Hans-Werner Sinn, der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, gilt als meistzitierter Volkswirt Deutschlands / Im März 2016 gibt er den Spitzenposten ab
Hans-Werner Sinn gilt heute als wirtschaftsliberaler Vordenker. In seiner Jugend aber war er ein Linker: Geboren im Bielefelder Vorort Brake war er Mitglied in der Sozialistischen Jugend „Die Falken“, arbeitete als Taxifahrer und befasste sich später eingehend mit den Thesen von Karl Marx. In der Wissenschaft machte er Karriere. Als Präsident des Münchener Ifo-Instituts sorgte der inzwischen 67-jährige Volkswirtschafts-Professor regelmäßig für Schlagzeilen und heftige Reaktionen.
Der Mann mit dem markanten Bart geht für seine Überzeugungen keinem Streit aus dem Weg. Im Unterschied zu früher, da sei er sehr schüchtern gewesen, sagt Sinn über sich selbst: „Bei meiner ersten Vorlesung habe ich mir fast in die Hosen gemacht.“
Geboren wurde Sinn im März 1948. Sein Vater war Taxifahrer und SPD-Mitglied, er sei ein „Arbeiterkind“ und zugleich „ein Kind vom Lande“ gewesen, sagt Sinn von sich. Nach dem Studium in Münster bewarb sich der Volkswirt erfolglos bei einem Gewerkschaftsinstitut. Dafür avancierte er in den 80er Jahren zum Professor. Er ging von Mannheim nach München, lehrte später als Gastprofessor in Stanford und Princeton. 1999 ließ er sich beknien, das ausgelaugte Ifo-Institut neu aufzubauen – mit Erfolg. Nobelpreisträger Robert Solow lobte: „Er hat München zu einem der Weltzentren für Wirtschaftsforschung gemacht.“
Allerdings hagelte es auch immer wieder Kritik – der Professor, der gern gegen den Strich bürstet, wurde auch schon als „Professor Unsinn“ oder „Boulevardprofessor“ geschmäht. Mit seiner Kritik am Griechenland-Rettungspaket eckte er ebenso an wie mit der Forderung nach Lohnzuschüssen statt Mindestlohn. Aber „es schmerzt, wenn mir Aussagen untergejubelt werden, die ich nicht gemacht habe“, sagt Sinn: „Es wird einem irgendein Quatsch angedichtet, und dieser Quatsch wird dann genüsslich widerlegt.“
Soeben wurde Sinn vom Deutschen Hochschulverband zum „Hochschullehrer des Jahres“ gekürt, als „Wissenschaftler, der allein der Rationalität verpflichtet ist und politischen Opportunismus nicht kennt“. Als einen seiner größten Erfolge als Forscher sieht Sinn seine Warnung vor den Risiken des Verrechnungssystems der europäischen Notenbanken, Target.
Am 31. März geht Sinn in Pension. Einladungen zu Talkshows über die Flüchtlingskrise hat er bereits abgelehnt. „Ich freue mich auf ein lebenslanges Freisemester“, sagt er: „Da kann ich forschen und Bücher schreiben und mich um mein Privatleben kümmern.“ Das sei in den vergangenen 17 Jahren zu kurz gekommen. „Meine Frau hat sich zum Glück noch nicht scheiden lassen,“ sagt er und lacht.
Hans-Werner Sinn äußert sich auch allgemeinpolitisch. Jüngst plädierte er für ein Zuwanderungsgesetz in Deutschland. „Wenn wirklich Hochqualifizierte kommen, dann sollten wir sie nicht zurückschicken – auch wenn sie kein Asylrecht beanspruchen können.“
In einem Focus-Interview sprach sich Sinn für eine Europäisierung der nationalen Streitkräfte aus. Zwar sei Frankreich dazu nicht bereit, glaubt Sinn. Aber Bundeskanzlerin Angela Merkel könnte den Nachbarn einen Deal anbieten: Deutschland müsste dafür die Einführung eines EU-Finanzministeriums akzeptieren, die Franzosen im Gegenzug ein militärisches EU-Oberkommando.
Das von Sinn geführte Ifo-Institut liefert fast tägliche neue Nachrichten. Gestern meldete das Institut, die deutsche Industrie wolle ihre Investitionsausgaben 2016 um 6 Prozent erhöhen.2015 gab es nur 4 Prozent Plus.
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