eine gefährliche Strategie, denn die avisierten nationalen Sicherungsfonds könnten den noch gesunden Ländern selbst dann keinen Schutz bieten, wenn sie gefüllt wären. Die Fonds sollen nämlich jeweils nur 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen umfassen. Das sind bei den GIPSIZ-Ländern sicherlich deutlich weniger als 30 Milliarden Euro oder weniger als vier Prozent der notleidenden Kredite, ein Tropfen auf den heißen Stein.
Nun mögen manche Politiker hoffen, dass sich die deutschen Verluste im Falle des Falles auf die Haftungsmasse der deutschen Töpfe beschränken ließen. Doch das ist eine Illusion, weil die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung nach Erschöpfung der vorhandenen Sicherungstöpfe automatisch eine Beanspruchung der Staatengemeinschaft mit sich bringen würde. Wenn es eine gemeinsame Einlagensicherung der Euro-Länder gibt, werden sich die Staaten der Gemeinschaftshaftung unter gar keinen Umständen entziehen können.
Aus diesem Grund haben 2012 etwa 280 deutschsprachige Statistik- und Ökonomie-Professoren - dem Aufruf des Dortmunder Professors Walter Krämer folgend - vor der Vergemeinschaftung der Verluste in einer Bankenunion gewarnt. Dieselbe Position haben weitere 220 Ökonomen in einem zweiten Aufruf eingenommen, der von der Presse als Gegenaufruf stilisiert wurde.
Die Politik war damals sensibilisiert worden und wandte sich gegen den von der EU-Kommission bereits vorgesehenen totalen Bail-out der Bankengläubiger. Sie setzte 2014 eine Richtlinie zur Bankenabwicklung (BRRD) in Kraft, nach der zunächst einmal acht Prozent der Bilanzsumme an Verlusten bei den Eigentümern und nachrangigen Gläubigern anfallen sollen, bevor ein im Laufe der Jahre erst noch zu bildender Abwicklungsfonds (SRF) für weitere fünf Prozent der Bilanzsumme gemeinschaftlich haftet. Was jetzt geplant ist, sprengt indes jeglichen Rahmen. Wenn es pro Haushalt ein Bankkonto gibt, wären allein in den GIPSIZ-Ländern 52,8 Millionen Konten abzusichern.
Davor kann man nur mit allem Nachdruck warnen. Nicht nur, weil die Absicherung Deutschland teuer zu stehen käme, sondern auch, weil alle Disziplin dahin wäre. Zur amerikanischen Savings- und Loan-Krise kam es in den Achtzigerjahren, weil die Sparkassen dank des gemeinsamen Einlagensicherungsfonds sehr viele Spargelder angezogen und damit blindlings herumgezockt hatten. In der S & L-Krise gingen von 1986 bis 1995 über 1000 notleidende Banken und Sparkassen unter. Hunderte mussten zusätzlich gestützt werden. Die Aktionen haben den US-Steuerzahler 130 Milliarden Dollar gekostet und bereiteten den Boden für eine neue Zockerrunde bei den US-Banken, die zwölf Jahre später zum Kollaps der Weltwirtschaft führte. Gott bewahre uns vor der Wiederholung eines solch katastrophalen Unsinns.